Dressurkönigin von Bredow-Werndl erlebt Hass im Netz – Sport

Die Bilder verführen zum Träumen: Schöne Pferde mit schönen Menschen auf dem Rücken galoppieren im Sonnenschein an grünen Weiden vorbei. Die Aufnahmen stammen aus dem bayerischen Aubenhausen, „der Heimat der Dressurpferde“, wie es auf der Website der Familie Werndl heißt.

Nächste Szene: Ein Pferd stupst zärtlich eine junge Frau ins Gesicht, bekommt einen sanften Kuss auf die Nüstern zurück, Harmonie pur. Die Frau ist Jessica von Bredow-Werndl, 38, Olympiasiegerin 2021 und 2024. Das Pferd heißt Kismet, die Stute, die sie von der Britin Charlotte Dujardin übernommen hat. Die Olympiasiegerin von 2012 und 2016 wurde suspendiert, nachdem kurz vor den Spielen in Paris ein Video publiziert worden war, auf dem sie das Pferd eines Schülers misshandelte. Dujardin hat all ihre Sponsoren verloren und die Pferde abgeben müssen.

Kismet, die unter Dujardin jeden ihrer vier internationalen Starts in einen Sieg verwandelte, ist also in Aubenhausen gelandet, und Jessica von Bredow-Werndl wird in den nächsten Monaten ihre Fans per App daran teilhaben lassen, wie das Training mit dem Pferd voranschreitet. Ziel ist die Weltmeisterschaft 2026 in Aachen.  Ihr Olympiapferd, die 17-jährige Trakehner-Stute Dalera, geht in diesen Wochen auf Abschiedstournee. Am Wochenende begeisterte sie das Publikum in Neumünster, tanzte leichtfüßig noch einmal durch ihre Olympiakür, begleitet von Standing Ovations und Tränen der Rührung bei der Reiterin. Liebe und Vertrauen – so geht Dressur, sagen diese Bilder.

„Wir dürfen jetzt eine gemeinsame Sprache entwickeln“, sagt Jessica von Bredow-Werndl über Kismet. Das klingt schön, gar nicht nach Schweiß und Arbeit, die gemeinhin mit Höchstleistungen in Verbindung gebracht werden.  Auf den Bildern aus Aubenhausen wird gekuschelt und geküsst. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass man so eines Tages Olympiasiegerin werden kann. So ist es natürlich nicht, und dem widerspricht auch die Reiterin vehement. „Natürlich zeigen wir auch die tägliche Arbeit mit den Pferden, wir sind ganz offen. Aber nicht auf den sozialen Medien, sondern im geschützten Raum des Aubenhausen Clubs. Dort sind die Leute, die es wirklich interessiert.“

Der kostenpflichtige Klub macht seinen knapp 10 000 Mitgliedern ein Angebot an Workshops und Lehrvideos über Yogakurse, Reitergymnastik bis hin zu Ratschlägen für junge Mütter, wie sie nach der Geburt eines Kindes schnell in den Sattel zurückzukehren. „Wir wollen unsere Erfahrungen und unser Wissen weitergeben“, sagt von Bredow-Werndl. „Wir verbergen nichts. Wir geben auch Fehlschläge zu.“ Jede Frage werde beantwortet, die Klubmitglieder erhalten Einblick in das tägliche Training, bekommen Tipps, wie man den Pferden bestimmte Lektionen beibringt. Das Konzept lebt vom Bild der pferdeliebenden Familie Werndl, von den Geschwistern Jessica und Benjamin, auch er international erfolgreich.

Der Shitstorm ist eine neue Erfahrung für sie – ist es der Preis des Ruhms?

Zuletzt tauchten allerdings auch ganz andere Bilder der Weltranglistenersten im Netz auf.  Bei einem Turnier in Ising am Chiemsee wurde von Bredow-Werndl von ihrem zehnjährigen Nachwuchspferd Gatsby geradezu vorgeführt. Der Schwarzbraune widersetzte sich immer wieder, kroch rückwärts, machte kehrt und versuchte zu steigen. Null Bock auf Dressur heute, schien er mit jeder Faser seines Körpers zu sagen. Ein Beweis, dass man Pferde nicht zwingen kann, zu keiner Lektion, wenn sie nicht wollen. Statt aufzugeben, versuchte von Bredow-Werndl, das Pferd irgendwie durch die Aufgabe zu manövrieren, ohne dabei grob zu werden. Tierschutzrelevant war hier gar nichts.  „Vielleicht hätte ich eher aufhören sollen, das hatte ich in der Prüfung vorher getan“, sagt sie. „Aber das wollte ich diesmal nicht.“ Wenn es nach jedem Problem gleich zurück in den Stall geht, könnte Gatsby das auch als Belohnung verstehen.

Das Internet reagierte jedenfalls prompt, es gab Hass und Beschimpfungen, die Dressurikone sah sich plötzlich einem ungewohnten Shitstorm ausgesetzt. Der Preis des Ruhms? „Es ist doch vielmehr die Frage, wie geht die Gesellschaft mit dem Scheitern und der Verletzlichkeit von uns Menschen um? Dürfen Olympiasieger nicht mehr scheitern?“, fragt Jessica von Bredow-Werndl. „Was bilden sich die Leute ein, mich aufgrund eines Fünfminutenvideos zu beurteilen?“ Eine Erfahrung, die andere, etwa die achtfache Olympiasiegerin Isabell Werth, schon vor ihr machen mussten. Wie es mit Gatsby weitergeht, wird sich zeigen. „Nicht jedes Pferd ist für den Turniersport geboren“, sagt von Bredow-Werndl.

Von ihren Klubmitgliedern erfuhr sie vor allem Solidarität, und das in einem Moment, in dem sich Dalera in die Zucht verabschiedet und die sportliche Zukunft ihrer Reiterin an einem Wendepunkt angelangt ist. Im Championatskader des Reiterverbandes fehlt übrigens der Name der Olympiasiegerin. Sie ist zuversichtlich, dass sich das bald ändern wird.