Doppel-„Tatort“ über die Mocro-Mafia | FAZ

In Deutschland wird gerne geplant, und dann raufen sich alle die Haare, wenn die Wirklichkeit zuschlägt. Wetter zum Beispiel: ganz schlecht. Im vergangenen Winter war es wieder so weit. Irgendwo im Nichts zwischen Ostfriesland und Groningen begann es bei den Dreharbeiten zum neuen „Tatort“ mit Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) überraschend zu schneien. Und jetzt? Es gibt Filmteams, die bei dem zarten Geriesel sofort eingepackt hätten.

Glücklicherweise handelte es sich an diesem Abend um eine deutsch-niederländische Ko-Produktion, mit dem hellwachen Hans Steinbichler in der Regie. Er erklärt im Begleitheft, dass doch „die Stimmung so fantastisch“ war. Man habe weitergedreht, „obwohl klar war, dass uns der Schnee, vor allem wegen der Anschlüsse, echte Probleme bereiten könnte“.

Und wie stark das im Ergebnis jetzt wirkt: Die nächtliche Schießerei, die schneefrei einsetzt und im Flockenflug endet, ist eine von vielen hochintensiven Szenen des neuen Falls. Immer wieder besticht die Doppelfolge, die in 180 Minuten ausbreitet, was normalerweise in 90 Minuten gepackt werden muss, durch geistesgegenwärtiges Arbeiten mit dem und aus dem Moment.

Die „Mocro-Mafia“ aus verschiedenen Blickwinkeln

Die raue Story entstand unter anderem beim Blättern in einem Artikel des Alliterationskünstlers Jürgen Dahlkamp („Käse, Koks und Killer“) vom „Spiegel“. Sie wird von einer ungewöhnlichen Lust am Erzählen geprägt. Die Drehbuchautoren Alexander Adolph und Eva Wehrum wollen nicht einfach den nächsten Krimi abreißen. Sie wollen die „Mocro-Mafia“ aus den Niederlanden, um die es geht, aus verschiedenen Blickwinkeln charakterisieren.

Dafür brauchen sie einen bemitleidenswerten Gebrauchtwarenhändler (Andrei Viorel Tacu), einen jugendlichen Fast-Food-Verkäufer (Hamza Iallouchen), im späteren Verlauf auch einen deutschen Kommunalpolitiker (Sebastian Hülk) aus Ottos Heimatstadt Emden.

kommen erst einmal nicht miteinander klar: Wotan Wilke Möhrung und Denis Moschitto als Kommissare.
kommen erst einmal nicht miteinander klar: Wotan Wilke Möhrung und Denis Moschitto als Kommissare.NDR/Georges Pauly

Und auch auf die Mafialeute (Yousef Sweid, Yasin el Harrouk, Sascha Alexander Gersak) geht ein eigener Erzählstrang ein. Die Kamera führte Alexander Fischerkoesen, der gar nicht genug bekommen konnte von den vielen Drehorten und der tief stehenden Sonne im Winter. Die Kamera ist stets in Bewegung, selbst in Szenen, in denen ein Männerspontanchor einfach nur „Cotton Eye Joe“ zum Besten zu geben versucht. Der Zuschauer kommt dem Geschehen näher, als ihm lieb ist. Zartbesaitete machen besser einen Bogen um diesen Film.

Das Intro zeigt einen bewusstlosen Deutschen, der an Händen und Füßen weggeschleppt wird. Er hinterlässt in der Hütte, die er auf einem Campingplatz in den Niederlanden gemietet hat, eine Blutspur. Und löst eine deutsch-niederländische Begegnung aus: Der Bundespolizist Thorsten Falke wird zum Brainstorming mit der Kollegin Lynn de Baer (Gaite Jansen) aus Groningen über die Grenze geschickt – zusammen mit Mario Schmitt (Denis Moschitto), der die 2024 verblichene Julia Grosz (Franziska Weisz) nun langfristig ergänzen soll und sich als stiller Kauz mit „Denkmusik“ auf den Ohren vorstellt. Falke kann den „Vogel“ nicht ab. Aus Zuschauersicht stimmt die Chemie.

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Es wird noch viele Fahrten über die Grenze geben. Denn das LKA Berlin vermisst einen Mann. Er hat sich das Vertrauen von Drogenhändlern in den Niederlanden zu erschleichen versucht, und seine Überlebenschancen stehen angesichts der Gepflogenheiten der „Mocro-Mafia“ nicht gut: Ein Jugendlicher, der im „Supersnack“ in Delfzijl arbeitet, wird per Beinahe-Beinbruch auf Gefolgschaft getrimmt, ein Auto per Handgranatenwurf gesprengt. Ein Staatsanwalt entgeht einem Anschlag nur durch Zufall. Und dann dieser Folterstuhl.

Der niederländische Rechtsstaat vermag den Machenschaften der brutalen Bande bislang wenig entgegenzusetzen. Ein Mastermind sitzt zwar in U-Haft, kann aber aus der gemütlich eingerichteten Zelle mit überlegenem Lächeln Furcht und Schrecken verbreiten. Ein Nachfolger wächst schon heran. Er macht auf Gangster-Rapper mit viel Bling-Bling.

Die Bedrohung, die von der „Mocro-Mafia“ ausgeht, auch für Deutschland, ist in diesem Narco-Thriller nicht bloß Behauptung: Man spürt sie bis in die Knochen. Zum gespenstisch halboffenen Schluss wünschen wir uns nichts sehnlicher als eine Fortsetzung mit allen sorgfältig eingeführten Figuren. Sofern sie noch leben: Pfeift auf das „Tatort“-Korset, macht eine Streamingserie aus diesem Ausnahmefall über Falke, Schmitt und die ebenso charismatische wie verängstigte niederländische Kollegin de Baer.

Der Tatort: Ein guter Tag läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten, Der schwarze Schnee gleich im Anschluss.