
Ein Gewaltverbrechen im August 1992 in den Abruzzen. Es liegt wie ein Schatten über allen Figuren dieses Romans, der in der Corona-Zeit spielt und sich mit zahlreichen Rückblenden der Auflösung der Straftat nähert: Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Lucia (sie weist Ähnlichkeiten mit der Autorin auf), eine Frau Anfang 60, die in den Abruzzen geboren wurde und nach wie vor dort lebt und arbeitet, versucht zu verstehen, warum ihr Mann Dario sie vor kurzem sang- und klanglos verlassen hat.
Was die beiden noch eint, ist die gemeinsame Tochter Amanda. Sie ist vor Ausbruch der Pandemie von Mailand zu ihrer Mutter zurückgekehrt. Lucia rätselt, warum ihre zwanzigjährige Tochter so apathisch ist und ihr Studium nicht online fortsetzt. „Mailand hat mir eine erloschene Tochter zurückgegeben.“ Ist vielleicht ein Raubüberfall in der Metropole schuld? Ist dabei mehr passiert, als Amanda erzählt? Und war das eine „toxische Beziehung“ mit dem Freund dort? Lucia erreicht ihre Tochter nicht, kann ihr nicht helfen und fragt sich, ob sie dabei ist, sie zu verlieren.
Ein belastetes Grundstück auf dem Wolfszahnfelsen
Lucia hat es gleichzeitig mit ihrem alten Vater zu tun, einem knorrigen Greis, der vor seinem Tod der Tochter ein Stück Land vererben will, das seit mehreren Generationen in Familienbesitz ist: Ein ausgedehntes Weideland im Gebirge Gran Sasso. Es befindet sich unter dem markanten Felssporn „Dente del Lupo“ (Wolfszahn), der sich auf 2000 Metern Höhe befindet. Von dort aus blickt man in das Tal und auf die Hauptstadt Pescara und aufs Meer.
Als vor dreißig Jahren das Verbrechen geschah, hatte der Vater einen Teil des Grundstücks einem Freund verpachtet, der dort einen kleinen alpinen Campingplatz gebaut hatte. Fleischspießchen und Pecorino aus dem Kiosk waren beliebt. Zwei jungen Touristinnen waren vom Camping aus zu ihrer letzten Wanderung aufgebrochen – gemeinsam mit Lucias Freundin Doralice, die den Femizid knapp überlebte.
Lucia hat es darüber hinaus auch mit Spekulanten zu tun, die ihr das Grundstück abkaufen möchten, um darauf eine Hotelanlage zu errichten. In diesem Zusammenhang kehrt Lebensmut in Lucias Tochter zurück, die an der Spitze einer ökologischen Bewegung steht, die den Neubau für Touristen in den Bergen verhindern will.
Anders als viele herkömmliche Thriller, betont dieses Buch das Privatleben der Menschen, die in das Verbrechen verwickelt waren. Es zeigt die seelischen Auswirkungen, die Kollektivschuld, das Trauma. Zudem spielt hier die Landschaft eine Hauptrolle.
Sich öffnen und alles erzählen?
Die geschilderte Gewalttat beruht auf einem wahren Verbrechen in den Abruzzen, das in den 90er Jahren ganz Italien beschäftigte. Aber nach dem Prozess breitete sich rasch Schweigen aus unter den Einheimischen. Lucia überlegt, ob nun der Zeitpunkt gekommen ist, um ihrer Tochter, die vieles nur ahnt, die ganze Geschichte und ihre Rolle darin zu erzählen.
Auf großartige Weise gelingt es Donatella Di Pietrantonio, das Unausgesprochene, das Schuldbewusstsein (körperlich fast unversehrt überlebt zu haben) und die Scham (wegen des Verrats und dessen Ursachen) darzustellen. Die Autorin interessiert sich mehr für die Folgen des Verbrechens als für den Mörder und die Ursachen.
Am Ende der Lektüre wirkt die Geschichte nach, entfaltet ihre Wucht erneut.
Donatella Di Pietrantonio: „Die zerbrechliche Zeit“ (Kunstmann, 240 Seiten. 22 Euro)
Die Autorin liest am Montag, 25. November, 19.30 Uhr, bei Lehmkuhl, Leopoldstraße 45
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