Diesen Mann liebten nicht nur die Frauen

Vermutlich im Jahr 1897, ein genaues Datum fehlt, schrieb Marcel Proust einen überschwänglichen Brief an Ga­briel Fauré: „Mein Herr, ich mag Ihre Musik nicht nur, bewundere sie und bete sie an, ich war und bin verliebt in sie.“ Und zur Liebe komme, behauptet Proust, eine derartig genaue Kenntnis, „dass ich einen Band von 300 Seiten darüber schreiben könnte, aber hundertmal mehr wagte ich es aus lauter Schüchternheit nie, Ihnen das zu sagen“.

Dieses künstlerische Liebesgeständnis, drei Seiten lang, findet sich vollständig abgebildet und transkribiert in dem staunenswerten Bildband „Gabriel Fauré Iconographie“, den der französische Fauré-Experte Jean-Michel Nectoux im Nachklang zu Faurés hundertstem Todestag herausgebracht hat. Man weiß längst, dass Fauré die musikalische Zentralgestalt in Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ war. Und deshalb ist das vierte Kapitel dieses Bandes zu Recht überschrieben mit „Eine Proustsche Welt“. Man begegnet der Gräfin Élisabeth Greffulhe, Mäzenin und Bewunderin Faurés, und ebenso ihrem Cousin Robert de Montesquiou, von denen Züge in Prousts Figuren der Oriane de Guermantes und des Baron de Charlus eingingen. Er war der Textdichter der berühmten „Pavane“, die Fauré der Gräfin Greffulhe widmete. Man sieht Montesquiou im Jahr 1888 in Versailles in moderner Lederjacke eines Autofahrers gegen die Statue eines Elefanten gelehnt, wie er eine Perserkatze krault – ein intim-grandioses Bild, das aristokratisches Geschichtsbewusstsein mit moderner Technikaffinität und virile Sportlichkeit mit femininer Pose verbindet.

Gabriel Fauré mit seinem ersten Sohn Emmanuel im Jahr 1887
Gabriel Fauré mit seinem ersten Sohn Emmanuel im Jahr 1887Bibliothèque nationale de Franc

Doch man tut Fauré, dem bedeutendsten Liedkomponisten Frankreichs, dem diskreten Abenteurer in der Klavier- und Kammermusik, dem Lyriker einer modern gebrochenen Spiritualität, natürlich unrecht, wenn man ihn nur über Proust zu begreifen sucht. Nectoux, der schon vor zwölf Jahren Fauré eine umfangreiche Monographie gewidmet hat, begleitet den Komponisten über zahlreiche Fotografien aus seinem intellektuell aufgeschlossenen Elternhaus in Südfrankreich durch die Studienzeit an der Pariser École Niedermeyer, die hochadligen Salons im Faubourg Saint Germain bis auf den Posten als Direktor des Pariser Konservatoriums, das Fauré zwischen 1905 und 1920 grundlegend reformierte und für Frauen öffnete.

DSGVO Platzhalter

Fauré war, wie Nectoux in der Einleitung schreibt, „ein gut aussehender, attraktiver Mann mit einem besonderen, wenn nicht überwältigenden Charme“. Schon der Siebzehnjährige trägt einen Schnurrbart. Und so melancholisch und ambitionslos Faurés Blick oft scheint, so berechtigt Prousts Formulierung von Faurés „kühler Gleichgültigkeit gegenüber dem Erfolg“ auch sein mag, so oft sieht man Fauré auch lachen, wenn er mit seinen Söhnen zusammen ist oder mit Freunden – wie seinem Lehrer Camille Saint-Saëns als Kutscher auf einem Eselskarren – seinen Spaß hat.

Jean-Michel Nectoux: „Gabriel Fauré  Iconographie“. Bärenreiter Verlag,  Kassel 2025, 253 S.,  Abb., geb., 230,–  €.
Jean-Michel Nectoux: „Gabriel Fauré Iconographie“. Bärenreiter Verlag, Kassel 2025, 253 S., Abb., geb., 230,– €.Bärenreither

Fast nie lacht seine Frau Marie, die Tochter des Bildhauers Emmanuel Fremiet, die selbst künstlerisch begabt war und von der das Buch das Aquarell „Rosier du Bengale“ dokumentiert. Ob sie von Jugend an bedrückt war oder durch ihre Ehe mit Fauré litt, der zeitweise mehrere Geliebte gleichzeitig hatte, die auch alle voneinander wussten, ist wohl nicht zu entscheiden. In Nectoux’ Biographie von 2013 findet sich ihr Satz: „Er hat mich mit seinem Schweigen gekreuzigt“, der die häusliche Eisigkeit zwischen ihr und ihrem Mann beschreibt, während er ihr von außerhalb ausführliche, mitteilsame Briefe schrieb. Auch auf dem Bild aus der Frühzeit ihrer Ehe, etwa 1884, versucht Fauré mit der Harfe in der Hand einen Scherz zu machen, auf den seine Frau nicht reagiert.

Fauré war ein Mann der Frauen und ein Mann der Dichter. Paul Verlaine hat er im Grunde beim Sterben begleitet, weshalb dessen Altersporträt im Band sehr gut aufgehoben ist. Leider völlig fehlt Iwan Turgenjew, der dem jungen Fauré ein Mentor war und ein Fürsprecher bei dessen bald wieder gelöster Verlobung mit Marianne Viardot, der Tochter der Sängerin Pauline Viardot-García und des Kunsthändlers Louis Viardot. Dafür würdigt Nectoux Marguerite Hasselmans, Faurés jahrzehntelange Gefährtin, die im Jahr 1918 ein Bild des Komponisten mit dessen Sohn Philippe fotografierte, der auf Fronturlaub im Ersten Weltkrieg seinen Vater in Évian besuchte.

Schließlich war Fauré ein Mann der Maler, wurde häufig von ihnen porträtiert und gewann die Freundschaft von John Singer Sargent, der ihn nicht nur viermal bildlich festhielt, sondern ihm nach dem Ersten Weltkrieg auch finanziell aushalf.

Die Bilder, die Fauré selbst fotografierte, fast alle aus dem Sommer 1907, zeigen Segelboote auf dem Genfer See und den wuscheligen Hund Cartouche auf den Straßen von Lausanne. So fängt dieser Band, mit Begleittexten auf Französisch und Englisch sowie einer Einleitung auf Deutsch, ein Leben ein, das zur Zeit von Chopin und Eichendorff begonnen hatte und mit Stummfilmnachrichten im Kino endete.

Jean-Michel Nectoux: „Gabriel Fauré Iconographie“. Bärenreiter Verlag, Kassel 2025, 253 S., Abb., geb., 230,– €.