Diese Spitzenköche erhalten den dritten Stern

Es lohnt sich, konsequent, selbstbewusst und unbeirrt seinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn man dabei manchmal Rückschläge oder Enttäuschungen verkraften muss. Das ist die Botschaft, die der Guide Michelin Deutschland in seiner Ausgabe 2025 an alle deutschen Feinschmecker sendet – und folgerichtig zwei ebenso verdienstvolle wie vergleichsweise altgediente Spitzenköche völlig zurecht in den Olymp der Küchengroßmeister erhebt: Tohru Nakamura von der „Schreiberei“ in München und Christoph Rüffer vom „Haerlin“ in Hamburg werden jeweils mit einem dritten Stern ausgezeichnet, ein doppelter Paukenschlag, ein zweifacher Triumph, der am Dienstagabend bei einer Gala im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens glanzvoll gefeiert wurde.

„Nakamura und Rüffer machen seit langem, woran sie glauben, was sie lieben und was sie können, und sie haben nie ihr Konzept geändert, auch wenn die höchsten Weihen nicht kamen“, sagt der Direktor des Guide Michelin für Deutschland, Österreich und die Schweiz im Gespräch mit der F.A.Z., der im Gegensatz zu seinem Vorgänger im Schutz strikter Anonymität agiert – eine neue, inzwischen in vielen Ländern praktizierte Leitlinie des Guide Michelin, die auch eine Reaktion auf die immer übergriffigere Öffentlichkeit der sozialen Medien ist.

Exakter, feiner, harmonischer, ausdrucksstärker

Beide Köche hätten seit langem unter wohlwollender Beobachtung gestanden und seien vielfach auch von ausländischen Michelin-Testern besucht worden, so der Direktor. Beiden sei in jüngster Zeit ein Qualitätssprung gelungen, beide kochten jetzt noch exakter und feiner, noch harmonischer und ausdrucksstärker als zuvor, was auch daran liegen könne, dass eine Schlüsselposition in der Küche exzellent neu besetzt worden sei. Das sind Gründe genug, Nakamura und Rüffer in die Tafelrunde der weltweit nunmehr 155 Drei-Sterne-Köche aufzunehmen – wobei in der Stärke des Michelin-Urteils auch eine Schwäche liegt. Denn zum einen klingt es ein wenig nach Selbstkorrektur, zum anderen ließe es sich in seiner strikten Betonung der graduellen Verbesserung genauso gut über einige andere deutsche Spitzenköche fällen, den spektakulär gereiften Dirk Hoberg vom „Ophelia“ in Konstanz etwa oder den großartigen, niemals stillstehenden Joachim Wissler vom „Vendôme“ in Bergisch-Gladbach.

Deutsche Mutter, japanischer Vater, sensationelle Küche: der neue Drei-Sterne-Koch Tohru Nakamura.
Deutsche Mutter, japanischer Vater, sensationelle Küche: der neue Drei-Sterne-Koch Tohru Nakamura.dpa

In Deutschland gibt es nun zwölf Küchenchefs mit der höchsten Auszeichnung des Michelin, da alle bisherigen Dreisterner ihre Bewertung verteidigt haben. Neben den beiden Neuzugängen sind das Torsten Michel („Schwarzwaldstube“, Baiersbronn), Claus-Peter Lumpp („Bareiss“, Baiersbronn), Marco Müller („Rutz“, Berlin), Kevin Fehling („The Table“, Hamburg), Christian Bau („Victor‘s Fine Dining“, Perl an der Mosel), Clemens Rambichler („Sonnora“, Dreis), Thomas Schanz („schanz.restaurant“, Piesport), Jan Hartwig („Jan“, München), Sven Elverfeld („Aqua“, Wolfsburg) und Edip Sigl („es:senz“, Grassau am Chiemsee), die alle zehn bei der Zeremonie im Palmengarten dabei waren.

Eine blühende kulinarische Nation

Größere Bewegung gibt es bei den Zwei-Sterne-Häusern, deren Zahl nun bei 47 liegt. Diese Breite an exzellenten Häusern hinter den Dreisternen ist für Gwendal Poullennec, den Internationalen Direktor und als solcher das offizielle Gesicht des Guide Michelin, ein Indiz für die Stärke der deutschen Spitzengastronomie. „Früher war Deutschland ein kulinarisches Niemandsland, heute gehört es zu den blühendsten gastronomischen Nationen der Welt“, sagte er der F.A.Z. Neu hinzugekommen sind der flamboyante Benjamin Peifer, der in seinem Restaurant „Intense“ in Wachenheim Pfälzer Heimatküche mit japanischer Kochkunst dramaturgisch überaus aufwendig verschmilzt; der junge Senkrechtstarter Yannick Noack, der sich im „Gotthardt’s“ in Koblenz binnen zwei Jahren zwei Sterne erkocht hat; sowie ein wenig überraschend die alten Kämpen Thomas Berger („Oswald’s Gourmetstube“, Teisnach), der im Bayerischen Wald klassisch französisch kocht; Martin Stopp („Atama“, Sankt Ingbert), der mit seinem neuen Restaurant aus dem Stand in die Zwei-Sterne-Liga aufsteigt; und Robin Pietsch („Pietsch“, Wernigerode), der nun im Alleingang dafür sorgt, dass es nach der Schließung des „Falco“ in Leipzig zumindest wieder einen Zweisterner im kulinarisch immer noch nicht hell leuchtenden Ostdeutschland gibt.

Mit Beharrlichkeit zur absoluten Weltspitze: Christoph Rüffer hat sich mit Anfang fünfzig den dritten Stern erkocht.
Mit Beharrlichkeit zur absoluten Weltspitze: Christoph Rüffer hat sich mit Anfang fünfzig den dritten Stern erkocht.dpa

Auf der Verlustliste der Zwei-Sterne-Häuser stehen sechs Namen: das „Gustav“ in Frankfurt, das „Lorenz Esszimmer“ in Berlin, das „Purs“ in Andernach, die „Mühle“ in Schluchsee, das „Esszimmer“ in München und das „Seo Küchenhandwerk“ in Langenargen, deren Abwertung allein Schließungen, Konzeptänderungen oder Personalwechseln geschuldet und deswegen für den Michelin kein Indiz für eine beginnende Erosion der Erfolgsgeschichte in der deutschen Feinschmeckerei ist. Dass viele Häuser nach dem Post-Corona-Boom mit einer dramatisch gesunkenen Nachfrage zu kämpfen haben, bildet der neue Guide nicht ab – und dass er es auch in Zukunft nicht tun muss, können sich alle Gourmets nur wünschen.

Für Kontinuität und Stabilität spricht die Gesamtzahl der Restaurants mit Michelin-Sternen, die 2025 bei 341 liegt, ein Haus mehr als im vergangenen Jahr. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten hätten die deutschen Spitzenköche eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit bewiesen, sagt der Deutschland-Direktor des Michelin. Technisch sei ihr Handwerk seit langem auf höchstem Niveau, nun öffneten sie sich immer stärker auch anderen Küchen, etwa der mexikanischen, was zu spannenden Resultaten führe. Daneben gebe es eine neue Lockerheit in den Lokalen, in denen Köche und Küche offensiver denn je in das Gesamterlebnis integriert würden. Einen weiteren Trend sieht der Guide Michelin in der Professionalisierung der alkoholfreien Getränkebegleitung. „Früher kam Eistee ins Glas, jetzt sind es raffinierte Eigenkreationen, etwa mit fermentierten Getränken“, so der bemerkenswert optimistische Direktor, der ungeachtet aller Weltkrisen nicht den geringsten Grund zum Schwarzsehen in der deutschen Spitzenküche sieht, auch wenn er selbst im Dunkeln bleiben muss.