
Ich möchte diese wissenschaftliche Fachanalyse über das Halbfinale der 2025er Edition von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ mit einer kurzen Reminiszenz an den Vortag beginnen. Als Anna-Carina Woitschak gestern das Camp für karriereabsorbierende Promiattrappen verlassen musste, gab es zwei bemerkenswerte Wortmeldungen. Koch-Phlegmatikerin Edith Stehfest kommentierte: „Ich sehe nur, wer gerade zuerst geht!“, während Haartransplantations-Ikone Timur Ülker ergänzte: „Das ist Karma!“ Bitte behalten Sie das im Hinterkopf. Es wird zum Ende dieser Kolumne relevant.
Zuvor entfacht sich am Lagerfeuer der Eitelkeiten allerdings zunächst eine Debatte über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl gibt es mannigfache Themen, die die Nation bewegen. Edith Stehfest und Alessia Herren beispielsweise umtreibt eine existenzielle Artikulationsfrage: Wie wird „Oregano“ korrekt ausgesprochen? Alessia, immerhin stammbaumformal mit italienischen Wurzeln, tippt auf: „Oooohreeehgaaahnoh“. Edith, die autodidaktische Koch-Tutorin, besteht vehement auf: „Oh-Reggano“.
Beleidigt zieht Alessia ein Gesicht, als hätte Sam Dylan sie gerade zur „Königin der Gebildetheit“ ausgerufen. Sie reagiert, wie jeder normale Mensch reagieren würde und stürmt ins Sprechzimmer. Dort trägt sie ansatzlos einige signifikante Stellen ihres Timur-Ülker-Forschungsberichtes vor: „Man merkt bei Timo, dass er auf Krampf versucht, den Fokus irgendwie auf sich zu richten. Der sucht Stress!“ Und wie es sich für eine Profilerin wie Alessia gehört, hat sie selbstverständlich evidenzsuggerierendes Beweismaterial beizufügen: „Der liest dauernd seinen Brief, so 20 bis 30 Mal am Tag und dann lächelt der und guckt dann extra so in eine Kamera. Entweder ich bilde mir das ein, oder er schauspielert!“ Nun ja. Timur gehört zum Hauptcast von „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Es kann wohl ausgeschlossen werden, dass er geschauspielert hat.
Alessia Herren singt eine Pazifismus-Hymne
Verhaltensanalyse ist aber nicht Alessias einziges Talent. Auch als Sängerin zeigt sie sich elitetauglich. Gemeinsam mit Maurice Dziwak präsentiert sie auf dem Weg zum Dschungelklo einen ESC-Klassiker von 1982. Dummerweise in einer Textversion, für die RTL vermutlich einige Klagen von Ralph Siegel ins Haus stehen: „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe, ein bisschen Treue, wir brauchen dich!“ Ja, wer kennt sie nicht, die Pazifismus-Hymne, präsentiert von Sängerin Nicole. Einer der textromantischsten Superhits der Musikgeschichte. Nur ganz knapp überflügelt „Ich war noch niemals in New York, ich aß noch niemals Toast Hawaii“.
Davon unbeeindruckt spendiert Schlagerhasser Pierre Sanoussi-Bliss den Berufslangweilern am Feuerplatz einen Schwank aus seinem in Ost-Berlin begonnenen Leben: „Ich habe ja Koch gelernt, aber wir hatten in der DDR ja nichts, keine Zutaten. Als ich nach der Wende das erste Mal im KaDeWe oben in der Fressabteilung war, sind mir die Tränen gekommen!“ Das geht mir heute auch noch so. Wegen der Preise. Da gibt es beispielsweise eine Marmelade für 30 Euro, von Dolce & Gabbana. Was soll das? Und was kommt als nächstes? Ein goldenes Abendkleid von Schwartau? Ein opulenter Wintermantel von Bonne Maman? Wenn ich 30 Euro für ein Glas Marmelade zahle, dann muss das aber schon in ein signiertes Oberhemd von Jan Köppen eingewickelt sein.
Beim „Creek der Sterne“ klettern sie einen steilen Berg hinauf
Stichwort Marmelade. Ein verdientes Festessen erspielen sich die fünf verbliebenen Halbfinalisten im traditionellen „Creek der Sterne“. Einem Spiel, bei dem der gesamte Kandidatenkader einen steilen Berg hinauf klettern muss, während 200 Praktikanten der Freiwilligen Feuerwehr Brisbane die Kronenanwärter mit gnadenlos harten Wasserwerfern abschießen, während der Bodenturnverein „Die Zietlows“ aus Bonn alle mit überlebensgroßen Hüpfbällen abwirft.
Ein zumeist feucht-fröhlicher, teambildender Ausflug in einen durch die RTL-Kuchenreklame-Werbemillionen in den australischen Busch gefrästen Freizeitpark. Vor allem Timur zeigt sich motiviert. Wahrscheinlich erinnert ihn das künstlich angelegte Spiel-Flussbett an sein künstlich angelegtes Haupthaar. Zumindest arrangiert er sich vollkommen unerwartet und unnötig heroisch in epischer Siegerpose. Man könnte fast denken, Alessia hätte mit ihrer Schauspiel-Hypothese ins Sendezeitschwarze getroffen.

Statt die Rückkehr zu ihren Feldbetten im Urwaldlager gebührend zu feiern und sich gegenseitig erklären zu können, wie unglaublich stolz man ist, fünf Sterne damit geholt zu haben sowie etwa 300 Kubikmetern Wasser und ein paar übergroßen Tischtennisbällen ausgewichen zu sein, empfängt Konfrontations-Brandbeschleuniger RTL die Halbfinalisten mit der Aufgabe, in einer öffentlichen Abstimmung ihren Wunsch-Dschungelkönig und ihren Anti-Dschungelkönig zu wählen.
Edith, Pierre, Alessia und Lilly Becker erkennen den Hintergrund dieses dramturgischen Reality-TV-Schachzugs, Timur jedoch möchte seine hochehrenhafte Gutmenschenaura nicht riskieren und rebelliert gegen die Kategorisierung von Gewinnern und Verlierern: „Warum macht man das? Das ist nicht teambildend!“
Offenbar ist Timur Ülker von RTL unter falschen Voraussetzungen zu seinem ersten Reality-TV-Projekt überredet worden und hat zuvor auch nie eins gesehen. Er scheint, (obwohl selbst er bemerkt haben muss, dass er inzwischen nur noch mit vier statt mit elf anderen auf den bankähnlichen Baumstämmen hockt) zu denken, im Finale würde ein Gewinnerteam gebildet. Gut, schlechter als Borussia Dortmund würde eine Fußballmannschaft aus den zwölf Dschungelprotagonisten in der Bundesliga auch nicht abschneiden, aber dennoch wird Timur Ülker, der Lieblings-Nacktbildversender von Bill Kaulitz, morgen sehen: Am Ende wird es nur einen Dschungelkönig geben.
Timur will „das Gleichgewicht wieder herstellen“
Mit entsprechendem Unverständnis reagieren die vier Mithalbfinalisten. Edith Stehfest etwa appelliert an die notwendige Härte, die man für ein solches Format benötigt: „Es ist wichtig, dass man die Pobacken zusammenbeißt!“ Und das ist korrekt. Noch wichtiger ist eigentlich nur noch, dass man die Zähne zusammenkneift.
Am Ende rettet sich Timur bei der Abstimmung damit, als letzter seine Stimmen abzugeben und in einer langatmigen Regierungserklärung zu verkünden, er vergäbe die Krone an Edith und die Anti-Krone an Pierre. Das aber nicht, weil das seinen Sympathien oder seiner Prognose entsprechen würde, sondern weil beide diese Karte jeweils noch nicht bekommen hatten und er damit „das Gleichgewicht wieder herstellen“ möchte. Seine vier verbliebenen Mitbewerber um das Dschungelzepter 2025 schauen sich entgeistert an. Alessia Herren findet glücklicherweise als Erste wieder zur Sprache: „Super, dann kannst du dich ja jetzt wieder hinsetzen!“
„Dann ist das wohl Reality-TV. Aber ich bleibe mir treu, ich muss kein Teil davon sein!“
Einen Tag vor dem Finale sickert das Konzept des Showformats, für das er zugesagt und bis nach Australien gereist ist, offenbar auch bis zu Timur durch: „Dann ist das wohl Reality-TV. Aber ich bleibe mir treu, ich muss kein Teil davon sein!“ Nein, nein, Timur. Musst du nicht. Die vergangenen 16 Tage legen wir einfach als Recherche für die Doku „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer D-Promis zur Ekelprüfungszeit“ ab.
Ganz realitykonform verhalten sich dagegen seine Mitstreiter. Sie begeben sich umgehend in die Analyse zu Timurs Verhalten. Pierre ahnt einen Zusammenhang mit Timurs „Zeit in der Armee“, Lilly kann sich das nicht vorstellen. Sie vermutet eher einen Drogenhintergrund: „Wir haben alle eine Shisha!“ Dachte ich zumindest. Nach kurzer Überprüfung durch den Videoschiedsrichter steht jedoch fest: Lilly sagte in ihrem niederländischen Akzent: „Wir haben alle ein Schicksal!“ Das macht auch nicht viel mehr Sinn als das mit der Shisha, aber die korrekte Wiedergabe aller Aussagen ist natürlich Hauptbestandteil dieser Kolumnenserie.
Am Vorabend des großen Dschungelfinales hat RTL dann jedoch keine Kapazitäten mehr, große Aufklärungskampagnen zu fahren. Sonja Zietlow und Jan Köppen, die Kandidaten-Exekutoren, marschieren erbarmungslos ins Lagerfeuerauditorium und verkünden gleich zwei Exit-Personalien. Relativ kurz und schmerzlos eröffnen die beiden Oberhemden-Exzentriker, die Zuschauer würden weder Edith Stehfest noch Timur Ülker im Finale sehen. Die beiden müssen das Dschungelcamp im Halbfinale verlassen.
Die Ausmusterung von Edith und Timur ist auch für Maurice ein Höhepunkt der gesamten Staffel: „Das kam runter wie warme Semmeln.“ Leider die letzte philosophische Sternstunde des Ruhrpott-Poeten, denn der sitzt ja bereits seit gestern wieder im Teamhotel. Oder wie Franz Beckenbauer es immer nannte: Hotel der Verlierer. Jetzt haben wir es beinahe geschafft. Noch ein Abend voller Prüfungen, emotionale Ansprachen und dem traditionellen Wunsch-Dinner, dann steht fest, wer am Ende den Thron besteigen darf und Dschungelkönig oder Dschungelkönigin wird. Alle Details verrate ich morgen genau hier. Bis dann!