
Drogengangster können es sich selten erlauben, mit einer Waffe an ihrem Kopf auf ihre Rechte zu bestehen. Das macht das Geschäftsmodell von Ray (Brian Tyree Henry) und Manny (Wagner Moura) zu einem nahezu unantastbaren Betrug: In gefälschter Kleidung der Drug Enforcement Administration, kurz DEA, stürmen die beiden private Drogenlabore in Philadelphia, plündern sie unter dem Vorwand einer Razzia und zeigen sich den Gangstern gegenüber gnädig. Die wiederum sind einfach nur froh, nicht erschossen oder verhaftet worden zu sein, und alle sind zufrieden – bis eines Tages nichts nach Plan läuft.
So steigt die neue Apple TV+-Serie „Dope Thief“, basierend auf Dennis Tafoyas gleichnamigem Roman, ein und lässt die Zuschauerschaft in einem Strudel aus Düsternis und Drogenhölle versinken.
Ray und Manny sind so professionell in ihrem Geschäft, wie sie es als Kriminelle eben sein können: Sie haben ein eingeübtes Vorgehen, klare Prinzipien und bezeichnen sich selbst als Robin Hoods der Unterwelt Philadelphias. Bei einem Einsatz allerdings kommt es zu Toten, und die beiden sind von nun an auf der Flucht vor den brutalsten und skrupellosesten Drogenbossen der ganzen Ostküste, während sich die Schlinge um ihren Hals unerbittlich weiter zuzieht.
An Gewaltszenen wird dabei nicht gespart, explizite Exekutionen und brutalste Folterungen muss die Zuschauerschaft ertragen können. Besonders gelungen ist die Darstellung der US-amerikanischen Drogenrealität: Die generationale Weitergabe von Sucht- und Gewaltverhalten wird am Verhältnis von Ray und seinem Vater illustriert, die zerstörerische Macht von Drogen genauso aufgezeigt wie ein Schmerz, der ohne Betäubung kaum zu bewältigen scheint.
Die echte DEA
Henry und Moura spielen die unfreiwilligen Gangster, die eigentlich Träume von Familienleben und Eigenheim hatten, mit Hingabe und Feingefühl. Besonders Henry kann in „Dope Thief“ das Vermächtnis seiner legendären Rolle des Rappers Paper Boiin der Serie „Atlanta“, wegweisend für eine politisch involvierte und genauso lustige wie tragische Darstellung von Rassismus auf den Fernsehbildschirmen, fortsetzen: Etwa, wenn er nach einem Überfall auf eine jugendliche Drogenbande mit PoC-Mitgliedern feststellt, im Grunde habe er ihnen geholfen, von nun an vorsichtiger zu sein – die echte DEA hätte sie schließlich wirklich erschossen – und das pochende Unbehagen zurückbleibt, dass diese Logik nicht völlig von der Hand zu weisen scheint.
Die exquisite Besetzung der Serie, die von den beiderseits oscarnominierten Stars Ridley Scott und Peter Craig realisiert wurde, hört beim weiblichen Cast nicht auf: Marin Ireland glänzt als Undercover-Polizistin, Kate Mulgrew als Rays Ziehmutter. Beide Frauenfiguren kontrastieren dabei in ihrem angstfreien und pragmatischen Sein die männliche Unterwelt und bieten der Gewalt der Männer die Stirn. Gut schlafen wird nach „Dope Thief“ wohl niemand.
Wer allerdings emotionale Kapazität für ein herausforderndes und mitunter schwer zu ertragendes Drogenspektakel hat, wird mit einem Brian Tyree Henry, der alle anderen an die Wand spielt, belohnt – und mit Figuren, deren Schattenseiten so sanft gezeichnet sind, dass man manchmal den Übergang von Licht und Dunkel kaum mehr erkennt.