Die sehenswerte Berlin-Biennale feiert den Widerstand

Der Fuchs ist, wenn man den einschlägigen Fachbüchern glaubt, ein wildes Tier. Jedenfalls ist er kein Haustier. In Berlin und anderen Großstädten ist er mittlerweile aber eine Art Mittelding geworden, nicht zahm, aber auch nicht wild, sondern ein sogenannter „Kulturfolger“, der sich an den städtischen Lebensraum des Menschen anpasst und in Parks und Reihenhaussiedlungen mehr Nahrung findet als in Wald und Wiesen.

Wie sähe eine Kunst aus, die im Geist des Fuchses operiert – sich Räume erobert, aus denen sie ferngehalten werden sollte, sie durch- und unterwandert, zum Zwitter wird, einem neuen Wesen, das sich unter widrigen Umständen mit Einfallsreichtum gut einrichtet: Das ist eine der Fragen, die die 1982 im indischen Mumbai geborene, zuletzt in Italien tätige Kuratorin Zasha Colah als Leiterin der 13. Berlin-Biennale stellt – und im Katalog mit einem Gedicht beantwortet: „Die Ausstellung bewegt sich wie ein Stadtfuchs / geschmeidig, mit bernsteinfarbenen Augen . . . Sie stiehlt Akte der Umwandlung – das Schimmern des Gewöhnlichen / das zu Ungewöhnlichem wird“.

Freiräume in repressiven Systemen

Was der „Foxism“, die Idee einer subversiven Anpassung und gleichzeitigen Unterwanderung, konkret bedeutet, kann man ab heute im traditionellen Hauptaustragungsort der Berlin-Biennale, den Kunst-Werken in der Auguststraße, erleben. Nicht alle Künstler, die in den vergangenen Jahren auf Biennalen gezeigt wurden, steigerten die öffentlichen Sympathien für Gegenwartskunst, manche überforderten sich selbst mit politischen Meinungen und waren auf weinerlich-fußstampfende Weise von der Richtigkeit der eigenen Ansichten überzeugt, andere retteten sich vor den Problemen der Gegenwart in einen noch heilloseren Immersionskitsch.

Colah hat es, zusammen mit ihrer Assistenzkuratorin Valentina Viviani, geschafft, eine Ausstellung zusammenzustellen, die zeigt, wie Künstlerinnen und Künstler unter repressiven Systemen, in Zeiten „einer ungebremsten Militarisierung, Justizwillkür und eines höllenhaften Ökozids“, mit Mut und etwas, das man lange nicht in der Gegenwartskunst zu sehen bekam, nämlich Humor, Ironie, Satire und Slapstick, Freiräume schaffen und die bedrohte Selbstbestimmung verteidigen können. Und mit einem, so Colah, „postapokalyptischen Optimismus“ auch in düsteren Situationen dagegen ankämpfen. Ein Werk, das diese Form von Protest und Witz ziemlich gut vorführt, ist eine Arbeit des polnischen Kollektivs Akademia Ruchu, das in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Polen durch anarchische Provokationen und Performances auffiel.

Szene aus Florentine Holzingers „Jahr ohne Sommer“
Szene aus Florentine Holzingers „Jahr ohne Sommer“AYWS, Mayra Wallraff, Bärbel Warneke, Renée Eigendor, Brigitte Ulm, Sue Shay

Bei der Aktion „Potknięcie“ etwa liefen Mitglieder von Akademia Ruchu vor dem damaligen Hauptquartier der Kommunistischen Partei auf und stolperten und stürzten plötzlich zum Schrecken der Passanten und der Wachen, taumelten auf Laternen und Leute zu und brachten Chaos und Unruhe vor die politische Machtzentrale; die Polizei konnte nichts dagegen tun, denn Stolpern stört zwar erheblich, aber ist leider nicht strafbar. Ähnlich trieb die 1986 geborene Han Bing auf dem Tiananmen-Platz in Peking die Wachen in den Wahnsinn, indem sie einen Kohl, das Hauptnahrungsmittel armer Menschen in China, wie einen Hund an einer Leine über den Platz führte, was man als Anklage lesen konnte, aber was ebenfalls nicht strafbar war.

Das Tier der digitalen Überwachung

Wer der Gegner der Freiheitsbewegungen ist, die ihr künstlerisches Symbolbild im Fuchs findet, konnte man am vergangenen Montagabend an der Berliner Volksbühne erleben, wo in Florentina Holzingers Monumentalperformancetheaterstück „Jahr ohne Sommer“ ebenfalls ein paar Vierbeiner auftraten, die genau das Gegenteil von Colahs Füchsen verkörperten. Weil alle Kritiker und Zuschauer sich begeisterten für – oder aufregten über – die Drastik der auf Großleinwände übertragenen Live-Öffnung einer vernähten Wunde im Bein einer Performerin, aus der dann eine kleine Embryofigur entnommen wurde, sprach kaum einer über eine der beeindruckendsten Szenen des Abends: die, als etliche Roboterhunde mit leuchtenden grünen Digitalaugen, wie man sie für Polizei- und Kriegseinsätze baut, im Stechschritt auf die Bühne losgelassen wurden. Die großen Kämpfe um Freiheit und Selbstbestimmung im Angesicht digitaler Überwachung und Militarisierung der Körper fanden so in Berlins Kulturorten ihre Symbole in Roboterhund und Fuchs.

Han Bing führt einen Kohl auf dem Tiananmen-Platz spazieren
Han Bing führt einen Kohl auf dem Tiananmen-Platz spazierenHan Bing/ Maya Kovskaya

Wie die Reliquie eines fuchshaften Ungehorsams steht Han Bings Ziehwagen für ihren Kohl in der zentralen Halle der Kunst-Werke. Im gleichen Raum hat Margherita Moscardini aus 561 nummerierten Sandsteinen eine Treppe errichtet, die an den Hof des Mariengrabes in Jerusalem erinnert. Zu jedem Stein gibt es ein Zertifikat von staatenlosen oder extraterritorialen Organisationen und Nationen, darunter Hochschulen, Klöster oder indigene Gruppen, denen Moscardini einen Stein schenkte und die sie dann darum bat, ihn als Bausteine für die Treppe zu spenden. Die Zertifikate legen fest, dass die Steine jetzt niemandem gehören, auch nicht dem Staat, auf dessen Territorium sie sich befinden. Die sich daran anschließende Frage ist, ob auf solch einem Ort, der keinem gehört, ein nicht hierarchisches Leben im Sinne von Derridas Idee der „absoluten Gastfreundschaft“ möglich wäre. In der Realität würde aber wohl die Berliner Polizei die Treppe als Teil von Berlin betrachten und dem schön arrangierten Haufen staatenloser Steine keinen diplomatischen Status zuerkennen.

Entdeckenswerte Gegenwartskunst

In ihrer Geschichte war die Berlin-Biennale mal ein Schaufenster der lokalen Kunstproduktion, mal brachte sie internationale Bewegungen in die Stadt. Diesmal lohnt sich der Besuch allein schon deswegen, weil nicht die immer gleichen Künstler zu sehen sind, sondern sechzig aus nahezu 40 Ländern stammende Künstler, die man kaum kennt – darunter viele aus Indien und Myanmar, über deren Gegenwartskunst man bisher wenig wusste, aber in der Ausstellung viel erfährt. Zum Beispiel über die Malerei von Zoncy Heavenly, die 2021, bevor sie nach Berlin zog, Mitorganisatorin des Protests von Frauen gegen den Militärputsch in Myanmar war, wo die Bäuerinnen, die Männer und Söhne, Haus und Land verloren, immer noch protestieren.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Beeindruckend sind auch die handgenähten Textilfiguren von Chaw Ei Thein, die Künstler und Aktivisten darstellen, die bei den Studentendemonstrationen 1996, bei der Safran-Revolution 2007 und nach dem Putsch 2021 durch Protestaktionen ihre Freiheit zu verteidigen versuchten. Ein Modell einer Brücke, die einen Versammlungsplatz überquert, erinnert daran, wie die Städte so umgestaltet wurden, dass vorgeblich die Viertel besser miteinander verbunden werden. Aber gleichzeitig dient die Architektur dazu, Scharfschützen einen besseren Überblick und freie Bahn bei der Niederschlagung von Massenprotesten zu geben. Ebenso ist die – in einer Arbeit der ägyptischen Künstlerin Huda Lutfi thematisierte – Bebauung des Tahir Square, der 2011 das Zentrum der regimekritischen Proteste gegen Präsident Mubarak war und jetzt mit einem Obelisken und vier antiken Sphinx-Statuen aus Luxor vollgestellt wurde, ein Versuch, Proteste abzuwürgen. Die in der Mitte des Platzes aufgebauten archäologischen Schätze werden von Polizisten bewacht, womit Massenproteste in Zukunft kaum mehr möglich sein werden.

Sehenswert sind auch die anderen Orte der Biennale, die Sophiensäle, der Hamburger Bahnhof und ein Gericht. Das argentinische Kollektiv Etcétera, das mit seiner neodadaistischen „Errorismus“-Bewegung bekannt wurde, die das Recht aufs Sich-Irren einfordert, will in einer interaktiven Installation gegen die Besiedlung des Mars durch Tech-Mogule wie Elon Musk und gegen die Ausbeutung indigenen Landes für die Lithium-Produktion protestieren.

Beide Welten finden in Berlin ihr Bild in den unterschiedlichen Vierbeinern: Holzingers Roboterhunde sind das Gegenteil der klugen Kulturfolger. Sie kündigen einen Tech-Totalitarismus an, für dessen Bekämpfung es sehr viele Füchse brauchen wird.