
Sie kommt im roten Pullover auf die Bühne, stöbert herum, bleibt stehen und setzt sich. Dann beginnt sie zu erzählen: von ihrer alkoholsüchtigen Mutter, die sie gehasst hat, von ihrer Karriere, von ihrer gescheiterten Beziehung. Und Henrik, der Regisseur, hört zu. Annas Mutter war seine Geliebte, und auch Anna ist ihm nicht gleichgültig, und für einen langen Moment, in dem die Theaterbühne zum Ort der Zeitreise wird, vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit, die Liebe, die verging, und das Versprechen der Zukunft. Dann geht der Probenbetrieb weiter.
„Nach der Probe“ heißt Ingmar Bergmans Film von 1983, Erland Josephsson spielt den Regisseur, und Lena Olin ist die Schauspielerin Anna. Damals war sie achtundzwanzig und ein Theaterstar. Bergman hatte sie, die frühere Miss Skandinavien, für seinen Film „Von Angesicht zu Angesicht“ entdeckt und ihr anschließend Hauptrollen in seinen Inszenierungen am Königlichen Theater in Stockholm gegeben, die Cordelia in „König Lear“, die Titania im „Sommernachtstraum“, die Julie in „Fräulein Julie“. Aber Lena Olin wollte ins Kino, und „Nach der Probe“ bahnte ihr den Weg.
Die Verkörperung erotischer Freiheit
Fünf Jahre später bekam sie die Rolle, mit der sie in die Filmgeschichte einging. In Philip Kaufmans Adaption von Milan Kunderas Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ spielt sie die Malerin Sabrina, die Freundin und zeitweilige Geliebte des Helden Tomas. Sabrina ist die Verkörperung der geistigen und erotischen Freiheit, der Tomas abschwört, um sich mit seiner anderen Geliebten Teresa nach dem Prager Frühling ins Privatleben zurückzuziehen. In einer Schlüsselszene betrachtet sie sich selbst in Unterwäsche und mit Bowlerhut in einem Rundspiegel, und Lena Olin gibt ihrer Figur genau die Mischung aus Melancholie und trotzigem Narzissmus, die Kundera in seinem Buch beschrieben hat. Das Foto dieses Augenblicks wurde zur Ikone des Films.

Danach standen ihr alle Türen offen, in Europa und Hollywood. Sie stand mit Robert Redford („Havanna“) und Richard Gere („Mr. Jones“) vor der Kamera, sie drehte mit Paul Mazursky („Feinde – Die Geschichte einer Liebe“) und Roman Polanski („Die neun Pforten“), und sie lernte ihren Ehemann Lasse Hallström kennen, der zugleich ihr verlässlichster Regisseur wurde. Seit Anfang der Zweitausenderjahre tritt sie auch im Fernsehen auf, als russische Agentin und Mutter der Heldin in „Alias“, als böse reiche Tante in „Riviera“, als Hitlers Gefährtin Eva Braun in „Hunters“ und zuletzt als Kommissarin in der schwedischen Krimiserie „The Darkness“.
Und so wie Lena Olins Karriere zwischen Low-Budget-Filmen und Großproduktionen, zwischen Industrie- und Autorenkino pendelt, oszillieren auch ihre Figuren zwischen Verletzlichkeit und Härte. In „Chocolat“ spielt sie die misshandelte Frau des Kneipenbesitzers, in „Romeo is Bleeding“ eine gnadenlose Killerin, in „Nachtzug nach Lissabon“ eine traumatisierte Widerstandskämpferin. In Stephen Daldrys Verfilmung von Bernhard Schlinks „Vorleser“ kommen beide Charaktere im Porträt einer Holocaust-Überlebenden zusammen, die Ralph Fiennes, dem Helden, knapp und klar den Unterschied zwischen Vergangenheitsbewältigung und wirklicher Sühne erklärt. Es ist eine kleine Rolle, aber Lena Olin macht sie groß. Am heutigen Samstag wird sie siebzig Jahre alt.