
28. September 2025 · Veronica Leoni ist die erste Frau an der Spitze von Calvin Klein. Von ihr hängt nicht nur die Zukunft der legendären New Yorker Marke ab.
Ein Kind der Neunzigerjahre, das voller Neugier und Enthusiasmus nach Amerika schaute – so erinnert sich Veronica Leoni an sich selbst. Als Teenager in Italien war Calvin Klein für sie der Inbegriff von Coolness: Kate Moss in Kleidchen, Carolyn Bessette-Kennedy in Schwarz, Weiß und Karamell, reduziert, cool, unvergesslich. Jetzt ist Leoni seit ein paar Monaten die erste weibliche Chefdesignerin der 1968 gegründeten Marke, hat ihre erste New Yorker Fashion Week hinter und zum Zeitpunkt unseres Treffens die nächste vor sich. Und die Vorfreude ist spürbar in den Räumen des Calvin-Klein-Hauptquartiers im Garment District von Manhattan.
Sie lernte bei Jil Sander, machte bei Celine weiter und führt jetzt Calvin Klein: Veronica Leoni führt nach eigenen Angaben ein Traum-Leben.
Seit mehr als sechs Jahren hatte man hier vor den Schauen im Februar keine Laufsteg-Kollektion mehr herausgebracht, nicht mehr an der Modewoche teilgenommen. Der legendäre Gründer lebt in New York und Los Angeles. Mit frischen Ideen aus Italien soll es jetzt bei seiner Marke wieder richtig losgehen. Nichts weniger als die Zukunft des Milliardenunternehmens, vielleicht gar der Rolle von New York in der Modewelt, stehe auf dem Spiel, schrieb die „New York Times“. Beim Fotoshooting in den weiß getünchten hohen Räumen ist von Druck nichts zu spüren, die Reaktionen auf die letzte Schau zur Fashion Week waren überwiegend positiv. Veronica Leoni ist gut gelaunt und probiert für den Fotografen einige Teile aus der aktuellen Kollektion an. Streng geschnittene Anzüge, schwarz, grau, schlammfarben, die durch die Kombination mit fließenden Materialien wie Seide oder Satin aufgelockert werden können. „Sexitude“ nennt Leoni diesen Stil, aus Sex und Attitude, und mit ihrem modernen Kurzhaarschnitt verkörpert sie ihn selbst.
Der Raum, in dem Leoni für den Fotografen posiert, könnte überall sein: cremefarbene Sofas, reduziertes Design, Blick auf Hochhäuser. Doch nebenan sitzen Frauen und Männer hinter Nähmaschinen. Hier wird nicht die Massenproduktion gemacht, sondern Feinarbeit für den Laufsteg. Die Maschinen surren, Mitarbeiter beugen sich über Entwürfe, im Nebenraum hängen Stoffe und halb fertige Kleider. Leoni und ihr Team sind stolz auf diesen Raum, in dem fast 50 Jahre Tradition stecken. Calvin Klein bezog das Gebäude 1970. Sein Originalbüro haben sie auf dem zehnten Stockwerk erhalten.
Veronica Leonis Leben spielt sich zur Zeit zwischen New York und Rom ab, wo sie mit ihrer Frau lebt. In beiden Städten hat sie ein Team, und immer wieder macht sie sich auf den Weg über den Atlantik, verbringt ein bis zwei Wochen pro Monat im Hauptquartier in Manhattan. Das sei viel weniger stressig, als es sich anhöre, sagt Leoni anderntags. New York gebe ihr immer wieder eine besondere Energie. Rom sei verwurzelt in der Vergangenheit, während hier alles nach vorn strebe. Sie genieße den Wechsel zwischen diesen beiden unterschiedlichen Energien. Eigentlich sei das im Moment „die Logistik eines Traum-Lebens“.
Eigentlich hat Veronica Leoni Literatur studiert. Sie kommt nicht aus einer Künstler- oder Akademikerfamilie. Ihre Eltern betrieben ein Café am Stadtrand von Rom, arbeiteten viel, und so war sie oft bei ihrer Großmutter Quirina, die ihr das Nähen beibrachte. Die Großmutter habe ihr Leben lang Bürojobs gemacht, habe aber auch sehr gut Kleider nähen können. Als Kind war das Nähen und Knöpfeaussuchen für Veronica Leoni Teil des täglichen Spielens, eine Art, ihrer Großmutter nahe zu sein. Und sie habe immer gewusst, dass sie etwas damit machen, Designerin werden würde: „Mein Zugang zu Mode ist der bescheidenste, den man sich denken kann, ein handwerklicher vor allem anderen.“ Gleichzeitig sei sie ein sehr neugieriges Kind gewesen, habe Mathematik und Literatur geliebt. Und so sei das Studium dazu dagewesen, diese Neugier zu befriedigen – aber was ihre Berufung gewesen sei, ein komisches Wort, sagt sie, sei eigentlich immer klar gewesen. Modekurse besuchte Leoni als Teil der Kulturstudien, nicht isoliert. Dafür sei das italienische Hochschulsystem gut. Nach Amerika kam sie erst viel später, aber es bestimmte ihre Vorstellungswelt seit Teenagertagen, genau wie Calvin Klein – sie erinnere sich an die CK-One-Kampagnen, an den „Kate-Moss-Moment, den Jenny-Shimizu-Moment“, daran, wie all das der Inbegriff der Coolness gewesen sei.
Dann kamen die ersten Praktika und Jobs – und niemand habe sie anfangs mehr geprägt als Jil Sander, sagt sie. Die Hamburger Designerin sei für sie eine der wichtigsten Frauen der Modewelt gewesen, ihr Stil sei ihrem eigenen sehr nah gewesen. „Ich hätte alles gegeben, um mit ihr zu arbeiten“, erinnert sich Leoni. An einem frühen Morgen in Mailand erfüllte sich ihr Traum. Sie stellte sich der Designerin vor und unterschrieb noch am selben Tag: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Jil Sander sei sehr detailorientiert gewesen, die strengen Lektionen aus dieser Zeit beeinflussten Leonis gesamte Karriere.
Die nächste Station war Celine, und nach der Corona-Pandemie gründete sie ihr eigenes Label, Quira, angelehnt an den Namen der Großmutter. Leoni traf in ihrer Karriere als Frau der Neunziger- und Nullerjahre manchmal auch auf Widerstände. Dass sie nun die erste Frau in ihrer Position bei Calvin Klein ist, fühle sich besonders an. Noch immer sind Frauen an der Spitze der Branche unterrepräsentiert. „Dabei sind wir keine Minderheit“, sagt Leoni, und es sei doch sehr einfach, talentierte Designerinnen für Positionen wie ihre zu finden, wenn man unter den vielen, die es gebe, auch suche. Über das Frauenbild mancher Amerikaner – und Amerikanerinnen – kann sie lächeln. Manchmal kommentieren Modejournalisten ihr aus amerikanischer Sicht wohl unkonventionelles Äußeres ungelenk. Ein Kurzhaarschnitt kann da schon reichen: Wie „ein Kobold mit einer Vorliebe für Rockabilly auf dem Weg zu einer Architekturmesse“ sehe Leoni aus, war von der Modekritikerin der „New York Times“ zu lesen.Erste
Sie wünscht sich, dass Menschen ihre Kleider den ganzen Tag tragen.Fotos: PR
Zu Calvin Klein kam sie auf unspektakuläre Weise, durch eine Recruiterin. Aber auch das habe sich angefühlt wie die logische Fortsetzung ihres Wegs, fast wie Bestimmung. Und wieder: Liebe auf den ersten Blick – damals bei Jil Sander in Mailand lag das Büro gegenüber dem von Calvin Klein, erinnert sich Leoni und lacht. Das Debüt im Frühjahr lief gut, man feierte die Wiederkehr eines „monumental minimalism“. Calvin Klein selbst habe sie überrascht, als er zur Modenschau kam, und es habe sie sehr bewegt. Sie hat ihn ein paar Mal getroffen, ein großzügiger Mann, sagt sie, „ein Mann voller Geschichten“.
Was Leoni sich für die Marke wünscht, ist ein „Sieben-Uhr-morgens-bis-sieben-Uhr-abends-Gefühl“ – dass Menschen ihre Kleider den ganzen Tag tragen, vom Büro in die Bar gehen können. Da ist sie wieder, die „sexitude“. Es sei bei Calvin Klein auch immer darum gegangen, den eigenen Körper feiern und zeigen zu können, für alle Geschlechter. Wenn so ein Kleidungsstück entstehe, mit den Mustern, den Proportionen, dem Reduzieren vieler Einfälle auf das Wesentliche, dann helfe ihr bis heute die Mathematik, die sie in ihrer Jugend so begeisterte.
Inspiration finde sie überall, sagt Leoni, auch auf der Straße. „Nehmen Sie nur die Farben in Rom, die Gewänder der Priester im Vatikan.“ Doch dazu müsse immer die Phantasie kommen: „Wir schaffen im Grunde Begierden, Geschichten, die die Straße noch nicht kennt.“ Es gehe also nicht darum, nur das Alte zu zitieren, die Zeit, als Calvin Klein Kult war. Als der Gründer selbst aufhörte, war Leoni noch nicht einmal in der Branche, deswegen bringe sie einen anderen Blick mit: „Wir machen hier keine nostalgische Übung. Wir nutzen das Archiv als Inspiration und Energiequelle, aber unser Blick ist auf die Zukunft gerichtet.“
Und obwohl das alles aufregend ist, obwohl hier an der 39. Straße Träume einer italienischen Neunzigerjahre-Jugend in Erfüllung gehen – dass es keine normalen Zeiten in den Vereinigten Staaten sind, ignoriert Leoni nicht. Die politische Lage rufe bei vielen Menschen Angst hervor, sagt sie. Schönheit, Mode, Kunst – sie böten auch Zuflucht und die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu verbinden.