
Ein
Spruch aus der Zeit des Kalten Krieges lautete: Besuche die Sowjetunion, bevor
sie dich besucht. Ob der Spruch dem US-amerikanischen Theatermacher Robert
Breen, der als Regisseur und Koproduzent im Jahr 1952 George Gershwins 1935
uraufgeführte Oper Porgy and Bess neuinszenierte, je zu Ohren
kam, ist nicht überliefert. Fest steht aber, dass Breen weder Mut noch Mühen
scheute, um seinem Ensemble, das mit Porgy and Bess am Ende vier
Jahre durch die Welt touren sollte, einen Auftritt in Leningrad und Moskau zu
verschaffen. Also verfasste er einen Brief an Nikolai Bulganin, Marschall der
Sowjetunion und Mitglied des Politbüros der UdSSR, der das Schreiben an Nikolai
Michailow im Kulturministerium weiterleitete, und siehe da: Das einsetzende
politische Tauwetter legt den guten Willen frei. Die Genossen gewähren
finanzielle Unterstützung und steuern für die Aufführung sogar eine handzahme
Ziege bei.
Wir
schreiben das Jahr 1955. Stalin ist seit drei Jahren tot. Breen ist sich
absolut sicher, dass die Gershwin-Oper bei den Russen wie eine Bombe
einschlagen wird. Schließlich hätten sie so etwas noch nie zu Gesicht bekommen
– ein Ensemble aus lauter schwarzen Sängerinnen und Sängern, das das Leben in
einer elenden Siedlung im tiefsten amerikanischen Süden auf die Bühne bringt;
herzerwärmend, kess, radikal und erotisch. Wäre doch gelacht, wenn das nicht
die dickste Eisscholle auf der Newa zum Schmelzen bringt! In Breens
Künstlertruppe ist zu diesem Zeitpunkt längst Routine eingekehrt. Sie ist
erfolgsverwöhnt. Andauernd mehrere Vorhänge, Standing Ovations; da tut ein
bisschen Abkühlung – in Leningrad ist es zwanzig Grad unter null – ganz gut.
Außerdem setzt der Opernstoff zwei Jahrzehnte nach seiner Uraufführung
allmählich Staub an. Wie erhofft, rüttelt die Reise in die Sowjetunion die
Presse wach. Sie geht in die Geschichte der Beziehungen der USA zur UdSSR ein
als erster Kulturaustausch zwischen den beiden Staaten nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs.
Hat
Truman Capote sein Champagnerglas abgestellt und ist vom Sofa hochgeschnellt,
als er von den Reiseplänen der Theatertruppe gehört hat? Wir wissen es nicht.
Jedenfalls witterte der US-amerikanische Schriftsteller offenkundig einen guten
Stoff. Sieben Jahre waren vergangen seit Erscheinen seines erfolgreichen
Debütromans Andere Stimmen, andere Räume, jetzt war die Gelegenheit, zu
anderen Stimmen und Räumen zu reisen. Als Journalist mischt er sich unter den
Tross von Künstlern, Dolmetschern, Bühnenarbeitern, Betreuern, Diplomaten und
Managern, als der in die UdSSR einreist. Man munkelt, dass sich in diesem
illustren Wimmelbild auch ein KGB-Agent versteckt. Ein Psychologe wird
kurzerhand noch aussortiert.
Im
Jahr 1956 erscheint dann mit Die Musen sprechen Capotes kleiner munterer
Reisebericht. Es ist sein erster Tatsachenroman, der dem Genre des New
Journalism den Weg bereitet. Doch erst gut zehn Jahre später wird Capote mit
dieser Erzählform in Kaltblütig (1965) für Furore sorgen, die
Kriminalgeschichte wird zu einem Weltbestseller. Aber schon in Die Musen
sprechen jongliert Capote sicher mit journalistischen und literarischen
Betrachtungen und balanciert alles auf höchstem Niveau aus, und das mit einer
Leichtigkeit, die beim Wiederlesen geradezu beglückend ist.
Capote,
der klischeehaft als schwatzhafter Dandy, als Klatsch- und Tratschjunkie mit
Piepsstimme erinnert wird und der von sich selbst sagte, er sei so groß wie
eine Schrotflinte und genauso laut, wird hier zum stillen Beobachter. Er ist
wie eine Muschel im schäumenden Meer der Ereignisse, die ganz genau weiß, wann
sie sich öffnen und schließen muss, um an ihrer Perle zu arbeiten. Der Verlag
Kein & Aber hatte Die Musen sprechen bereits in dem Band Die Hunde
bellen neuveröffentlicht, in dem Reportagen und Porträts von Capote versammelt
sind. Aber nun wurde die Perle herausgelöst, und der Roman liegt wieder als
Einzelausgabe in der Neuübersetzung von Marcus Ingendaay vor.
Capotes
Arbeit beginnt, als der Porgy-and-Bess-Tross nach einem Auftritt in
Westberlin in drei Charterbussen zum Bahnhof nach Ostberlin gekarrt wird. Von
dort soll der Sowjetzug nach Leningrad abfahren. Er hat den märchenhaften Namen
„Blauer Express“, ist aber grün. Die Deutsche Bahn hätte die Abfahrtszeit nicht
konkreter benennen können als: zwischen vier Uhr nachmittags und Mitternacht.