Was ist mehr als nur der nächste mögliche große Deal?
Der mögliche Verkauf der ITV-Sender an Comcast/Sky. Es wäre ein weiterer Schlüsselmoment einer TV-Neuordnung in Europa. Diese Woche wurde bekannt, Comcast will für rund 1,6 Milliarden Pfund die Media-&-Entertainment-Sparte von ITV übernehmen. Free-TV-Kanäle plus Streamer ITVX, ohne ITV Studios. ITV würde damit zum „pure play“ Produktionshaus, das sein Geld mit globaler IP statt mit einem schwächelnden britischen Werbemarkt verdient. Comcast/Sky bekäme im Gegenzug das kommerzielle Rückgrat des UK-TV. Gemeinsam kontrollieren sie künftig einen Großteil (etwa 70%) des TV-Werbevolumens und einen riesigen Reichweiten- und Daten-Stack, linear, addressable, Streaming. Genau das macht den Deal so heikel. An den ITV-Kanälen hängt eine sogenannte Channel-3-Lizenz mit Public-Service-Pflichten bis 2034. Wenn dieses PSB-Asset einem US-Konzern gehört, ist das mehr als nur eine Marktfrage. Es geht darum, wer künftig definiert, wie Nachrichten, Regionen und britische Inhalte im wichtigsten privaten Vollprogramm aussehen. Die Medienregulierungsbehörde Ofcom und CMA (Kartellamt) müssen also nicht nur Marktmacht, sondern auch die politische Zumutbarkeit von US-Ownership in einem zentralen PSB-Baustein bewerten. Gleichzeitig zeichnet sich ein klares Muster ab. In DACH zieht sich Comcast zurück und verkauft Sky Deutschland an RTL, dort soll bekanntlich ein regionaler Champion mit Free-TV, RTL+, Sky-Sport und gemeinsamer Vermarktung entstehen. In UK versucht derselbe Konzern sich zum dominanten Bewegtbild-Gatekeeper hochzuziehen: Sky + ITV + ITVX als kommerzielle Schaltzentrale eines Marktes, in dem die BBC ohnehin unter Druck steht. Und ITV Studios? Deren Verkaufs- oder Fusionsfantasien werden durch den Deal eher größer als kleiner. Ein ITV, das nur noch aus Studios besteht, passt perfekt in die Pläne von RedBird IMI, Banijay & Co. Der Sky/ITV-Deal wäre damit kein Endpunkt, sondern der Auftakt zur nächsten Konsolidierungsrunde, mit der offenen Frage, ob Europa damit wirklich schlagkräftiger gegen US-Tech-Plattformen wird oder nur abhängiger von wenigen neuen Gatekeepern. Mit Comcast im Norden, der RTL Group in der Mitte und MFE im Süden.
Welches Gespräch fand ich sehr erfrischend?
Den Podcast „Es ist vorbei“. Werber-Ikone und Branchen-Provokateur Amir Kassaei spricht mit Innovations-Macher und Company-Builder Lars Behrendt – und sie stellen der Kreativ-Werbebranche, wie wir sie kennen, den Totenschein aus. Die goldene Ära der großen Kampagnen sei vorbei, Kommunikationsdienstleistung sei zur Commodity geworden. Treiber hierfür seien Technologie und KI (exponentielle Beschleunigung), Einkauf & Stundenlogik (falsches Preismodell) sowie risikoaverse Kundenstrukturen. Die beiden plädieren für ein neues Agenturmodell: weg von „Werbung produzieren“, hin zu kreativer Problemlösung auf Augenhöhe, bezahlt nach Substanz und Wirkung, und nicht nach Stunden. Man solle die Konzeption entkoppeln von der Exekution und in Erfolgs- und Malus-Beteiligung denken. Große Konzerne seien dafür aber oft zu starr wegen Compliance-Hürden. Innovation entstünde eher dort, wo es gut läuft und kreative Ressourcen auf Mut treffen, nicht dort, wo „Feuerwehr“ herrscht. Weiter sinngemäß: Awards-Geilheit, Purpose-Rhetorik und Mittelmaß hätten die Relevanz der Werbebranche erodiert. Produktqualität müsse wieder wichtiger als Lautstärke werden. Und: In fünf bis sieben Jahren werde das alte System kollabieren. Dann entstehe eine neue Welle aus Teams, die Kreativität + Beratung + Technologie wirklich verbinden. Kreative Zerstörung, nach Schumpeter, Mut, radikale Selbstkritik und qualitatives statt quantitatives Wachstum seien jetzt gefordert. Ich kann dieser Sichtweise viel abgewinnen. Vor kurzem schrieb ich hier über den Absturz der Werbeholding WPP. Nun gab die neue CEO Cindy Rose bekannt, man wolle McKinsey für einen „strategic review“ beauftragen. Auf deutsch: um von der alten Welt zu retten, was noch zu retten ist. Das ist wohl weniger das, was die zwei Herren beim Gespräch im Kopf hatten.
Welche Kampagne trug dazu bei, politisches Engagement für junge Menschen sozial erstrebenswert zu machen?
Die des frisch gewählten New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani. Die Lektion ist entwaffnend simpel. Mamdani hat Politik wie ein Creator gedacht, mit klarer Bildsprache, radikaler Verdichtung der Botschaft und echter Community-Arbeit. Forbes sieht drei Marketing-Prinzipien: kulturelle Symbole (NYC-Ikonen statt steriler Parteifarben), brutale Einfachheit (ein Satz, ein Versprechen, ein Hook) und Grassroots-Community (Mitmachen statt Bespielen). Genau diese Mischung hat ihn auf TikTok/YouTube groß gemacht und an die Spitze der Stadt gebracht. Eine visuelle Kampagne, die sich aus der DNA der Stadt speist (Bodegas, Subway, Bollywood-Anleihen), kombiniert mit Social-First-Content, der wie Unterhaltung funktioniert und trotzdem Politik erklärt. Ergebnis: junge Wähler fühlen sich gesehen und machen mit. Was heißt das für Deutschland? Parteien der Mitte dürfen dieses Feld nicht den Rändern überlassen. Wer 2025/26 junge Menschen erreichen will, muss raus aus dem Pressemitteilungs-Modus, der Musik von vorne, dem Lehrer-Erklärbär-Status und rein in Formate, die ohnehin geschaut werden. Creator-Collabs, Short-Form-Serien, lokale Symbole statt generischer Bundesadler-Optik, echte Community-Touchpoints on- und offline. Sonst setzen AfD und Linke die Bilder und damit die Frames. Ich finde, die politische Mitte braucht eine Creator-Strategie. Klares Narrativ in einem Satz, wiedererkennbare Stadt-/Regional-Ikonografie, Weekly-Show auf Reels/Shorts (aber bitte nicht wie weiland die Scholz-Aktentasche), messbare Calls-to-Action (Mitmachen, Spenden, vor allem: Wählen) usw. Es geht nicht um „mehr Social“, sondern um eine Politik, die man abonnieren will.
Welcher Bericht hat zurecht bei einigen, aber nicht allen für einen Aufschrei gesorgt?
Jeder zehnte Dollar stinkt – das ist die Botschaft der Reuters-Recherche zu Metas „Scam-Ökonomie“. Interne Dokumente zeigen: Ein erheblicher Teil des Meta-Umsatzes stammt aus betrügerischen oder mindestens hoch dubiosen Anzeigen. Investment-Scams, Fake-Shops, Sextortion. Gesperrt wird erst, wenn die Systeme sich fast sicher (95%) sind, dass es Betrug ist. Liegt die Wahrscheinlichkeit darunter, werden die Anzeigen nicht gestoppt, sondern einfach teurer. Verdächtige Werber zahlen Aufschlag, Meta verdient mit. Betrugsbekämpfung findet innerhalb enger Umsatz-Grenzen statt. Damit die Prognose nicht wackelt. In Deutschland ist das angekommen. Fachmedien von Meedia bis heise ordnen die Zahlen klar kritisch ein. Auf LinkedIn melden sich erste Schwergewichte. Carsten Schwecke (CEO Ad Alliance) spricht offen von einem massiven Brand-Safety-Risiko. „Mr. Media“ Thomas Koch adressiert die OWM (Organisation Werbungtreibende im Markenverband) und fragt, wie leise die werbungtreibende Industrie bleibt, wenn einer ihrer wichtigsten Media-Partner zweistellige Milliardenbeträge mit mutmaßlichem Betrug macht. Botschaft: Wer hier weiter ungerührt bucht, ist nicht nur Opfer, sondern Mitfinanzier. Auffällig ist jedoch, was fehlt. Es gibt bislang keine klaren Statements von OWM, BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft), GWA (Gesamtverband Kommunikationsagenturen) & Co. Keine formale Linie, keine Drohkulisse, keine Androhung von Spend-Verschiebungen. Genau das bräuchte es aber jetzt. Eine gemeinsame Resolution der Verbände, die Scam-Umsätze in dieser Größenordnung explizit als inakzeptabel definiert. Und eine verbindliche Brand-Safety-Initiative, in der Advertiser, Agenturen, Vermarkter und Plattformen harte Standards und echte Konsequenzen vereinbaren. Ich finde: Reuters hat geliefert, die Medien kommentieren, die Politik wird folgen. Jetzt aber ist die Branche dran. Solange sie schweigt, stinkt nicht nur jeder zehnte Dollar – ein bisschen stinkt auch ihr Schweigen.
Und welche zwei Produktionen möchte ich ausdrücklich loben?
Zwei Filme über den Terror in Paris 2015. Sky erzählt die Stadion-Nacht breit, investigativ: „Die Nacht von Paris – Terror am Stade de France“ (Auftraggeber: Sky Deutschland; Regie Christian Twente & Markus Brauckmann; Produktion LEONINE Documentaries), rekonstruiert die Ereignisse rund ums Stade de France minutiös, mit Stimmen von Bierhoff bis Hollande. Der BR/ARD setzt auf Nähe und Innensicht: „Terror. Fußball. Paris 2015 – Die Nationalmannschaft im Visier“ (Auftraggeber: BR/ARD Das Erste; Regie Uli Weidenbach & Uli Voigt; Produktion Stereo Films) blickt aus der DFB-Kabine auf Schock, Stille und die Hannover-Absage vier Tage später. Zwei Blickwinkel. Sky bringt die größere Tatort-Spannweite – inklusive Täterfokus – „rekonstruieren den Tag minutiös und präziser“, urteilt epd medien. Die ARD kontert mit emotionaler Nähe („Du denkst, du gehst zum Fußballspiel – und am Ende war das der schwärzeste Tag“, Schweinsteiger) und exklusiven Nachwehen-Recherchen. Die ARD-Premiere holte 7,8 % gesamt und zweistellig 14–49 zur Primetime, was sehr gut ist. Die Süddeutsche fasst den erinnerungspolitischen Kern prägnant: „Der Knall in Spielminute 17 … hallt bis heute nach.“ Daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern. Ich habe beide Dokus verschlungen. Zwei hochwertige Filme – privat und öffentlich-rechtlich – zur selben Geschichte, in Konkurrenz und Ergänzung. So entsteht ein vollständigeres Bild einer Nacht, die Sport, Politik und Öffentlichkeit verändert hat. Ich finde, wir können uns in Deutschland glücklich schätzen, dass solche Arbeiten aus einer vielfältigen, pluralistischen Medienlandschaft entstehen, und ich wünsche mir mehr davon zu weiteren relevanten Themen.
- Die Filme können bei Sky / Wow beziehungsweise in der ARD-Mediathek gestreamt werden
