Wenn man wissen wollte, was dieser Sieg den Bayern bedeutete, konnte man zum Beispiel Harry Kane zuhören. Der Engländer, seit knapp zweieinhalb Jahren im Verein, wusste um die jüngere Pokalgeschichte der Münchner, die auch schon vor seiner Ankunft alles andere als eine Erfolgsgeschichte war. „Wir haben darüber am Anfang der Saison gesprochen“, sagte er: kein Pokalsieg seit 2020, nur einmal überhaupt im Viertelfinale. Und dieses 3:2 bei Union Berlin, das am Mittwochabend den Einzug in die Runde der letzten Acht brachte, sei zwar „nicht unser ansehnlichstes Spiel“ gewesen. Aber Abende wie dieser würden helfen, nicht nur an dieser Geschichte etwas zu ändern. „Ich glaube“, sagte Kane, „das war der nächste Schritt, den wir gebraucht haben.“
Man konnte aber auch einfach auf Joshua Kimmich im Augenblick des Abpfiffs schauen. Die Fäuste geballt, das Gesicht eine Grimasse, alle Fasern brachten zum Ausdruck: Geschafft!
Später sagte Kimmich, dieses Pokalduell sei in der zweiten Hälfte ein einziges „Ackern und Rammeln“ gewesen. Und während man sicher sagen konnte, dass sich die Rhetorik dem rustikalen Spiel anpasste – Sportvorstand Max Eberl lobte die Mannschaft dafür, „mannhaft“ gespielt zu haben -, durfte man zugleich annehmen, dass die Bayern auch ein Stück weit schwankten: zwischen dem Glauben, den nächsten Entwicklungsschritt gemacht zu haben, und purer Erleichterung.
Gesprochen wurde vor allem über Ersteres. Über jenes andere, grimmige Bayern-Gesicht, von dem auch Vincent Kompany sagte, dass man es brauche, „wenn man am Ende dabei sein will für die Preise“. Doch trotz einiger handfester Indizien: Als Beweis dafür taugte dieser ganz spezielle Berliner Pokalabend noch nicht. Das zweite Aufeinandertreffen an der Alten Försterei binnen dreieinhalb Wochen war ein gleichermaßen schwergängiges, aber auch ein völlig anderes Spiel als das 2:2 in der Bundesliga, das Kane den Münchnern mit einem späten Tor gerettet hatte.
Die Münchner legen los wie die Super-Bayern
Diesmal legten sie gleich von Beginn an richtig los wie die Super-Bayern, die sie bis zum ersten Berlin-Besuch noch waren, und auch wenn sie bei zwei der drei Treffer vor der Pause das Glück hatten, dass die Unioner den Ball ins eigene Tor beförderten, konnten sie mit Fug und Recht behaupten, dass sie dieses Glück erzwungen hatten. Mit Druck und Dominanz, die zuerst zu Standardsituationen und in der Folge zu den Missgeschicken von Ilyas Ansah (12. Minute) und Diogo Leite (45.+4) sowie dem eigenen Treffer durch Kane (24.) führten.
Vor allem die ersten 35 Minuten, sagte Eberl, seien „sehr, sehr gut“ gewesen. Warum es dann immer gegen Union so schwer sein, mochte er allerdings nicht mehr beantworten. Man konnte es auch so formulieren: Die Bayern waren sehr, sehr gut, als es darum ging, Kontrolle auszuüben. Sie waren aber längst nicht mehr so gut, als es darum ging, die Kontrolle zu behalten. Als die Berliner mit Leidenschaft pressten, sich in jeden Ball warfen, dabei alle denkbaren Spielarten von Strecksprüngen und Scherenschlägen zeigten und damit auch ihr Publikum mitrissen.

Und auch wenn sie ihrerseits ein bisschen Glück benötigten, um durch zwei Elfmetergelegenheiten im Spiel zu bleiben, die Leopold Querfeld zum 1:2 (40.) und 2:3 (56.) nutzte: Wenn das Team von Steffen Baumgart irgendwann zwischen der 70. und 77. Minute den Ball auch einmal so ins Tor gezwungen hätte wie vorher Kompanys Bayern, dann hätte es niemanden an der Alten Försterei überrascht, wenn den Münchnern das Spiel und damit die Pokalsaison ganz entglitten wäre. Und man hinterher wie manch anderes Mal in den vergangenen Wochen über die Schluder-Bayern hätte sprechen müssen.
Es brauchte also schon einen gewissen Spin, um dem Spiel jene rundum freundliche Lesart von der Freude am Verteidigen, fast schon der Lust am Leiden zu verleihen und dabei eine Linie von Paris (Saint-Germain) nach Berlin zu ziehen, wie Sportvorstand Eberl das tat. So wie es vorher bei den Standardsituationen von Kimmich und Michael Olise den besonderen Schnitt brauchte, um dieses Spiel in Richtung einer Erfolgsgeschichte zu bewegen. Das wiederum war eine ganz eigene Geschichte in der Geschichte dieses mitreißenden Pokalabends im eisigen Berliner Osten. Eine, die den Berlinern naturgemäß weniger gut gefiel. Defensive Standards, sagte Trainer Baumgart, seien eigentlich das „Steckenpferd“ seiner Mannschaft, diesmal wurde sie zu einem trojanischen.
Das Publikum störte sich daran nicht, die Mannschaft wurde ausgiebig gefeiert. Was den Münchnern dieser Sieg bedeutete, konnte man im selben Moment noch einmal am anderen Stadionende sehen, wo die Spieler – worauf auch Kane explizit hinwies – einen Freudentanz jenseits des Routinierten aufführten. Die Fans gaben dazu den Pokal-Evergreen zum Besten: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“ Als reiner Ausdruck der Vorfreude durfte das allerdings nur deshalb gelten, weil das Ziel nicht noch einmal Alte Försterei heißt.
