
Der Geschäftsführer der NBA kennt das Basketballgeschäft seit mehreren Jahrzehnten. Und zwar nicht nur aus der Warte hinter den Kulissen. Adam Silver hat seine Antennen in alle Richtungen ausgerichtet, um zwischen Oktober und Juni ein Milliardenpublikum auf dem gesamten Globus mit dem Besten zu versorgen, was die Sportart zu bieten hat. Und natürlich auch, um den Besitzern der 30 Franchises so viel möglich von dem Kuchen von Umsatz von mehr als zehn Milliarden Dollar zuzustecken und dabei auch die 450 Spieler bei Laune zu halten, die das Ganze erst möglich machen.
Das Makrokonzept ist auf nachhaltiges Wachstum ausgerichtet und schlägt in Ländern wie der Volksrepublik China besonders durch. Hier hat die Liga es im Laufe der Jahre geschafft, dass die Hälfte aller Sportmediennutzer Übertragungen ihrer Spiele konsumieren.
Weshalb Silver gegenläufige Trends, vor allem in den Vereinigten Staaten als weniger signifikant einstuft als die amerikanischen Medien, die zum Beispiel die rückläufige Entwicklung bei den Einschaltquoten als deutliches Warnsignal betrachten. So schwach wie seit fast 20 Jahren nicht mehr seien diese während der derzeit laufenden Finalserie zwischen Oklahoma City Thunder und den Indiana Pacers, vermeldeten etliche Medien zuletzt alarmistisch. Schon in der Hauptrunde gab es zudem Meldungen, dass die Quoten mehr als 19 Prozent unter dem Niveau der vergangenen Saison lagen – und das von Kritikern dann mit dem eintöniger gewordenen und auf Dreipunktewürfe konzentrierten Spiel vieler Mannschaften in Verbindung gebracht wurde.
Diese antiquierte Messlatte hat nur noch wenig Aussagekraft
Dabei wird dann übersehen, dass diese antiquierte Messlatte für die Popularität und Reichweite nur noch wenig Aussagekraft hat. Besonders in den USA, wo der massive Anstieg der Kabel-TV-Gebühren schon Millionen dazu gebracht haben, ihre Fernsehgewohnheiten zu ändern, ihre Abos zu kündigen und ihren Appetit auf die populären Sportarten immer mehr über andere Kanäle zu stillen, etwa bei Streaminganbietern wie Netflix oder über die Sozialen Medien. „Kein Mensch kennt mehr seine Einschaltquoten”, sagt Silver. „Wir denken in Kategorien wie der Aufmerksamkeit rund um ein Programm.“
Vielleicht muss er sich wirklich keine Sorgen machen – nicht mal in einem Jahr, in dem mit Oklahoma City Thunder und den Indiana Pacers zwei Mannschaften aus relativ kleinen Medienmärkten die Finalserie austragen und dadurch das Interesse in den großen Basketball-Metropolen wie Los Angeles oder New York, Boston oder Chicago eher mau ist. Denn in ein paar Monaten tritt der vor einem Jahr ausgehandelte neue Fernsehvertrag in Kraft, Laufzeit elf Jahre, mit einer Garantieeinnahme von sieben Milliarden Dollar pro Saison. Ein Anstieg gegenüber dem alten Abkommen von 165 Prozent.

Andere Parameter des Geschäfts zeigen ebenfalls deutlich und konstant nach oben. So wechselte im Mai Vorjahresmeister Boston Celtics die Besitzer. Zu einem Verkaufspreis von 6,1 Milliarden Dollar, der eine neue Rekordmarke für den gesamten amerikanischen Profisport produzierte. Nicht nur für die NBA, in der der Preis für die Phoenix Suns aus dem Jahr 2023 (vier Milliarden Dollar) der bisherige Höchstwert gewesen war.
Den Mythos von der fehlenden Strahlkraft der Teams aus kleinen Märkten lässt sich dennoch nicht ausmerzen. Oklahoma City (mit einer Bevölkerung von 1,4 Millionen inklusive Umland) und Indianapolis (2,1 Millionen) mögen zwar über eine deutlich kleinere Fangemeinde verfügen. Aber das bedeutet nicht, dass ihre sportlichen Erfolge nicht redlich und hart erarbeitet sind. Sie mögen keine Superstars in ihren Reihen haben, die in Regionen weder leben noch arbeiten wollen, die abschätzig „Flyover Country” genannt werden, Staaten also, die man primär sieht, wenn man auf dem Weg woanders hin darüber hinweg fliegt. Aber wie das Beispiel der San Antonio Spurs zeigt, agieren hier im Hintergrund stille Genies, die auf Talente setzen, die noch keine Allüren haben. Und die im Ensemble so gut funktionieren, dass sie Meister werden können.
Die NBA ignoriert mit ihrem Vorgehen vieles
Die Spurs schafften das zwischen 1999 und 2014 fünfmal. Der Architekt der Oklahoma City Thunder, ihr Chefmanager Sam Presti, hat zwar noch keinen Titel gewonnen, aber brachte zwischendurch das Kunststück fertig, nacheinander bei der jährlichen Draft gleich drei Nachwuchsspieler aus dem Pool der Aspiranten zu verpflichten, die sich als erstklassige Wahl herauskristallisierten: Kevin Durant, Russell Westbrook und James Harden.
Die aktuelle Truppe mit dem Kanadier Shai Gilgeous-Alexander hat Presti nach demselben Muster zusammengebaut. Es ist das Team mit dem aktuell niedrigsten Durchschnittsalter und steht nach dem 120:109-Sieg am Montag im fünften Spiel mit einem Vorsprung von 3:2 in der Finalserie mit ihren maximal sieben Begegnungen kurz vor dem ersten Triumph in der Klubgeschichte.
Ob der überragende Erfolg aber seinen herausragenden Spielern und dem Team selbst jenen Status einbringt, den Klubs wie den Los Angeles Lakers und den Boston Celtics genießen, muss sich erst noch zeigen. Denn die NBA favorisiert seit langem bei der Vermarktung des Spiels einen verzerrenden Blick auf das Geschehen – besonders in Kombination mit den Werbestrategien von Schuhfirmen und der Highlight-Fixierung im Bereich Bewegtbild, sei es im Sportfernsehen oder in den sozialen Medien.
Dabei lässt sich schon lange erkennen, dass diese Marketing-Macke viele Dinge ignoriert. Nicht nur den besonderen Einfluss und die Arbeit von Kader-Schmieden wie Gregg Popovich, dem langjährigen Trainer der San Antonio Spurs, oder Sam Presti. Weil spektakuläre, zirzensische Einlagen rund um den Korb in den Mittelpunkt gerückt werden, verliert die Liga den Einfluss komplexer taktischer Abläufe aus dem Fokus.
So passiert es, dass man in Amerika immer mal wieder die Karriereleistungen und den spielstilistischen Einfluss von Ausnahmebasketballern nicht auf dem Radarschirm hat. Sei es bei der Bewertung der herausragenden Qualitäten eines Dirk Nowitzki, der jahrelang als „zu weich“ verschrien war. Oder wenn es um andere Könner aus Europa geht, die nicht einfach in die Superstar-Schablone passen wie der Serbe Nikola Jokic, der sich bei den Denver Nuggets zum besten Basketballer der Welt entwickelte. Er hat als Center, der ständig Bälle verteilt und aus der Distanz Körbe erzielt, das Spiel komplett verändert. Aber weil ihm das artistische Flair fehlt, bringt ihm die amerikanische Öffentlichkeit nicht halb so viel Respekt entgegen wie einem LeBron James oder Steph Curry.
Dabei sorgen diese Athleten in der Provinz, unterstützt von Tausenden frenetischen Fans, erst für den besonderen Reiz der Liga. Anders als etwa in der Fußball-Bundesliga hat keine Mannschaft den Titel abonniert. Im Gegenteil: In den letzten elf Jahren gewannen acht unterschiedliche Teams die Larry O’Brien Trophy. Und dieser Trend geht in dieser Saison weiter. Denn weder die Oklahoma City Thunder noch die Indiana Pacers konnten bisher den Titel gewinnen.