
Der Weihrauch steht noch von Pfingsten im Schiff der Schottenkirche St. Jakob in Regensburg, als sich dort, wo sonst die Heilige Messe gelesen wird, Geistliches mit Weltlichem mischt. Zwar enden die Werke, die das spanische Ensemble Cantoría hier zum Besten gibt, in der Regel mit einem Vers aus einem Psalm, zwar wird in ihnen der Jungfrau Maria ebenso zuverlässig gedankt wie den Angriffen des Teufels widerstanden, doch es geht wild durcheinander. Lobpreis mischt sich mit Verwünschungen, seinerzeit bekannte Weihnachtsmelodien wechseln sich mit Neukomponiertem ab, inniger vierstimmiger Gesang mit dem theatralischen Durcheinander aufgeregter Stimmen: „Ensaladas“ wurden diese Mischwerke im 16. Jahrhunderts genannt, und Mateo Flecha el Viejo war einer ihrer populärsten Komponisten.
Mit einer Auswahl von Flechas Ensaladas füllen die Sänger Inés Alonso, Belén Herrero, Jorge Losana und Lluís Aratia zusammen mit Marc de la Linde an der Viola da Gamba und Jeremy Nastassi an der Erzlaute die romanische Basilika – bis unter die Kassettendecke und bis auf den letzten Platz.

Manche Anspielung der schwungvollen Lieder bedarf der Erklärung: Wenn in der Ensalada „La Justa“ (Das Turnier) um nichts Geringeres als die „Rettung der Menschheit“ gekämpft wird und zunächst Adam gegen Luzifer antritt, war für die spanischen Zeitgenossen eher offensichtlich, dass hier wohl auf den Kampf Ferdinands von Österreich gegen Suleiman den Prächtigen angespielt wird. In „La Bomba“ (Die Pumpe) droht ein Schiff zu sinken, und vier Seefahrer überbieten sich in ihrer Bereitschaft zu Eremitage oder Pilgerschaft, wenn sie nur gerettet werden. Schließlich beginnt die Mannschaft sogar zu singen – und die Schwierigkeit, trotz Schiffbruch schnell noch die Gitarre zu stimmen, wird hinreißend mitmusiziert.
Ein zeitloser Eindruck von Anmut und Eleganz
Spielfreude und musikalische Klasse, dazu ein Programm, dessen Auswahl durchaus auch geschichtlich interessant ist: Das sind Merkmale vieler der sechzehn Konzerte, die am Pfingstwochenende für die 40. Tage Alter Musik Regensburg ausgesucht worden sind. The Tunelanders schließen mit ihren barocken Variationen englischer, schottischer und irischer Volksmelodien die vermeintliche Kluft zwischen dem Musizieren in Dubliner Wirtshäusern und Musiksalons des 18. Jahrhunderts. Die Barockoboistin Xenia Löffler hat in der fürstlichen Thurn & Taxis Hofbibliothek ein bislang unbekanntes Konzert für drei Oboen entdeckt und mit ihren Kollegen Alfredo Bernardini und Michael Bosch sowie der Batzdorfer Hofkapelle einstudiert. Das britische Ensemble Solomon’s Knot hat gewagt, Johann Sebastian Bachs verschollene „Köthener Trauermusik“ teils zu rekonstruieren, teils nachzuempfinden. Einzig der Text ist erhalten – und das Wissen, aus welchen seiner vorigen Kompositionen sich Bach selbst für dieses Werk bedient haben könnte.

Welche Musik wurde am Hof von Anhalt-Zerbst gespielt, etwa zum Geburtstag der späteren Zarin Katharina der Großen? Musica Gloria aus Belgien stellen den Komponisten Johann Friedrich Fasch vor, der lieber Kapellmeister auf Schloss Zerbst blieb, statt sich – wie erwartet – an der Thomaskirche in Leipzig um das Amt zu bewerben, das Johann Sebastian Bach dann übernahm. Wie mag das „Concerto delle donne“ geklungen haben, jene Formation dreier Sängerinnen, die Alfonso II. gegen alle Gepflogenheit seiner Zeit in den 1570er-Jahren als Herzog von Ferrara beschäftigte und deren geheimnisvoller Ruf sich in ganz Europa verbreitete, obwohl die Kompositionen nach den Aufführungen immer wieder weggeschlossen wurden? La Néréide aus Frankreich mit den Sopranistinnen Julie Roset, Ana Viera Leite und Camille Allertat vermittelt einen zeitlosen Eindruck ihrer Anmut und Eleganz.

Das „Abenteuer“ Alte Musik
Ein Höhepunkt des Festivals waren die Auftritte des Bläserensembles Into the Winds, das mit Schalmeien und Blockflöten, ergänzt um die Busine oder die Zugtrompete und begleitet von allerlei Schlagwerk, einen Eindruck von der Vielfalt und Entwicklung europäischer Tanzmusik vermittelte. Erst Jahrhunderte nach der estampie, die einzig dem Namen nach einen Eindruck von der – doch eher robusten – Art vermitteln mag, wie zu ihr getanzt worden war, finden sich erste Notate auch der Bewegungen, wie zur überlieferten Tanzmusik zu schreiten, zu gleiten oder durchaus auch zu hüpfen sei. Die Menschen müssten wie Sterne kreisen, schwärmten die mit der Festgestaltung bei Hofe Betrauten, der Tanz verbinde Himmel und Erde in kosmischer Harmonie. Getanzt wurde durchaus auch bei kirchlichen Anlässen: Wieder zeigt sich – wie in den Ensaladas der spanischen Renaissance – eine verblüffende Durchlässigkeit geistlicher und weltlicher Musik.
Nach dem eigentlichen erläutern die fünf Musiker in einem zusätzlichen Gesprächskonzert die ausgewählten Kompositionen, musikalische Ergänzungen, die Instrumente und die eine oder andere Tanzschrittfolge. Man könnte die Neugier, ja, die Wissbegierde, für eine Eigenheit des Regensburger Publikums halten. Oder liegt sie doch in der Konzeption dieses Festivals begründet, das Ludwig Hartmann und Stephan Schmid, bei seiner Gründung noch angehende Lehrer, seit vierzig Jahren ehrenamtlich künstlerisch verantworten? In der kompakten Verbindung von sechzehn Konzerten an vier Tagen, zwischen denen genügend Zeit für kleine Stärkungen bleibt, um auch das komplette Programm mitzuerleben, mit einer Verkaufsausstellung von Nachbauten historischer Instrumente, in der sich Aufführende und Zuhörende des Festivals treffen? Liegt es in der Musik selbst mit ihren Freiheiten, ihren Eigenwilligkeiten und ihren oft überraschenden Verbindungen über Länder-, über Sprachgrenzen und über Jahrhunderte hinweg?
Das Interesse, die Offenheit und Unbefangenheit, mit der das Publikum die Musiker empfängt, findet eine Entsprechung, eine Vorlage in der Bereitschaft früherer Zeiten, Austausch als eine Bereicherung zu erfahren, das Fremde oder zunächst fremd Wirkende als etwas Inspirierendes. Und ist nicht Pfingsten auch das Fest, an dem den Jüngern gegeben wurde, sich über alles Trennende hinweg verständlich zu machen?

Was er empfehlen würde, um jemanden für das „Abenteuer“ Alte Musik zu begeistern, wird Nigel Short, Leiter des Tenebrae Choir, im Programmheft zum Festival gefragt. Sein Chor hat – vornehmlich mit Kompositionen Palestrinas, der vor 500 Jahren geboren wurde – diesmal in Regensburg eines der drei Nachtkonzerte gegeben, ein nicht nur durch die späte Stunde, die Konzentriertheit des gerade einmal vierzehnköpfigen Chors und die Eindringlichkeit der Musik in der Dominikanerkirche St. Blasius höchst intimes musikalisches Erlebnis. Man möge, ist Shorts Antwort, Musik finden, die einen persönlich ganz natürlich und unmittelbar anspricht. Von dort ist es ein kleiner Schritt, mehr über das Werk, über seinen Komponisten, über die Besonderheiten dieses Stücks wie die Gepflogenheiten der Musik in seiner Zeit erfahren zu wollen. Die Tage Alter Musik bieten dazu die schönste Gelegenheit.