
Mit ein wenig Abstand zu ihrem Auftakt bei der Europameisterschaft festigte sich im deutschen Lager das Bewusstsein, dass sie durchaus zufrieden sein können mit dem, was sie gemeinsam gegen Polen auf die Beine gestellt haben. Unmittelbar nach dem 2:0-Sieg hatte noch das Entsetzen über die Verletzung von Giulia Gwinn und die Ungewissheit, wie es mit ihr weitergehen würde, die Atmosphäre rund um das Team verdüstert.
Inzwischen, da feststeht, dass es die Münchnerin weniger schwerwiegend erwischte, und sich vorsichtiger Optimismus breitmacht, dass sie – vorausgesetzt, die Behandlung des Innenbandschadens schreitet zügig voran – zum Nations-League-Finale im Herbst zurückkehren kann, rücken allenthalben die richtungsweisenden Vorhaben und grundsätzlichen Perspektiven bei diesem Turnier wieder mehr in den Fokus.
Mit dem Erfolg, der keinen Glanz versprühte, sich aber als das Resultat eines disziplinierten Vorgehens unter besonderen Umständen sehen lassen konnte, wurde eine Serie fortgesetzt, die der Bundestrainer Christian Wück im Hinblick auf die Begegnung mit Dänemark an diesem Dienstag (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-EM der Frauen, im ZDF und bei DAZN) als „Mut machenden“ Zwischenschritt einordnete. Zum dritten Mal hintereinander gelang es der Frauenauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ohne Gegentor zu bleiben.
Abwehr „nicht mehr“ als Schwachpunkt
Es ist noch nicht lange her, da galt die Defensive als Großbaustelle im Spiel der Deutschen, als fragiler Teil einer unsteten Formation, die häufig auf ihre Offensivleute angewiesen war, um Fehler rund um den und im eigenen Strafraum zu kaschieren, was auch Wück mächtig fuchste. Er machte im Frühjahr keinen Hehl daraus, dass ihm die Entwicklung nicht schnell genug geht.
Mittlerweile, so stellte er in der Schweiz fest, sehe er die Abwehr „nicht mehr“ als Schwachpunkt. Denn dort, wo unlängst schnell Verunsicherung keimte, herrscht nach vielen Trainingsstunden ein Grundvertrauen ins eigene Können, das für eine höhere Verlässlichkeit, mehr Ballsicherheit und eine neue Kompaktheit sorgt – alles unverzichtbare Voraussetzungen, um bei solch einer Prestigeveranstaltung ein Wort mitzureden.
Im Zentrum des Wandels steht eine Spielerin, die sich einst mit Uniform Respekt verschaffte und nun auch im DFB-Dress mehr denn je als Autoritätsperson gefordert ist: Janina Minge, von Wück im Februar zur Stellvertreterin von Gwinn bestimmt, übernahm nach dem Ausfall der 26-Jährigen interimistisch die Kapitänsrolle. Die gebürtige Lindauerin Minge fällt mit einem Karriereweg auf, der selbst im Fußball der Frauen – der sich zunehmend an den Strukturen des Männergeschäfts orientiert – als außergewöhnlich gilt.
Während andere früh alles auf den Sport setzten und ihre Energie darauf ausrichteten, als Profi Fuß zu fassen, führte Minge lange ein Doppelleben: In Freiburg absolvierte sie eine Ausbildung im Polizeidienst, fuhr morgens Streife, notierte Anzeigen, arbeitete Schichten, packte am Abend die Trainingstasche und rannte am Wochenende über den Platz. „Auch deswegen sehe ich Dinge heute anders“, sagte sie über ihren beruflichen Parallelweg.

Seit Minge für den Fußball vom Land Baden-Württemberg freigestellt ist, haben sich die Prioritäten verschoben – die Konsequenz, mit der sie die Dinge angeht, blieb dieselbe. Es ist nicht lange her, da stand Minge, die 2024 nach neun Jahren beim SC Freiburg zum VfL Wolfsburg wechselte, in der Nationalelf weniger hoch im Kurs: Bei der WM 2023 flog sie ohne Einsatz nach Hause.
Der Wendepunkt waren dann die Olympischen Spiele in Paris, für die sie nach dem Kreuzbandriss von Lena Oberdorf ins Aufgebot nachrückte und die Chance, auf großer Bühne den Vorderleuten den Rücken frei zu halten, nutzte: Nach sechs Partien im Zeichen der fünf Ringe kehrte sie mit der Bronzemedaille im Gepäck und der Erkenntnis heim, endlich wertgeschätzt zu werden.
„Das hätte ich mir nicht besser erträumen können“, sagte die 26-Jährige und beschrieb es als „ein schönes Gefühl, dieses Vertrauen zu spüren“. Seitdem ist sie ein fester Bestandteil der Truppe. Wück nominierte sie in allen elf Spielen, in denen er als Bundestrainer das Sagen hatte, für die Startelf.
Während Minge für Wolfsburg zumeist im defensiven Mittelfeld eingesetzt wird und über sich selbst sagte, dass sie, „wenn ich es mir aussuchen dürfte“, lieber weiter vorne agiert, stellt der Bundestrainer sie als Innenverteidigerin auf, weil er ihre Physis und Konsequenz im Zweikampf schätzt. Sie mache einen „überragenden Job“, lobte Kollegin Linda Dallmann am Wochenende, „Janina lässt jede Energie auf dem Platz und geht über Grenzen hinaus“.
Gegen Polen schirmte Minge in Laufduellen mit der schnelleren Ewa Pajor die hintere Linie ab, indem sie ihr Tempodefizit mit Cleverness im Stellungsspiel wettmachte. „Wir haben es geschafft, die Null zu halten. Von daher bestätigt es unsere Leistung“, resümierte sie. Ein nüchternes Fazit – und doch auch ein gutes Omen.
2022 triumphierte sie bereits bei der Europäischen Polizeimeisterschaft mit der deutschen Auswahl. Seinerzeit nahm die Geschichte ihres Aufstiegs von der Randfigur zur Schlüsselspielerin Fahrt auf. Dieser Sommer könnte das nächste Kapitel schreiben. Die Tendenzen sind erfreulich. Sie verlangen nun nach weiterer Bestätigung.