
Tulsa, Oklahoma, dort habe ich Bruce Springsteen und die E-Street Band im Februar 2023 im Konzert erlebt. Anders als Auftritte vom „Boss“ an der West- und Ostküste waren die Konzerte im Kernland der USA damals bei weitem nicht ausverkauft.
In Tulsa war es kein Problem, noch am Tag des Konzerts gute Plätze zu ergattern. Draußen vor dem Gelände beschallten evangelikale Abtreibungsgegner die Springsteen-Fans. Während diese den Einlass in die Halle herbeisehnten, wurden sie per Megafon unaufhörlich mit den fundamentalistischen Botschaften von der anderen Straßenseite belästigt. Die Stimmung war gereizt, sogar feindselig.
Mit Kontroversen kennt sich der 1949 in New Jersey geborene US-Rockstar aus. Vor Kurzem hat Bruce Springsteen seine Europatournee gestartet und sich gleich beim Auftakt in Manchester ausgiebig zur zweiten Amtszeit von Donald Trump geäußert.
Abscheu vor Trump
Seine Abscheu vor dem Präsidenten hat er schon wenige Tage später auf einer Live-EP für die ganze Welt festgehalten und wiederholt sie unbeirrbar bis jetzt bei jedem Konzert. Trumps Drohung, Springsteen werde schon sehen, was passiere, wenn er nach Hause zurückkommt, hängt jetzt wie eine schlingernde Blendgranate in der Luft. Es scheint, als wäre Springsteen nicht nur ein Bollwerk für Freiheit in Trumps Amerika. Sondern dadurch auch richtig gefährlich.
Bruce Springsteen and the E-Street Band, live, 11. Juni 2025, Olympiastadion, Berlin, 18. Juni 2025, Deutsche Bank Park, Frankfurt a. M., 27. Juni 2025, Veltins Arena, Gelsenkirchen
Als er in den frühen 1970ern von New Jersey aus loslegte, war solch ein Einfluss auf die Weltpolitik noch nicht absehbar. David Bowie war schon ein Superstar, als er noch zu Glamrock-Zeiten „Growin’ up“ von Springsteens erfolglosem Debütalbum coverte. Die Zeile „When they said: sit down! I stood up“ aus jenem Song tat bestimmt ihre Wirkung auf Bowie. Und sie ist ein schönes Beispiel dafür, dass Bruce Springsteen von Anfang an ein Meister darin war, Lebensgefühle seiner Hörer*innen auf den Punkt zu bringen.
Von dieser Fähigkeit leben die Shows mit der E-Street Band bis heute. „We learned more from a three minute record than we ever learned in school“ („No Surrender“): Da wird es auch nach 40 Jahren bei den anstehenden Konzerten in Berlin, Frankfurt und Gelsenkirchen kein Halten geben.
Unwiderruflich Mainstream
Als 1975 im Club CBGB’s in New York mit den Ramones, Patti Smith, Television, Suicide, Blondie und den Talking Heads die US-Punk- und New-Wave-Szene explodierte, war Springsteen vom Rockmagazin Rolling Stone schon zur „Zukunft des Rock ’n’ Roll“ ausgerufen worden und somit unwiderruflich Mainstream. Trotzdem hatte er immer eine große Affinität zu dieser subkulturellen Szene.
Er teilte sich mit Patti Smith nicht nur den Produzenten (Jimmy Iovine), sondern komponierte zusammen mit der Rocksängerin auch den Song „Because the Night“. Ein Klassiker. Viel später in seiner Karriere zollte Springsteen auch den sperrigsten Vertretern der CBGB’s-Generation, dem Duo Suicide, seinen Tribut: Auf der Devils-&-Dust-Tour, 2005, beendete er seine Sets jeden Abend mit einer Coverversion ihres Signatursongs „Dream, Baby Dream“. Ganz alleine stand er auf der Bühne, mit geloopter Pumporgel als einziger Instrumentierung. Und damit war Springsteen sehr weit weg vom Mainstream oder den Erwartungen seiner Fans.
Solche Solo-Eskapaden waren natürlich immer die Ausnahme. Ohne die E-Street Band wäre Bruce Springsteen wohl heute kein Stadion-Füller, wie momentan wieder in Europa. Es gab bei der Band über die Jahre auch Umbesetzungen, aber eigentlich nur, wenn jemand gestorben ist. Darum ist es auch kein Klischee, wenn man von der E-Street Band als Springsteens „Familie“ spricht.
Nicht überladen, mit Power
Eine Familie, die es schafft, nicht überladen, aber mit Power auf den Punkt zu kommen. Großartig! Von diesem Konzert in Tulsa 2023 gibt es bei Youtube einen Mitschnitt der ersten paar Songs, und wenn man da sieht, mit welcher Begeisterung Drummer Max Weinberg ohne Mikrofon die Lyrics mitschmettert, dann kriegt man ein Gefühl dafür.
Der Megaerfolg, Geld und Ruhm kamen für Springsteen 1984 mit dem Album „Born in the USA“. Fluch und Segen. Da sind die Kracher drauf, die bis heute den Zugabenteil seiner Konzerte ausmachen: „Dancing in the Dark“, „Glory Days“, „Bobbie Jean“ oder eben der große, missverstandene Titelsong.
Von Ronald Reagan bis Donald Trump waren es vor allem US-Republikaner, die zum Macho-Intro dieses Songs selbst forsch die Wahlkampfbühnen betreten haben, bevor Springsteen ihnen dann die Verwendung seiner Musik untersagt hat. Dass das Lied eben keine Hymne auf die USA der Republikaner ist, sondern wenn schon eine Hymne, dann eine Hymne auf die Abgehängten des Landes, hat diese Leute freilich nie zum Nachdenken gebracht.
Politische Anliegen
Für politische Anliegen hat Springsteen sich immer wieder und ohne zu zögern eingesetzt. Etwa in den 1970ern gegen Atomkraft, als er das „NoNukes“-Konzert im New Yorker Madison Square Garden initiierte. 1985 für die streikenden Bergarbeiter im Nordosten Englands. Als er sich mit den Frauen der „Support Groups“ backstage nach einem Konzert in Newcastle traf und ihnen finanzielle Unterstützung zukommen ließ. Drei Jahre später dann bei seinem Konzert auf der Radrennbahn in Weißensee im Ostteil Berlins, dem größten Konzertereignis in der Geschichte der DDR, dessen Bedeutung ich als bayerischer Wessi erst viele Jahre später begonnen habe zu verstehen.
Springsteens Unterstützung für Amnesty International und Greenpeace hat auch nie aufgehört. Und dabei hat sein Engagement zum Glück nie seine künstlerische Arbeit überschattet. Bis heute hat Bruce Springsteen 21 Studioalben veröffentlicht. Natürlich sind darunter nicht nur Meisterwerke, aber ich würde mal sagen: egal.
Denn neben den großen kommerziellen Erfolgen sind es gerade die eher leisen Alben wie „Tunnel of Love“(1987), „The Ghost of Tom Joad“ (1995) und „Wrecking Ball“ (2012) gewesen, die ihn in die höchste Liga der Songwriter*innen geführt und dort verankert haben. Wie sonst vielleicht nur Woody Guthrie, hat Springsteen den cracksüchtigen Strichern, den Arbeitslosen, den Obdachlosen, den alleinerziehenden Müttern, den Unscheinbaren und all den Underdogs, die trotzdem unablässig an den American Dream glauben, viele glaubwürdige Denkmäler gesetzt.
Und das nicht immer nur zur Freude seiner Fans. Wer die Ups und Downs seiner Karriere mitverfolgt hat, weiß, dass die Kunst von Bruce Springsteen immer mehr war und mehr ist, als in einen drei Minuten Song rein passt.