
Vier Tore durften die deutschen Fans bejubeln, aber am heftigsten aus ihren Sätteln gingen sie bei einer Defensivaktion: Nach einer halben Stunde war Serge Gnabry etwa 60, 70 Meter zurück gesprintet, im Höchsttempo, um einen Vorstoß des Gegners in die deutsche Hälfte (die man im Laufe des Spiels übrigens an einer Hand abzählen konnte) per saftiger Grätsche zu stoppen. Das wollen die Fans sehen. Einsatz, Leidenschaft, gerne dürfen auch ein paar Grasfetzen durch die Luft fliegen. Und wenn sich dann noch ein Spieler Flecken ins Trikot rackert, der eigentlich fürs Toreschießen zuständig ist, feiern sie das umso mehr.
Die Szene war deshalb bezeichnend für das 4:0 der deutschen Nationalelf gegen Luxemburg, weil das bloße Ergebnis weniger Erkenntnisgewinn bedeutete als die Art und Weise, wie es zustande kam. Schon nach 20 Minuten flog der Luxemburger Dirk Carlson wegen eines Handspiels im Strafraum vom Platz. Eine sogar für einige deutsche Spieler überraschende Entscheidung. Regelkonform, aber dennoch hart. Weil Carlsons Missetat auch einen Elfmeter zur Folge hatte und diese Doppelbestrafung das Spiel früh entschied. Die Luxemburger, auf Platz 96 der Fifa-Weltrangliste zwischen Äquatorialguinea und Mosambik, hatten schon in Gleichzahl kaum Luft zum Atmen. Mit einem Mann weniger fiel ihnen das noch schwerer.
„Wir waren griffig, wir waren scharf“
Und so wurde nach dem Spiel vor allem über Sekundärtugenden geredet. Fans und Team waren durchaus sensibilisiert, so etwas wie die peinliche 0:2-Pleite in der Slowakei, nach der Julian Nagelsmann seinem Team die Einstellung absprach, durfte nicht noch einmal passieren. Weil sonst die WM-Qualifikation in Gefahr wäre. Und überhaupt, wenn eine deutsche Nationalelf etwas kann, dann doch, sich reinzuhauen.
Getreu diesem Motto gingen sie auch in Sinsheim zu Werke. „Wir waren griffig, wir waren scharf“, sagte David Raum. Bedeutete: Die Mannschaft wollte und tat und ließ nicht nach in ihren Versuchen, immer wieder vor das Tor des Gegners zu kommen. Ging der Ball einmal verloren, eroberten sie ihn sofort eifrig wieder.
Drei Belege für den Willen bei allen Beteiligten: Nach dem Wiederanpfiff zum 4:0 stürmten Florian Wirtz und Kollegen auf die ballführenden Luxemburger, als stünden sie in der Nachspielzeit des WM-Finales und bräuchten ganz dringend noch ein Tor. Hier, in Sinsheim, blockten sie den Ball immerhin, es gab Einwurf für Luxemburg tief in der eigenen Hälfte. Als später der vierte Offizielle die Tafel hochhielt, mit der er anzeigte, wie lange nachgespielt werden würde, ging Julian Nagelsmann ihn heftig an, weil es nur vier Minuten waren. Und selbst der Stadion-DJ wollte mehr. Als ein Schuss von Serge Gnabry knapp vorbeiging, aber von hinten ans Tornetz abprallte, spielte er freudig die Torhymne ein.
Extralob für Serge Gnabry
Besonders Serge Gnabry tat sich an diesem Abend hervor. So sehr, dass er ein Extralob von seinem Trainer bekam. „Er war einer der Vorbildspieler, was diese Gier angeht“, sagte Julian Nagelsmann. Gnabry hatte passenderweise eines dieser Karate-Kid-Sturmbänder umgebunden. Gnabry-San. Auftragen. Polieren. Treffen.
Insgesamt herrschte dann auch recht gute Laune nach diesem Sieg. David Raum durfte nach seinem ersten Länderspieltor, einem schönen Freistoß zum 1:0, sagen, dass es sich „fantastisch“ anfühlt. Joshua Kimmich nahm es mit Humor, dass ihn sein Trainer wieder einmal als Rechtsverteidiger aufs Feld schickte statt im zentralen Mittelfeld und sagte, er habe kein Problem damit, wenn sich Nagelsmann vor jedem Spiel neu entscheidet, und am liebsten würde er sowieso im Tor spielen. Dort stand allerdings Oliver Baumann, der sagte, es hatte Spaß gemacht, von hinten zuzugucken, auch wenn er nicht so viel zu tun hatte.
Auch die Deutschlandfans freuten sich nach den Toren und schafften es kurz vor Schluss, noch ein paar La Olas durchs Rund zu schicken. Boykottiert wurden die Bemühungen vom vollen Luxemburgblock. Man wusste ja gar nicht, dass Luxemburg so viele Einwohner hat. Die Gäste waren über weite Strecken des Spiels auch lauter als die Heimfans, aber das ist man in Sinsheim ja gewohnt.