Wenn Alexander Sulzer sich den idealen Eishockeyverteidiger zusammenbasteln dürfte, dann bräuchte er nicht viele Bauteile. Im Grunde nur ein einziges: „Der Mo Seider ist schon sehr nah dran am Ideal“, sagt Sulzer, der ehemalige NHL-Verteidiger. Warum Seider? „Weil er alle Attribute mitbringt: Er ist ein guter Schlittschuhläufer und offensiv sehr, sehr kreativ. Auf der anderen Seite ist er körperlich super präsent, blockt Schüsse, checkt. Er macht alles, was von ihm verlangt wird.“ Moritz „Mo“ Seider, 24, Abwehrchef der Detroit Red Wings, gilt als einer der besten Defensivspieler in der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL – und damit als einer der besten weltweit. „Wie Matthew Tkachuk (Florida Panthers, d. Red.) als Stürmer ist, so ist der Mo Seider für mich als Verteidiger“, sagt Sulzer, ein Komplettbausatz quasi: alles drin, alles passt zusammen. Und auch der Kanadier Cale Makar hat es Sulzer angetan: „Der hat vielleicht nicht diesen physischen Touch, dafür ist er läuferisch Extraklasse. Wenn ich mir jetzt ein Verteidigungspärchen zusammenstellen dürfte, dann wären es Mo Seider und Cale Makar.“
Beim Deutschland Cup in Landshut stand Bundestrainer Harold Kreis und seinem Assistenten Sulzer keiner von beiden zur Verfügung. Stattdessen stehen hinter vielen Namen Fragezeichen. Und beim 2:5 am Samstag gegen Österreich kamen noch etliche hinzu. Zwei Tage nach dem überzeugenden 4:1 gegen Olympia-Gruppengegner Lettland ließen die Deutschen gegen die nicht für Mailand qualifizierten Österreicher die nötige Körperspannung vermissen, so sah es Kapitän Moritz Müller. „Das war kein gutes Spiel von uns, eigentlich von der ersten Minute weg. Die Österreicher hatten ein Messer zwischen den Zähnen, und wir waren nicht bereit, den Kampf zu erwidern. Das war einfach zu wenig, alles ein bisschen pomadig.“ Müller, bald 39 und womöglich in seiner letzten Saison auf dem Eis unterwegs, vermisste das Aufbäumen bei seinem Team: „Man kommt so selten zur Nationalmannschaft zusammen, die Gelegenheiten sind rar gesät. Da müssen wir mental anders auftreten, sofort bereit sein und nicht erst die Zehen ins Wasser tippen und schauen, wie kalt es ist.“

:Der alte Mann will noch mehr
Drei Monate vor den Olympischen Spielen gehen dem deutschen Eishockeyteam die Abwehrspieler aus. Für Kapitän Moritz Müller die Chance zu zeigen, dass er auch mit 39 Jahren unentbehrlich ist.
Während drei Monate vor den Olympischen Spielen im Tor und im Angriff viele Plätze schon vergeben sind und sich um die übrigen die Bewerber drängeln, haben die ehemaligen Verteidiger Kreis und Sulzer in der Abwehr noch kein stabiles Gerüst. Acht Verteidiger sollen es werden, Seider ist gesetzt, auch der Berliner Jonas Müller – aber dann? Berlins Kapitän Kai Wissmann hat nach seiner Achillessehnenverletzung im August noch kein Saisonspiel bestritten, Teamkollege Korbinian Geibel wird wohl nicht rechtzeitig von seiner Knieverletzung genesen. In Maksymilian Szuber (Tucson) steht noch ein WM-Silbermedaillengewinner von 2023 aus der American Hockey League auf der Liste, ein weiterer im Münchner Fabio Wagner. Dahinter wird es dünn.
Wie extrem weit die Leistungen gegen Lettland und gegen Österreich auseinander lagen, ließ sich beispielhaft am jüngsten und am ältesten Spieler nachzeichnen. Der jüngste, der Münchner Philipp Sinn, 21, ausgebildet in der Red-Bull-Akademie in Liefering, zweimal österreichischer Meister mit dem EC Red Bull Salzburg, hatte am Donnerstag beherzt aufgespielt und sein erstes Länderspieltor erzielt. Sinn ist ein Spieler für die Zukunft. Am Samstag leistete er sich fünf Sekunden nach dem Eröffnungsbully ein schlampiges Abspiel und eine Strafzeit, vor dem 0:1 (15.) vertändelte er im Überzahlspiel die Scheibe.
Sinn war weder schuld an der Niederlage noch wurde er zum Sündenbock erklärt. Sinn sollte sich in Landshut zeigen, an die Mannschaft und an das internationale Niveau heranarbeiten. Er war nur einer von vielen im deutschen Team, die ihr eigenes Level, das gewohnte oder das behauptete, gegen Österreich nicht erreichten.
„Natürlich bin ich unzufrieden mit meiner Performance, das habe ich mir ganz anders vorgestellt, vor allem gegen die viele ehemaligen Kollegen“, sagte er hinterher. „Ich habe mich ein bisschen schwergetan mit dem ganzen Lob, das ich jetzt bekommen habe. Und dann will man es noch mal extra gut machen und noch mal genauso eine gute Performance liefern und, ja, das hat nicht ganz hingehauen. Vielleicht habe ich den Druck selbst in meinem Kopf fabriziert.“
„Unsere Entscheidungsfindung war einfach zu langsam“, sagt der Bundestrainer
Wie gegen die Letten agierte Sinn vorwiegend an der Seite von Moritz Müller, dem Teamältesten, dem großen Mo sozusagen. „Von Mo kann man extrem viel mitnehmen“, sagte Sinn. „Er ist so erfahren, das sieht man in der Kabine, wenn er Ansprachen hält, was er sagt, wie seine Körperhaltung ist.“ Müller habe sehr früh erkannt, „in der ersten Drittelpause schon, dass wir viel intensiver in die Zweikämpfe gehen müssen und das Spiel viel einfacher halten“, sagte Sinn. Müller selbst war es dann auch, der zwischenzeitlich zum 1:1 (30.) ausglich und sich mit seriöser Abwehr- und Kabinenarbeit noch am nachdrücklichsten für sein Olympiaticket empfahl. Aber „unsere Entscheidungsfindung war heute einfach zu langsam“, sagte der Bundestrainer. Vor dem 1:3 waren die deutschen Verteidiger zu tief und ohne genügende Absicherung ins gegnerische Drittel aufgerückt, vor dem 1:4 hinderte niemand Rohrer an seinem zweiten Treffer.
Auch der Mannheimer Leon Gawanke, laut Kreis ein Spieler, „der mit der Scheibe wirklich gut umgehen kann“, ließ sich vor dem 1:5 viel zu leicht vom Puck trennen und war erkennbar unzufrieden mit sich und der Welt. „Ja, auch für Leon war es ein frustrierendes Spiel heute“, sagte Kreis. „Auch bei ihm war es so: Er hat eine Möglichkeit gehabt, hat dann noch mal eine andere Entscheidung treffen wollen, und dann war das Fenster zu. Aber wir sprechen nicht über individuelle Fehler. Es ist eine mannschaftliche Gesamtleistung und die war heute nicht ausreichend.“ Dass der für die verletzten Lukas Kälble und Colin Ugbekile nachnominierte Verteidiger Philipp Preto kurz vor Schuss noch zum 2:5 traf, war eine eher ironische Fußnote.
Bis Februar müssen Kreis und Sulzer Lösungen für die Defensive finden. Vor dem WM-Silber 2023 etwa haben sie erfolgreich Moritz Seider und Moritz Müller zu einem Abwehrpärchen amalgamiert. Wenn die Nächte jetzt wieder länger werden, schlägt bekanntlich die hohe Zeit der Bastelarbeiten.
