
Der indische Mega-Zoo Vantara behauptet, eine Rettungsstation für Tiere in Not zu sein – und für keines auch nur einen Cent zu bezahlen. SZ-Recherchen zeigen nun, wie ein Artenschützer aus Brandenburg für seine „indischen Freunde“ offenbar auf große Einkaufstour geht und die seltensten Tiere gegen Geld beschafft.
Ein deutscher Artenschützer ist nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung daran beteiligt, auf dem kommerziellen Wildtiermarkt Exemplare streng geschützter Arten für den größten Zoo der Welt zu beschaffen. Der SZ liegen Chatnachrichten vor, in denen der Vorsitzende des Papageienschutzvereins ACTP aus Brandenburg, Martin Guth, als Einkäufer für den indischen Zoo Vantara auftritt, offiziell ein Projekt zur Rettung notleidender Tiere aus aller Welt. Dort ist in kurzer Zeit die größte Sammlung an lebenden Wildtieren entstanden, die je in Menschenhand gelegen hat. Experten hielten es bisher schon für nahezu ausgeschlossen, dass die Zigtausenden Tiere, die dort inzwischen gehalten werden, allesamt alt, verletzt oder in Not geratene Exemplare ihrer Arten sein sollen.
Vantara teilt auf Anfrage mit, „in voller Übereinstimmung mit allen nationalen Gesetzen, internationalen Verträgen“ und dem Washingtoner Artenschutzabkommen Cites zu arbeiten. „Wir sind eine gemeinnützige, nicht-kommerzielle Organisation, die sich dem Tierschutz und dem Artenschutz verschrieben hat.“ Noch nie hätten sie Tiere gekauft oder verkauft und würden das auch in Zukunft nicht tun. Guths Anwältin antwortet auf eine entsprechende Anfrage: „Martin Guth ist und war für niemanden, auch nicht das Vantara-Projekt, als ‚Tiereinkäufer‘ oder ‚Tierhändler ‘oder ‚Tierbeschaffer‘ tätig.“
In dem der SZ zugespielten Chat zwischen Guth und einem Tierhändler bespricht Guth die Preise von Tieren und die Zahlungsmodalitäten, etwa für Affen im Verkaufswert von 120 000 Euro, die bevorzugt in bar beglichen werden sollen, am besten in Dubai. Dort soll der Deutsche inzwischen überwiegend leben. Mehrfach gibt Guth an, in direktem Kontakt mit den Verantwortlichen des indischen Zoo-Projekts Vantara zu stehen und in deren Namen zu handeln, spricht von „meinen indischen Freunden“. Guth bekommt auf Anforderung von dem Tierhändler eine Angebotsliste zugesandt, die die Artbezeichnung der angebotenen Tiere und Beispielfotos enthält. „Wir nehmen fast alles!“, schreibt Guth und fragt nach den Preisen.
Hinter dem Zoo, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, steht die indische Industriellendynastie Ambani, die reichste Familie des Landes. Sie betreibt im Nordwesten Indiens auch die größte Ölraffinerie der Welt, in deren unmittelbarer Umgebung Vantara angesiedelt ist. Vor allem im Lauf der vergangenen drei Jahre wurden mehr als 45 000 Tiere dorthin geschafft, wie die SZ unter anderem in Handelsdatenbanken recherchiert hat. Darunter sind allein mehr als 1000 Raubkatzen.
Alles nur Tierrettung – oder doch Tierhandel?
Viele der Tiere werden aus Ländern, die als Drehscheibe des illegalen Wildtierhandels gelten, nach Indien geliefert. Als Absender dienen nach SZ-Recherchen zum Teil Fake-Zoos, die zwar über eine Zoolizenz und damit das Recht verfügen, Tiere weitergeben zu dürfen, aber nicht über entsprechende Anlagen. Hinter diesen Adressen stehen in Wahrheit kommerzielle Tierhändler. Experten gehen davon aus, dass unter den gelieferten Tieren auch viele Wildfänge sein müssen.
Vantara verweist darauf, dass alle geschützten Tiere legal transferiert worden seien und entsprechende Papiere hätten. Mit Martin Guth habe man nur in dessen Eigenschaft als Vorsitzender des gemeinnützigen Papageienschutzvereins ACTP zu tun gehabt. Was auch immer dieser persönlich oder unabhängig mit Dritten unternehme, sei von Vantara nie genehmigt oder autorisiert worden und liege ausschließlich in seiner Verantwortung.
Laut indischer Zoobehörde darf sich Vantara als „genehmigte und anerkannte Tierrettungseinrichtung“ unter keinen Umständen an „kommerziellen Abwicklungen von Tieren“ beteiligen. Neben dem Chat zeigen aber auch andere Dokumente, die der SZ und dem tschechischen Investigativmedium Investigace.cz vorliegen, dass Vantara offenkundig in den Wildtierhandel involviert ist: Ein Tierhändler aus Tschechien, mit mehr als 3000 Tieren einer der größten Lieferanten für Vantara, stellte dem Zoo einmal 237 350 Euro, ein anderes Mal 177 800 Euro in Rechnung, jeweils für Hunderte Tiere. Angegeben ist eine Bankverbindung und eine Zahlungsfrist.

:Der König der Papageien
Der Spix-Ara ist der seltenste Papagei der Welt. Vor dem Aussterben gerettet hat ihn der ehemalige Schuldeneintreiber Martin Guth – womöglich nicht nur aus edlen Motiven. Jetzt dealt er mit geschützten Wildtieren für eine der reichsten Familien der Welt.
Der Tierhändler, der auch einen kleinen Zoo betreibt, behauptet, es handele sich um „nicht-kommerzielle Transaktionen“, er bekomme lediglich ein Beratungshonorar. Nicht erklären konnte oder wollte er, warum er als Tierhändler Tiere kostenlos abgegeben haben sollte, für die er selbst zuvor Geld bezahlt hatte, wie die SZ-Recherche zeigt. Vantara teilt mit, es habe keine kommerzielle Vereinbarung mit dem tschechischen Händler gegeben. Die Zusammenarbeit „basiert auf gemeinsamen Tierschutzzielen“. Bei den Dokumenten handele es sich außerdem nicht um Handelsrechnungen, sondern um „Proforma- oder Zollrechnungen“, die ausschließlich zur Einhaltung internationaler Zollbestimmungen erstellt worden seien.
Der deutsche Papageienschützer interessiert sich auch für Menschenaffen
Offiziell ist der Deutsche Martin Guth lediglich über die Spix-Aras mit Vantara verbunden. Mit der erfolgreichen Zucht dieser seltensten Papageienart überhaupt, die in der Wildnis seit mehr als zwanzig Jahren als ausgestorben gilt, machte er sich über die Artenschutzszene hinaus einen Namen. Er ist Vorsitzender des von ihm gegründeten Vereins Association for the Conservation of Threatend Parrots e. V. (ACTP), der eine Zuchtanlage für Spix-Aras in Brandenburg betreibt. 2022 hat der ACTP in Kooperation mit den brasilianischen Behörden 20 Vögel in ihrer ursprünglichen Heimat ausgewildert. Die brasilianische Regierung hat die Kooperation mit dem ACTP inzwischen allerdings beendet, nachdem der ACTP 26 der streng geschützten Tiere in den indischen Vantara-Zoo verlegt hat.
Auf Kritik stieß auch, dass der ACTP Dutzende Spix-Aras an andere Einrichtungen oder private Halter in Europa weitergegeben hat. Zum Teil wurden sie mit Genehmigung der zuständigen deutschen Behörden für fünfstellige Summen verkauft.

In dem Chat äußert Martin Guth besonderes Interesse an der Beschaffung von Menschenaffen, etwa Schimpansen, Orang-Utans und Gorillas, betont aber in diesem Zusammenhang gegenüber seinem Chat-Partner, „grundsätzlich nichts, was illegal ist“, zu machen. Sie diskutieren dann, wie man Menschenaffen aus Tierrettungsstationen, sogenannten Rescue Centern, gegen Spenden bekommen könnte. Und der Tierhändler macht den deutschen Artenschützer auch auf eine besondere Spezies aufmerksam, von der es in Europa nur drei Tiere gebe: den Hammerkopf, einen seltenen Flughund mit riesiger Spannweite. Guth fragt zurück: „Und was kostet sowas bzw. überhaupt zu halten?“
Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich des Tier- und Artenschutzes sehen die Gefahr, dass durch die riesige indische Tiersammlung der teils illegale Handel mit streng geschützten Arten angeheizt wird. Ermittlungsbehörden und Zoll rechnen ihn der Organisierten Kriminalität zu, mit einem geschätzten Jahresumsatz von 23 Milliarden Euro. Tierhändler, mit denen die SZ für die Recherche gesprochen hat, erklärten, der Markt sei „leergefegt“, alles gehe „nach Indien“.

Exklusiv
:Die weite Reise des Inlandtaipans
Mehrere Exemplare der giftigsten Schlangenart und Hunderte weitere, teils geschützte Reptilien wurden aus Österreich nach Indien geliefert: wie sich eine Milliardärsfamilie für den größten Zoo der Welt in der Alpenrepublik bedient.
Vantara und die dahinterstehenden Organisationen sind weder Mitglied im Europäischen Zooverband (EAZA) noch im Weltzooverband (WAZA), die auf internationaler Ebene zum Beispiel über Erhaltungszuchtprogramme den Austausch von Tieren untereinander koordinieren.
„… wenn es richtig große Tiere sind. So medium Size und XL haben wir schon“
Einer der bisher größten Zoos der Welt, der Berliner Zoo, hält nur etwa 2500 Tiere jener Klassen, von denen in Vantara Zigtausende untergekommen sind. Es geht bei dem indischen Projekt offenbar auch darum, Sammlungen bestimmter Tierarten zu vervollständigen, etwa von Aldabra-Riesenschildkröten, der zweitgrößten Schildkrötenart der Welt: Guth schreibt in dem Chat auf die Frage, ob er und seine Kontakte an diesen Tieren Interesse hätten: „Ja, haben wir, aber suchen auch immer noch, wenn es richtig große Tiere sind. So medium Size und XL haben wir schon.“
Die SZ hat die Chatnachrichten überprüft und keinen Zweifel daran, dass sie echt sind. Guth lässt auf Anfrage über eine Anwaltskanzlei mitteilen: Wann immer ihr Mandant Kenntnis davon erlange, dass Tiere „gerettet oder auch einfach artgerecht untergebracht werden müssen, ist er und wird er auch immer bereit sein, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um dabei mitzuhelfen, diesen Tieren eine Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen“.
Die gesamte Recherche über den deutschen Artenschützer und mutmaßlichen Tierhändler ist als sechsteiliger Podcast erschienen, „Der Papageienkönig“ ist mit SZ-Plus-Abo hier zu hören oder über Spotify und Apple Podcast abrufbar. Alle Details zum Nachlesen gibt es in einer großen Reportage hier digital und gedruckt diesen Samstag in der SZ am Wochenende.