
„Der ‚American Dream’ ist nur noch in Detroit lebendig“, sagt Mamba Hamissi. Der 42-Jährige kam vor knapp zehn Jahren aus Burundi in die USA. In seinem Heimatland arbeitete er bereits als Koch und folgte auch in der größten Stadt des Staates Michigan seiner Berufung. Zunächst mit einem Foodtruck, seit 2021 mit seinem Restaurant „Baobab“, bald mit einem zweiten und eigenen Produkten wie Kaffee, Soßen, Säften und Schokolade in rund 250 Supermärkten. „Als ich in die USA kam, war ich geschockt, wie ungesund sich die Menschen ernähren“, erzählt er. Auf seiner Speisekarte stehen Huhn, Rindfleisch und Ziege, als Beilagen gibt es Reis und Kochbananen – alles ganz unamerikanisch zubereitet: Mamba Hamissi serviert „slow food“.
Sein Restaurant ist ein Beispiel von vielen, die das heutige Detroit charakterisieren. Das Ladenlokal stand 15 Jahre lang leer. Wie so viele Geschäfte und Gebäude. Ganze Straßenzüge waren bis vor wenigen Jahren noch verbarrikadiert. Das einstige „Paris des Nordwestens“ ein Schatten seiner selbst. Bei der Renovierung wurden die ursprünglichen Böden zutage gebracht und zum Bestandteil des Restaurant-Looks. Ähnliches lässt sich über viele der 100 Jahre alten Art-déco-Gebäude in der Stadt erzählen. Der Book Tower ist heute ein Appartementhaus mit dem 2024 eröffneten Hotel „Roost“. 20 Jahre war er verlassen. Der aus Detroit stammende Milliardär Dan Gilbert, unter anderem Besitzer des NBA-Teams Cleveland Cavaliers, erwarb den Tower für angeblich 30 Millionen Dollar und investierte 400 Millionen Dollar in die Sanierung. Auch hier wurden alte Wand- und Deckenverzierungen wiederentdeckt und erhalten. Nostalgiker werden sich in der Lobby wohlfühlen.
Dan Gilbert war einer der ersten Investoren und sendete damit auch ein Signal an andere. Den Anstoß zur Renaissance von Downtown Detroit gab aber die Sanierung des Whitney Buildings in den Jahren 2013 und 2014. Das Shinola Hotel wurde 2019 wiedereröffnet. Vorher wurde jede Fliese an der Fassade sorgfältig abgebaut, nummeriert, restauriert und wieder an ihrer angestammten Stelle angebracht. Mehr Liebe zur Architektur lässt sich kaum ausdrücken.
„In den vergangenen zehn Jahren sind viele Wolkenkratzer renoviert worden. Viele Unternehmen kommen jetzt auch zurück in die Innenstadt, wo sie einst gegründet wurden“, berichtet Davy Webb. Auch seine persönliche Geschichte erzählt ein bisschen die neue „Story of Detroit“: Der junge Mann lebt seit sieben Jahren in der Stadt und hätte sich lange nicht vorstellen können, heute genau hier als Touristenführer zu arbeiten und seine Gäste unter anderem durch einige der restaurierten Hochhäuser zu führen. Denn die Stadt tut einiges dafür, den Tourismus anzukurbeln und die Welt davon zu überzeugen, dass das Image der heruntergekommenen Großstadt mit den vielen Industriebrachen und leer stehenden Gebäuden der Vergangenheit angehört.
Bei ihren Besuchern punktet Detroit mit etwas, das eigentlich schon immer gegeben war: gute Erreichbarkeit. Und dann gibt es kulturelle Highlights, die man nicht unbedingt in dieser Stadt erwartet hätte.
Um ihren Gästen die Anreise unkompliziert zu ermöglichen, hat die Stadt einen Shuttlebus vom Flughafen in die Innenstadt eingerichtet. Die Fahrt kostet nur sechs Dollar. Vor Ort sorgt die Architektur der Stadt für kurze Wege. Eine Hochbahn, „The Detroit People Mover“, fährt im Kreis, und vieles ist zu Fuß erreichbar. So ist Detroit auch die einzige Stadt in den USA, in der noch alle wichtigen Sportstätten für American Football, Baseball, Basketball und Eishockey mitten in der Stadt und in Nachbarschaft stehen. Apropos Sport: Auch die Stimmung rund um den Volkssport Nummer 1, American Football, spiegelt das Comeback der Stadt rechtzeitig wider. Nach jahrzehntelanger Erfolglosigkeit hat sich das NFL-Team der Detroit Lions in den vergangenen beiden Jahren zu einer der stärksten Mannschaften in der Liga entwickelt. Die Fans können berechtigt von einer Teilnahme am Super Bowl träumen. Der fand dieses Mal, am 9. Februar, allerdings noch ohne sie statt – im warmen New Orleans. In Detroit kann es zu dieser Zeit bitterkalt sein. Außerhalb der Saison bietet Detroit aber auch genug Unterhaltung und Angebote für einen klassischen Städtetrip. Und wie gesagt: Vieles würde man nicht erwarten. Beispiel: Detroit ist die Stadt mit den zweitmeisten Theaterplätzen in den USA, nämlich 15.000. Allein 5000 entfallen dabei auf das Fox Theatre. Das Detroit Institut of Arts Museum (DIA) besitzt eine der größten Kunstsammlungen in den USA mit mehr als 60.000 Werken. Es war das erste Museum des Landes, das Bilder von Vincent van Gogh und Henri Matisse ankaufte. Jüngst wurde es im zweiten Jahr in Folge von den Lesern der Tageszeitung USA Today zum besucherfreundlichsten Museum des Landes gewählt.
Deutlich bekannter ist, dass Detroit die Wiege der US-amerikanischen Automobilindustrie ist. In der Piquette Plant stehen Besucher in den Hallen, in denen Henry Ford den ersten echten Volkswagen, das Model T, produzierte. Genauer gesagt: die ersten 12.000 Stück von insgesamt 15 Millionen. Im Schnitt rollten hier 30 Fahrzeuge pro Tag vom Band. Die Rekorde liegen bei 101 Fahrzeugen pro Tag und einmal null – weil Teile fehlten. Wer einen dieser Oldtimer sieht, sollte mal genauer das Ford-Logo über dem Kühlergrill anschauen. Denn hat der Schriftzug Flügel, wurde dieser Wagen in der Piquette Plant gebaut. Seit rund 100 Jahren baut Ford in „The Rouge“ im benachbarten Dearborn Autos. Die Fabrik kann ebenfalls besichtigt werden, Tickets dafür gibt es als Kombi-Paket zusammen mit Besuchen des Henry Ford Museum of American Innovation und dem Greenfield Village. Das Museum ist das größte der USA und zählt nach dem Smithsonian Institute die zweitmeisten Besucher. Die Ausstellung ist allerdings auch beeindruckend: mehrere Präsidenten-Limousinen, inklusive jener, in der John F. Kennedy erschossen wurde; der Stuhl, in dem Abraham Lincoln saß, als das Attentat auf ihn verübt wurde; oder der Bus, in dem Bürgerrechtlerin Rosa Parks auf ihrem Platz sitzen blieb. Außerdem Flugzeuge, Züge, Maschinen, jahrhundertealte Möbel und ein ganzes Haus zeigen die Geschichte von Technik und die Vielfalt von Innovation. Das angrenzende Greenfield Village ist ein Freilichtmuseum mit zahlreichen authentischen historischen Gebäuden.
Einen geschichtsträchtigen Straßenzug betritt der Detroit-Besucher auch auf dem West Grand Boulevard. Detroit ist nicht nur „Motor City“, sondern auch „Motown City“ – oder „Hitsville“, wie es an Haus Nummer 2648 prangt. Hier wurde 1959 das Plattenlabel Motown Records gegründet. Das Aufnahmestudio war rund um die Uhr geöffnet, Bands wie The Jackson Five mit Michael Jackson oder The Supremes mit Diana Ross wurden bei Motown erfolgreich. Stars wie Stevie Wonder und Marvin Gaye nahmen im Studio A ihre Songs auf. Insgesamt 180 Nummer-1-Hits wurden hier produziert. Und weil Gründer Berry Gordy für seine Firma immer mehr Platz brauchte, kaufte er in der Straße weitere Wohnhäuser auf. Am Ende verteilte sich Motown Records auf acht Gebäude. „Das einzige Unternehmen, das nicht in die Höhe, sondern seitwärts expandierte“, formuliert es ein Tourführer treffend. Auch „Hitsville“ kann besichtigt werden.
Und weil das Museum so viele Exponate aus 60 Jahren Musikgeschichte besitzt und hier gar nicht zeigen kann, wird bald für 70 Millionen Dollar sozusagen im Hinterhof des Gründungshauses ein neuer Komplex mit interaktiver Ausstellung gebaut. Zu hoffen ist, dass man auch dann noch den Charme und die (Musik-)Geschichte dieser von außen so unscheinbar wirkenden und innen so nostalgisch ausgestatteten Häuser spüren wird.
Die Stadt erlebt definitiv ihr Comeback. Aber es gibt trotzdem noch viele leer stehende Gebäude und verbarrikadierte Ladenlokale. Appartements und Lofts in historischen Gebäuden werden teuer sein. Und dass zum Beispiel General Motors mit seiner Zentrale aus seinem Tower am Detroit River in ein paar Jahren in den brandneuen Wolkenkratzer „The Hudson“ umziehen wird, sorgt dann bloß an anderer Stelle für Leerstand in einer Dimension, die schwer zu vermitteln sein wird.
Abschließend aber gerne noch ein weiteres positives – und wieder beeindruckendes – Beispiel für Detroits Sanierungskurs: Auch die Michigan Central Station erstrahlt nach Jahren des Verfalls neu in altem Glanz. Ein Hotel, Firmen und Geschäfte ziehen dort ein. Die Eingangshalle steht für Veranstaltungen zur Verfügung, und auch Züge sollen irgendwann wieder hier halten. Das Gebäude gehört heute der Ford Motor Company, fast eine Milliarde Dollar wurden in die Sanierung gesteckt. Ohne Ford wäre in Detroit vieles nicht möglich.
Die Reise für diesen Beitrag wurde unterstützt vom Detroit Metro Convention & Visitors Bureau („Visit Detroit“).