
Die beiden haben viel gemeinsam. Sie sind ein Jahrgang, beide wurden 1981 geboren. Der eine, Sebastian Herkner, in Bad Mergentheim, also im fränkischen Eckchen von Baden-Württemberg, nicht weit von Würzburg entfernt. Der andere, Henry Walther, ist zwar in Frankfurt geboren worden, aber in Offenbach aufgewachsen.
Herkner wiederum verschlug es Anfang der Nullerjahre in Frankfurts Nachbarstadt. Und es zog ihn nie wieder weg. Im Gegenteil: Einer der international bekanntesten Designer aus Deutschland ist mit ganzem Herzen weder Berliner, noch Münchner, Kölner oder Hamburger, sondern zu einem Offenbacher geworden.
Herkner und Walther sind beide auch Familienväter: Herkner hat mit seinem Mann Manuel eine zwei Jahre alte Tochter, die eine Leihmutter für sie vor zwei Jahren in den Vereinigten Staaten zur Welt gebracht hat. Henry Walther hat mit seiner Frau drei Kinder. Und noch etwas verbindet die beiden Männer: ihre Liebe zur guten Form, zu schönen Produkten.
Walther führt das Erbe seines Vaters fort
Und so haben sich die beiden Offenbacher in Offenbach auch gefunden. Henry Walther führt mit Decor Walther eines der letzten Designunternehmen der einst so berühmten Designmetropole Offenbach, die vor allem als Zentrum der Lederwarenindustrie bekannt war, bis die berühmten Marken in den Siebzigerjahren anfingen, nach Fernost abzuwandern. Im Jahr 2008 schloss schließlich auch der einstige Branchenführer Goldpfeil für immer seine Türen.
Kurz zuvor war Henry Walther in die Firma seines Vaters eingestiegen, der 2001 gestorben war. Damals war der Sohn noch Abiturient und zu jung. Henry Walther studierte zunächst Betriebswirtschaftslehre und arbeitete zugleich für Dornbracht, das Iserlohner Unternehmen, das seit 75 Jahren auf Armaturen und Badaccessoires spezialisiert ist.
Seit 2006 führt Henry Walther zusammen mit seiner Mutter Maiken Walther das Erbe seines Vaters fort. Indem er zum Beispiel auf Sebastian Herkner zuging und ihn fragte, ob er nicht Lust habe, etwas für das Unternehmen zu entwerfen. „Wir kannten uns schon“, sagt Henry Walther. „Die Design-Community in Offenbach ist ja überschaubar.“

Herkners Studio ist nur ein paar Gehminuten vom Firmensitz entfernt. Trotzdem war es ein weiter Weg für das Familienunternehmen, das bisher nur im Haus Produkte entwickeln ließ, von einer Abteilung mit drei Mitarbeitern. Nun also sollte das erste Mal ein Designer mit bekanntem Namen eine Kollektion gestalten.
Decor Walther hat vor gut 50 Jahren klein angefangen. Harald Walther gründete 1973 ein Geschäft am Hirschgraben in Frankfurt, in dem er vor allem schwere Messingteile anbot – Lüster, Griffe, Gardinenstangen, wie Henry Walther sagt. Auch eine Ecke mit Badaccessoires habe es in dem Laden schon gegeben. „Doch damals fehlte es an schönen Produkten fürs Bad“, sagt Walther.
Genau das war die Geschäftsidee des Vaters, der wenig später eine erste Kollektion auf der Frankfurter Herbstmesse, der heutigen Ambiente zeigte. Produziert wurde fortan in Offenbach, aus einem Keller heraus, verkauft in Frankfurt. „Meine Mutter war im Geschäft und nah dran an den Kunden“, sagt Walther. „Sie wusste, was funktioniert und was nicht.“
„Es sollte eher härter, kühler, maskuliner sein“
Mit einem Autorendesign wagte der Sohn nun den nächsten großen Schritt für die Marke Decor Walther. Allerdings zu einem ungünstigen Zeitpunkt. „Wir trafen uns die ersten Male nur mit Maske, wegen Corona“, berichtet Herkner. Einige Gespräche fanden trotz der räumlichen Nähe deshalb nur online statt.
Sebastian Herkner schätzt altes Handwerk. Und das schon seit seiner Studienzeit an der Hochschule für Gestaltung, der Kunsthochschule des Landes Hessen in Offenbach am Main. Dort begann er 2001 zu studieren, 2007 gründete er sein eigenes Studio in der Stadt.
Schon während seines Studiums arbeitete er gerne mit unterschiedlichen Materialien, griff auf traditionelles Handwerk genauso wie auf neue Technologien zurück. Wie etwa bei seinem wahrscheinlich bekanntesten Werk, dem Bell Table, einem handgefertigten Beistelltisch. Der Fuß besteht aus Glas, auf dem ein Metallkörper aufliegt. So scheint er über dem nicht ganz transparenten Material zu schweben. Der Glasfuß wird in einer Holzform geblasen, der Metallkörper ist gedrückt.
Auch für seine Kollektion für Decor Walther wollte Herkner zwei unterschiedliche Materialien zusammenbringen. „Wir wollten etwas Neues für die Kunden“, sagt Henry Walther. „Es sollte eher härter, kühler, maskuliner sein.“ Und so wählte der Designer Porzellan, das er mit CNC-gefrästen Aluminiumelementen kombinierte.
„Glänzende Oberflächen treffen auf metallische Präzision“, beschreibt es Herkner. „Wir haben uns für Materialien entschieden, die besonders sinnlich und authentisch sind.“ Massives Aluminium, nicht etwa Aluminiumrohr, vereine sich mit Porzellan, einem produktionsbedingt sehr ehrlichen Werkstoff, der dem Entwurf durch die Glasur noch eine handwerkliche Note verleihe.
Das Aluminium hat zudem eine Wellenstruktur, was nicht nur zu Wasser und dem Thema Bad gut passt. Es ist auch haptisch angenehm, das Metall anzufassen. Die Struktur spielt zudem mit Licht und Schatten. Inspiration dafür waren unter anderem Aluminiumelemente von Gebäuden wie dem Wohn- und Geschäftskomplex Marina City in Chicago.
„Ich entwerfe Produkte, die zu Begleitern werden“
„Ich fand das Thema Aluminium spannend. Das Eloxieren der Oberfläche verleiht diesem sehr technischen Material eine gewisse Eleganz. Dies in Kontrast zur handgefertigten Keramik zu setzen, war eine Herausforderung und macht den Reiz der Kollektion aus“, sagt Herkner.
„Der Werkstoff Aluminium ist auch ganz neu für uns“, ergänzt Henry Walther. Das Material erfüllt auch gleich mehrere Kriterien, die beiden wichtig waren: Es ist langlebig. „Unsere gemeinsame Idee war es, eine Kollektion zu schaffen, die keinen Trends folgt, sondern vielmehr ein Statement setzt“, sagt Herkner. Und fügt hinzu: „Ich entwerfe Produkte, die zu Begleitern werden.“

Die Kollektion umfasst derzeit alle klassischen Badaccessoires wie Seifenspender, Schalen, Handtuchhalter und WC-Bürsten, aber auch Papierhandtuchboxen, Ablageschalen und Aufbewahrungsbehälter in verschiedenen Größen. Einige Teile müssen nicht unbedingt im Bad stehen, sie sind auch nützliches Zubehör in der Küche oder können sogar dekoratives Beiwerk im Wohn- und Schlafzimmer sein, etwa als Schmuckschatulle oder Keksdose. Eine Erweiterung auch um einen Spiegel ist schon in Planung.
Gefertigt wird an zwei verschiedenen Orten, die weit auseinander liegen: Das Metall kommt aus China, das Porzellan wird in Franken in Bayern gefertigt. Die Zulieferung nach Offenbach, wo alle Elemente zusammengeführt, geprüft und verpackt werden, nennt Henry Walther „komplex“. Damit es nicht zu eintönig und auch männlich wird, haben Herkner und Walther drei edle Metalltöne gewählt, die sich mit eher erdigen Naturtönen kombinieren lassen: goldfarbenen Champagner, Mocca oder silberfarbenes Aqua und Dune, Moor oder Shell – also in etwa Beige, Braun oder Grau.
Bleibt nur noch der Name der Kollektion: OF.Line. Er war Walthers Idee und ist vieldeutig. „OF“ ist natürlich das Kürzel für Offenbach, das zum Beispiel auch auf den Autokennzeichen der Stadt und des Landkreises steht. „Line“ spielt auf die Linien im Aluminium an, aber auch darauf, das Herkners Studio und der Unternehmenssitz von Decor Walther gewissermaßen durch eine Linie in Offenbach miteinander verbunden sind, sie liegen beide an der Ludwigstraße.
Die Kollektion entstand auch zumindest teilweise und gezwungenermaßen „online“, auch wenn die räumliche Nähe ihnen während der Entstehungsgeschichte wahrscheinlich mehr Treffen in Präsenz ermöglicht hat, als es anderen Designern und Produzenten während der Corona-Pandemie vergönnt war. Und auf noch etwas nimmt der Name Bezug, den Raum nämlich, für den die Kollektion vor allem gedacht ist: das Badezimmer. „Das ist hoffentlich der letzte Ort im Haus“, sagt Herkner, „in dem man offline ist“.