Nach 2000 Jahren ist Kaiser Augustus an den Ursprungsort zurückgekehrt. Allerdings nicht er, sondern der Pferdekopf seines Reiterstandbildes, der überraschend 2009 bei Grabungen der römischen Siedlung nahe Waldgirmes im elf Meter tiefen Brunnenschacht zutage trat. Zum Abschluss der Untersuchungen wurde zwar eine freihändig-künstlerische Arbeit des ersten römischen Kaisers am „Forum“ der in Grundzügen rekonstruierten Niederlassung aufgestellt. Das Original des Pferdekopfes aber kam nach langer Restaurierung auf die Saalburg, und jetzt besitzt ihn auch Waldgirmes. Als hochwertige Replik aus dem 3D-Drucker.
Gezeigt wird das gute Stück vom im Jahr 2022 eröffneten Besucherzentrum, das sich naheliegend mit dem historischen Hintergrund beschäftigt. Modelle unterstreichen die „Sensation“, im offenen Hügelland der Lahn zwischen Gießen und Wetzlar erstmals rechtsrheinisch eine Zivilanlage Roms entdeckt zu haben. Niemand hätte eine solche Gründung für die Zeit um Christi Geburt so weit östlich in „Magna Germania“ erwartet. Obwohl die Legionen tief im Land kämpften, muss also die Etappe bereits befriedet gewesen sein.
In Waldgirmes blieb davon nichts. Erst Scherbenfunde auf einem Acker veranlassten 1993 – eben noch rechtzeitig vor dem Erschließen eines Gewerbegebiets – Grabungen, wobei eine mit Palisaden und doppeltem Graben geschützte Siedlung von wenigstens 24 Häusern rings um das Forum erkannt wurde. Schon dessen 2200 Quadratmeter Fläche lässt vermuten, dass die Römer dort Großes vorhatten.
Wahrscheinlich vereitelte dann die katastrophale Niederlage in der Varusschlacht 9 nach Christus alle hochfliegenden Pläne, und man gab den Vorposten auf. Militärs blieben noch einige Jahre stationiert – und zerschlugen beim Abzug den goldglänzenden Augustus hoch zu Ross –, bis die endgültige Entscheidung fiel, dieses unwirtliche Germanien nicht über Taunus und Wetterau hinaus dem Imperium einzuverleiben.
Nicht nur das als Verwaltungs- und Handelspunkt vorgesehene Waldgirmes spricht für weiterreichende Landnahme. Mit der gewaltsamen Vertreibung von Kelten am Dünsberg hatte man auch das Vorfeld gesichert, dann jedoch darauf verzichtet, den mächtigen Vulkankegel und selbst die Lahn als natürliche Grenze einzubeziehen. Erst später siedelten Chatten im Gießener Becken – argwöhnisch beäugt von den nun hinter dem Limes sitzenden Römern.
Wegbeschreibung
Waldgirmes ist gut geeignet – durch herbstlich bunt gefärbte Wälder –, mit der „Sternschanze“ am Königstuhl ein weiteres Zeugnis geschichtlicher Ereignisse zu entdecken. Die im Gelände sichtbaren Verwerfungen erinnern an eine Episode aus dem Siebenjährigen Krieg, als sich zwei große Armeen beiderseits der Lahn wochenlang belauerten, ohne dass ein Schuss fiel.
Das Römische Forum liegt am nordwestlichen Bebauungsrand von Waldgirmes. Für Gäste des Besucherzentrums ist ein kleiner Parkplatz reserviert. Mehr Raum bieten die Straßen der Eigenheimsiedlung davor und die Stellfläche am Sportpark unterhalb eines Gewerbegebiets jenseits der Naunheimer Straße. Hier hält auch der Bus, und gleich dahinter zeigt die Zufahrtsstraße rechts zum Forum.
Mit Blick auf die Öffnungszeiten empfiehlt sich werktags zunächst die Besichtigung (das Außengelände steht jederzeit offen). Die Anlage wird vom Kelten-Römer-Pfad durch das Gießener Land berührt. Seine Kennung KR (rot) biegt dann in die Straße Am Zäun und quert gut markiert den Ort. Im Zentrum umgeben die gotisch-barocke Pfarrkirche noch einige der für Oberhessen typischen „Bauernburgen“ vollständig abgeriegelter Fachwerkgehöfte.
Bäuerliches Gerät können wir im Außenbereich des aktuell geschlossenen Heimatmuseums wenige Schritte hinter der Kirche einsehen. Ansonsten davor links und rechts in die Lauterstraße leicht ansteigend durch ein neueres Eigenheimquartier. Weiter oben sind die Häuser bis an den früheren jüdischen Friedhof herangerückt. Danach kommt offenes Terrain in Sicht, erst geradeaus, dann über begraste Wege rechts und links in die Senke des Schwalbenbachs.
Drüben wiederholt sich das Spiel, rechts, links, durch zwei Serpentinen in den Wald, den man nach rechts nochmals verlässt, ehe ausgangs eines Linksbogens endgültig der Baumvorhang schließt. Gleich rechts bietet das Zeichen den Schlenker zu einem Wassertretbecken an, wobei das Geradeaus auch beibehalten werden kann. Bald taucht das KR wieder auf und folgt mäßig steigend der Hauptrichtung Dünsberg.
Ganz so weit wollen wir nicht. Unser Wendepunkt heißt Gottesfrieden- oder Frauenkreuz (es lässt sich ein Stück zuvor abschneiden). Vermutlich wurde dieses schon im 14. Jahrhundert errichtete Sühnekreuz bei der ereignisarmen Belagerung der beiden Armeen im Herbst 1759 aus Überdruss zerstört. Dank Spenden konnte es 1987 erneuert werden, versehen mit einer erläuternden Bronzeplatte. Noch ausführlichere Erklärungen hält die nahe Schutzhütte vor.
Darstellungen, warum hier rund 100.000 Franzosen und alliierte Soldaten der Hessen, Hannoveraner und Engländer aufeinandertrafen, fehlen auch nicht vor der von Letzteren angelegten Sternschanze. Dorthin und bis ans Wanderende begleitet uns ab dem Frauenkreuz der Lahnwanderweg. Nur am Zugang in das Labyrinth der Wälle und Pfade verharrt sein rotes LW. Durch den kampflosen Rückzug der Franzosen blieben die Befestigungen erhalten, während den natürlichen Verfall teils offenes Wurzelwerk obenauf wachsender Bäume verhindert.
Die tiefen Gräben am benachbarten, 348 Meter hohen Königstuhl stammen von einem Steinbruch, der ein Geotop schräg gestellter Basaltfelsen zurückließ. Der Lahnweg beschreibt allerdings einen großen Bogen außenrum. Er empfiehlt sich, möchte man den steilen, mitunter rutschigen Abgang vermeiden. Da der Aufstieg kürzer und flacher ausfällt, wäre auch ein Abstecher möglich.
Über die Höhe führen mehrere Zeichen, darunter roter Punkt und weißes L. Hat man bergabwärts eine Naturwaldzone durchmessen und breite Forstwege erreicht, erfolgt weiter unten die Wiedervereinigung mit LW, dem nun die alleinige Aufmerksamkeit gilt. Nach der Ankunft an einem Parkplatz setzen wir schräg gegenüber am Rande der offenen Talung des Schwalbenbachs den Weg fort, bis scharf links ansteigend abermals in den Wald abzuknicken ist.
Oben geht es an herrlichen Eichen vorbei, abgelöst von Feldern und Streuobst, beim Linksschwenk auf Waldgirmes zu, aber nicht hinein. Zum einen wartet mit der Haustädter Mühle eine seltene Lokalität, die bodenständige Küche mit ansprechendem Ambiente verbindet. Zum anderen will eine lange Parade an Apfel- und Birnbäumen abgenommen sein, bis der finale Linksabzweig – ohne LW – gen Römisches Forum angezeigt wird. Von Weitem sieht man schon den goldenen Reiter, der etwas einsam inmitten der abgesteckten Siedlungsfläche steht. Am auffallendsten ist das holzgetäfelte Besucherzentrum, an das sich die Zufahrtsstraße anschließt.
Sehenswert
Stolz darf sich Waldgirmes die Gemeinde mit den „ältesten rechtsrheinischen Steinmauern Deutschlands“ nennen. Sie entstammen der römischen Frühzeit. Die Fundamente einer Zivilsiedlung wurden seit 1993 ergraben und in Grundzügen kenntlich gemacht. Bedeutendster Fund ist der Pferdekopf eines Reiterstandbildes von Kaiser Augustus. Als Replik aus dem 3D-Drucker kam er kürzlich in das neue Besucherzentrum. Dafür sind die Wälle und Gräben einer großen Sternschanze am 350 Meter hohen Königstuhl oberhalb von Waldgirmes zu abgelegen. Die mächtige Anlage ist nur zu Fuß erreichbar. Dort hatten sich im Herbst 1759 zwei große Armeen beiderseits der Lahn verschanzt, ohne dass Kampfhandlungen erfolgten.
Öffnungszeiten
Römisches Forum in Waldgirmes, täglich außer montags am Werktag von 10 bis 12 Uhr, samstags von 14 bis 17 und sonntags von 10 bis 17 Uhr. Von November an am Wochenende von 14 bis 16 Uhr. Das Außengelände ist frei zugänglich.
Der Gasthof „Haustädter Mühle“ hat unter der Woche nur abends geöffnet, sonntags von 11 Uhr an.
Anfahrt
Lahnau-Waldgirmes liegt nahe der A 45, Ausfahrt Wetzlar-Ost, weiter auf der B 49 bis zum entsprechenden Hinweis. Die (nicht ausgeschilderte) Zufahrt zum Römischen Forum findet sich am westlichen Ortsrand in Richtung Naunheim.
Regelmäßige Verbindung via Gießen oder Wetzlar mit Bus 24, Station „Römisches Forum“.