
Wenn eine Stadt in den letzten Jahrzehnten über sich hinauswuchs, dann Dietzenbach im Kreis Offenbach. Die Einwohnerzahl verdreifachte sich in 30 Jahren auf rund 35.000 Bürger mit den bekannten Folgen für das städtebauliche und soziale Gefüge. Entsprechend war und ist man um identitätsstiftende Akzente bemüht, wobei der Hessentag im Jahr 2001 Gelegenheit bot, Orts- und Selbstbild aufzuwerten. Im alten Kern wurden die letzten Fachwerkhäuser gerettet, denen als Antipode seither ein Aussichtsturm am 200 Meter hohen Wingertsberg gegenübersteht.
Brachte es die kühne, spindelartige Architektur inzwischen zum informellen Wahrzeichen der seit 2002 als Kreissitz fungierenden Stadt, bildet doch erst die Vergangenheit ein Bewusstsein lokaler Verbundenheit. Um der Gesichts- und Geschichtslosigkeit entgegenzuwirken, erhielt damals das ursprünglich in einem Fachwerkgehöft untergebrachte, vor 50 Jahren gegründete Heimatmuseum stattlichen Zuwachs. Kaum ein zweites Haus im Rhein-Main-Gebiet bietet einen derart umfassenden Einblick in die bäuerlich-handwerklichen Lebensumstände einer gar nicht so fernen Zeit. Wo seit den Sechzigerjahren Trabantensiedlungen und Gewerbeflächen erwuchsen, grasten noch Rinder und Schafe.
Das Museum vertieft, was ein ebenfalls zum Hessentag angelegter „Geschichtspfad“ unter freiem Himmel symbolisch vermittelt. Dabei geht es aus einem „Zeittunnel“ gleichsam im Slalom über große Tongefäße vorgeschichtlicher Grabbeigaben sowie einer „Ruine“ aus dem Dreißigjährigen Krieg zu einem für den Bahnanschluss 1898 stehenden Gleispaar. In dieser Hinsicht ist die von Grünland und Wäldern umgebene Gemeinde schon lange abgehängt, erhielt aber 2010 Ersatz mit der dort endenden S-Bahn-Linie 2.
Der Parcours durch die Historie bildet, wie der gesamte Dietzenbacher Raum, einen Baustein der Regionalpark-Route. Seitdem erfreut sich auch der „Keltenzug“ am nahen Bulauer Berg der Wiederentdeckung, ohne dass er bis dato saniert worden wäre. Ursprünglich entstand die Installation 2002 im Rahmen des Keltenjahres mit weiteren Rekonstruktionen, so einem exemplarischen Stück Römerstraße.
Mag das Sujet, die Bestattung eines „Fürsten“, etwas freihändig geraten sein, wird doch vorstellbar, welche Bedeutung Totenrituale für das Gemeinschaftsgefühl der Menschen vor 2500 Jahren besaßen. Ob sich überhaupt eine Grabkammer in der Nekropole am Bulauer Berg befindet, soll ebenso ein Geheimnis bleiben wie das Innere zahlreicher Hügelgräber ringsum.
Wegbeschreibung
Der Dietzenbacher S-Bahnhof an der Endstation der Linie 2 liegt günstig für den Gang in die Ortsmitte oder gleich hinaus in das „grüne“ Umland. Autofahrer finden hier oder auch zentral an der Darmstädter Straße viel Parkraum. An der Gleisbrücke steht das Signet der Regionalpark-Route – rotes, zweifach geteiltes Dreieck – bereit. Für das erste Etappenziel, den Geschichtspfad, muss auf der anderen Seite zwar ein Gewerbegebiet durchmessen werden, dann aber läuft man neben einer stillgelegten Straße zwischen Wiesen und Birkenalleen. Noch das Gleichgewicht auf der „Balanciermeile“ erprobt, und die Route schwenkt rechts in den Kurs der symbolträchtigen Installationen ein.
Am anderen Ende geht es links zur nahen Landstraße. Drüben halten wir auf das Gewerbegebiet zu, um daran – am ersten Gebäude links, dann rechts – entlanggeführt zu werden. Ausgangs zeigt das Zeichen links in dichten Wald und gleich rechts, vorbei an einem großen Angelteich, stets in Richtung des ausgeschilderten „Keltenzugs“. Der ist – begleitet von Feuchtgebieten – vom Linksknick an vor einer Schutzhütte nicht allzu fern: Noch über die Kuppe und das Ensemble kommt vor der Waldspitze in Sicht.
Einem Keltenfürst angemessen, wurde er an exponierter Stelle bestattet, wie auch zahlreiche Hügelgräber für eine Baumfreiheit der sogenannten Bulau sprechen. Allerdings ging man mit dem Herrscher und seinem Gefolge über die Jahre wenig respektvoll um. Die Arbeit aus Beton und geschwärzter Glasfaser des Künstlers Kai Georg Wujanz sowie die umgebenden „Stationen“ bedürfen der Erneuerung.
Für den Weiterweg kehren wir zur Kreuzung an dem Pferdehof zurück und links – ohne Abstecher mithin rechts – in den Forst. Einer Markierung bedarf es nicht. Der hell ausgelegte Forstweg gibt die Richtung vor. Unverändert auch bei zwei Gabelungen; jeweils rechts (Waldlose 134 und 135). Nicht zu übersehen sind eine Reihe Hügelgräber, die gleichwohl höher gewesen sein dürften. Vor Raubgräbern schützten sie später die Bäume des ausgedehnten Königs- oder Dreieichforstes. Selbst die Archäologie griff nur bei Bauarbeiten zum Spaten.
Später stößt der Weg auf einen hohen Wall. Dahinter verbirgt sich keine prähistorische Stätte. Vielmehr dient die Anlage der Trinkwasseraufbereitung, wie das verklinkerte Gebäude auf der anderen Seite erwarten lässt. Davor bleibt der nicht einsehbare Betrieb links hinaus zurück und zwischen dicht gewebter Vegetation bis zu einer Straße. Auf der anderen Seite nutzen wir den begrasten Weg um ein großes Hundesportareal, dem sich Tennisplätze anschließen. Ihnen gegenüber biegt man rechts wieder in Wald, angezeigt als Landschaftsschutzgebiet. Es zeichnet feuchten Untergrund mit entsprechender Vegetation aus. Doch es kommt noch besser.
Zunächst ist auf den Rechtsabzweig nach 300 Metern gen Dietzenbach zu achten. Im Linksbogen strebt der eichengesäumte Weg einer weiten Wiesenau entgegen, wobei er vor dem Waldrand verharrt. Gut erkennbar durchziehen hüfthohe Wälle das dschungelartige Unterholz, an einigen Stellen brackige Biotope umfassend. Ein Marker der Regionalpark-Route, die abermals mitläuft, klärt auf, dass es sich um Reste der einst Dreieich schützenden Ringlandwehr handelt.
Dem baldigen Linksknick der Route folgt man schon nicht mehr. Das Geradeaus wird bis an die zu kreuzende Landstraße beibehalten. Auf der anderen Seite gleich rechts stellt das Pfädchen neben der Fahrbahn die Verbindung zu einer ausgedehnten Kleingartenkolonie her. Ihrer Zufahrt links hinein muss man lediglich wenige Meter nachgehen, an der ersten Möglichkeit rechts – vor dem grünen Tor – kann der Asphalt zurückbleiben.
Angesichts der raumgreifenden Siedlungen von Dietzenbach erstaunt, dass dieses Areal mit seinen großzügigen Parzellen unbebaut blieb. Rund einen Kilometer dehnt es sich quasi in bester Hanglage aus, ehe es unvermittelt vor dem Turm am Wingertsberg endet. Die 33 Meter hohe Konstruktion bietet großartige Ausblicke über das Rhein-Main-Gebiet bis Taunus und Spessart. Das italienische Restaurant am Zugang kann auch nur „Panorama“ heißen. Dank Wintergarten ist dieses selbst jetzt gewährleistet, sofern es das Studium der umfangreichen Speisenkarte erlaubt.
Zum Abschluss kann im Heimatmuseum auch der Wissensdurst gestillt werden. Wir laufen zwischen großzügigen Eigenheimen den Hainer Pfad abwärts, rechts die Treppe hinunter und schräg gegenüber links in die Darmstädter Straße. Nach flächenhafter Sanierung – einschließlich Kopfsteinpflaster und „Gaslaternen“ – wiedererstand dort ein Stück des alten Dietzenbachs. Wozu einst die Fachwerkhäuser dienten, Gehöfte und Werkstätten, findet sich konzentriert in dem 900 Quadratmeter großen Museum.
Das „neue“ Dietzenbach beschließt die Runde, wenn wir an der Einmündung rechts in die Babenhäuser Straße wechseln. Sie flankiert typische Zweckbauten der Achtzigerjahre, bevor Wohnhäuser die Schlusspassage zur S-Bahn-Station begleiten.
Sehenswert
Dietzenbach ist 1220 erstmals erwähnt worden. Die Christuskirche von 1754 sowie Fachwerkhäuser an der Darmstädter Straße und Nebengassen erinnern an die Traditionslinie, die in vorgeschichtliche Zeit reicht. Darauf deuten Hügelgräber und die Grabstätte eines keltischen „Fürsten“. In offener Flur wurde ein symbolischer Geschichtsparcours angelegt. Prähistorische Funde zeigt das Heimatmuseum. Den besten Überblick gibt der 33 Meter hohe Aussichtsturm auf dem Wingertsberg.
Anfahrt
Über die A 661, Ausfahrt Neu-Isenburg, Richtung Heusenstamm, vor Gravenbruch rechts zur B 459. Ins Zentrum von Dietzenbach geht es nach rechts zur Offenbacher und aus dem Kreisel links auf die Babenhäuser Straße.
Die S-Bahn-Linie 2 fährt bis zum Bahnhof Dietzenbach (Endstation).