Die Quellenlage ist ungenau, Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes weisen um das Jahr null Lücken auf, aber viel spricht dafür, dass es damals in Bethlehem keine weißen Weihnachten gab. Als Klein-Jesus auf die Welt kam, war es eher sandig und staubig, immerhin hat der Sternenhimmel gezeigt, was er zu bieten hat, und prächtig geglänzt. Wer historisch authentische Weihnachten erleben möchte, sollte den Mittelmeerraum aufsuchen, den Tathergang mit Sandkörnern vom Tennisplatz unterm Tannenbaum simulieren oder im Stall feiern.
Trotzdem setzt jedes Jahr zuverlässig Mitte Dezember der akute Sehnsuchtsanfall nach weißen Weihnachten ein. Für sachdienliche Vorhersagen gelten die Argumente der Immobilienmakler: Lage, Lage, Lage. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) macht sich mit dem Hinweis auf „höhere Lagen“ vorab einen schlanken Fuß und teilt aktuell mit, dass sich der im „Mittelgebirge sowie an den Alpen zuvor gefallene Schnee meist bis in den Heiligen Abend retten“ kann. Die Rettung ist jedoch von kurzer Dauer, am 24. Dezember deutet sich „von Nordwesten ein Warmluftaufzug an, der leichten Regen bringt“. Das Wetter an Weihnachten wird wie das Jahr: unbeständig. „Mit Ausnahme der höheren Mittelgebirge fallen die Feiertage in den übrigen Landesteilen tendenziell eher grau-grün und recht mild aus“, so der DWD.
Früher war nicht alles besser und Weihnachten nicht weißer. In den 1950er- und den 1980er-Jahren gab es in Hamburg, Berlin und München fast durchgehend graue Weihnachten. Für „richtig“ weiße Weihnachten, also Schnee an Heiligabend und den beiden Feiertagen, liegt die Wahrscheinlichkeit in den meisten Regionen Deutschlands bei zehn bis 20 Prozent, in München bei einem Drittel. Im Flachland sind weiße Weihnachten so unwahrscheinlich wie ein Privattreffen der sittlich gereiften Olaf Scholz und Friedrich Merz zum Schrottwichteln nach der Bescherung.
Der Traum der Romantiker
Der Traum von weißen Weihnachten hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Die Romantiker verklärten den weißen Belag zum symbolisch überladenen Inbegriff von Ruhe und Frieden. Weiß als Farbe der Unschuld und des Neubeginns nach dem Jahresende eignete sich ideal dafür. Dominierten zuvor Herbstmotive, wurden auf Postkarten weiße Winterlandschaften populär. Bis heute stehen Geschichten von verschneiten Wäldern und Schlittenfahrten für die Sehnsucht nach der guten alten Zeit und familiärer Idylle unterm Weihnachtsbaum. Ein wunderbarer Kontrast zum Zank über falsche Geschenke und warum bei der Menüfolge wieder nicht darauf geachtet wurde, dass Hannah Vegetarierin ist.
Die Erwartungshaltung gegenüber Weihnachten ist höchst unfair. Schließlich übt der Winter im Dezember noch und muss sich ständig gegen milde Westwinde vom Atlantik wehren. Zuverlässig kalt wird es meist erst im Januar. Zudem überlagern sich in der Erinnerung Gefühle von Geborgenheit, Glockenläuten und geschlossener Schneedecke zu einer in Kerzenschein getauchten Feier von Harmonie und Herzenswärme. Der Mensch verfügt über die wunderbare Gabe eines selektiven Gedächtnisses. Matschwetter und Streitereien sind schnell vergessen. Der Zauber der weißen Weihnacht hilft, alles andere zuzudecken. Zumindest vorläufig.