
Da ist ihnen etwas gelungen. Mit diesem Gefühl blicken die Berliner Studenten Julius Drost und Moritz Henneberg 2024 auf ihr Abschlussprojekt, einen animierten Kurzfilm über den tollpatschigen Haushaltsroboter „Butty“. Sie hatten Spaß bei der Arbeit, haben viel Herzblut reingesteckt und sich dabei hervorragend ergänzt: Julius, der 3D-Zeichner, eher introvertiert. Moritz, der Regisseur, eher extrovertiert. Als sie den Film probeweise auf Youtube hochladen, sind die Zahlen gewaltig. Also beschließen sie, ihn auf Festivals einzureichen.
Und stellen mit Entsetzen fest: Das hat schon jemand anders getan.
Der Dokumentarfilm „Der talentierte Mr. F.“ (Buch und Regie: Igor Plischke) erzählt also die Geschichte eines geistigen Diebstahls. Julius Drost und Moritz Henneberg gehen auf die Suche nach demjenigen, der ihren Film geklaut und dann mit ihm auf diversen Festivals Preise gewonnen hat. Dieser Jemand ist der US-Amerikaner Samuel Felinton, gerade mal 20, ein Brillenträger mit wildem Lockenkopf. Fassungslos verfolgen die Filmemacher, wie er sich in Interviews mit Animationen brüstet, von denen er keine jemals selbst angefertigt hat.
Der Haushaltsroboter „Butty“ heißt beim Dieb kurzerhand „T-130“, aus Marketinggründen, wie er erklärt
Leider macht ihnen auch der Anwalt, den sie aufsuchen, wenig Hoffnung. Bis zu einem Urteil, sagte er, könne es zwei Jahre dauern. Und in dieser Zeit dürfe der Angeklagte weiter über den Film verfügen. Der Rechtsweg ist demnach schwierig, davonkommen soll Felinton aber auch nicht. Also entwickeln Drost und Henneberg einen Schlachtplan.
Zunächst reisen sie selbst in die USA, nach Morgantown, West Virginia, wo Felinton lebt. Damit der keinen Verdacht schöpft, holen sie noch einen amerikanischen Filmemacher dazu, der ebenfalls unter falschem Vorwand Kontakt zu ihm aufnimmt.
Bei allem Ernst der Lage, es geht ja immerhin um ein handfestes Verbrechen, bleiben Drost und Henneberg erstaunlich ruhig und entspannt. Man sieht sie zwar hadern, zweifeln, diskutieren über das richtige Vorgehen. Letztlich begreifen sie die Reise nach Morgantown aber mehr als Abenteuer denn als reine Rachemission – vorausgesetzt, sie bekommen, was ihnen zusteht: den Ruhm und die Aufmerksamkeit für ihren wirklich rührenden Animationsfilm. Beides hat Felinton eingesackt, und zwar indem er einfach jeden Hinweis auf die Urheber entfernt hat, inklusive herausgeschnittener Szenen. Der Haushaltsroboter „Butty“ heißt bei ihm kurzerhand „T-130“, aus Marketinggründen, wie er später freimütig erklärt.
Auch ansonsten versteckt Felinton sich auffällig wenig. Im Netz gibt es, wie Drost und Henneberg schnell herausfinden, jedenfalls jede Menge über ihn: Er hat angeblich Bücher geschrieben und eine eigene Filmproduktionsfirma (Felinton Inc.) und eine Kleidungsmarke gegründet. Dazu betreibt er zig Youtube-Kanäle. In einem Blog stellt er sich als Jungunternehmer vor und tritt äußerst selbstsicher auf. Als der von Drost und Henneberg ins Boot geholte amerikanische Filmemacher ein fingierts Interview mit ihm führt, fantasiert Felinton davon, wie er in „T-130“ seine bevorstehende College-Zeit verarbeitet, und spricht über Details, die er sich vermeintlich ausgedacht oder weggelassen hat. Alles zusammen ergibt das Psychogramm eines astreinen Hochstaplers.
Felinton hat selbst eine berührende Geschichte zu erzählen
Auch noch, als ihn die jungen Filmemacher mit der unangenehmen Wahrheit konfrontieren, dass er die Leistung von anderen als seine eigene ausgegeben hat. Felinton gibt den Diebstahl sofort zu, bleibt dabei äußerlich aber völlig ungerührt. Außerdem bietet er an, das Preisgeld von den Festivals zurückzuzahlen, als sei die Sache damit erledigt. Dann lädt er seine Besucher zum Basketballspielen ein.
Es spricht nun für den Film und seine jungen Protagonisten, dass sie nicht plump auf einer Entschuldigung beharren. Sie gehen stattdessen mit viel Fingerspitzengefühl vor, und das zahlt sich aus. Denn Felinton hat selbst eine berührende Geschichte zu erzählen. In einem separaten Interview mit Regisseur Igor Plischke öffnet er sich und spricht über seine schwierige Schulzeit, eine verehrte Lehrerin, die ihm das Stottern abtrainiert hat, und über den Drang, „der Welt etwas Wichtiges zu hinterlassen“. In dem Fall eben einen Animationsfilm, für den er sich ehrlich begeistert. Die Reue, die er dabei zeigt, nimmt man ihm ab.
Vor diesem Hintergrund gerät der Diebstahl am Ende fast zur Nebensache. Und die drei Filmemacher aus Deutschland und den USA werden sogar fast so etwas wie Freunde.
„Der talentierte Mr. F.“ in der ARD-Mediathek