
„Der Fleck“ beginnt gleich aus jener Bewegung heraus aus dem Alltag, die den ganzen Film durchzieht. Wir folgen Simon, einem von Leo Konrad Kuhn herrlich in sich zurückgezogen gespielten Jungen, der gar nicht erst zum vom Takt der Trillerpfeife gepeitschten Sportunterricht geht, sondern sich lieber treiben lässt. Er verlässt die Schule, eiert herum, raucht und grüßt ein Mädchen, das mit einer Gruppe abhängt. Zu Hause matscht er Katzenfutter platt, pustet eine Feder über seinem Bett in die Luft oder spielt mit seiner ihn überall hin begleitenden Plastikwasserflasche; es ist der filmgewordene sommerliche Müßiggang eines Adoleszenten mit falsch herum angezogenem T-Shirt.
Mit einer Clique am Flussufer
Durch eine Zufallsbegegnung landet Simon an einem Flussufer inmitten einer Clique und vor allem: inmitten der Natur. Später kommt es zu einer wunderbar leisen und auch teils auch kratzbürstigen Annäherung zwischen Simon und Marie (ebenfalls toll: Alva Schäfer). Doch „Annäherung“ ist hier nicht im Sinne einer Zuspitzung auf einen romantischen Höhepunkt hin gemeint, sondern als Erzählmodus des Films.
Immer wieder fängt „Der Fleck“ wie nebenbei die Blicke zwischen den jungen Menschen ein, leise Gesten und oft belanglose Gespräche, hier ist noch Zeit für Langeweile, ein Schweben.
Man darf das experimentell nennen. Premiere feierte Willy Hans’ Langfilmdebüt beim Filmfestival in Locarno, es wurde dort mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Wie seine Kollegin Helena Wittmann, die mit ihren Filmen „Drift“ und „Human Flowers of Flesh“ Erzählkonventionen und dem Verhältnis von Mensch und Natur auf den Grund gegangen ist, hat auch Hans an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK) bei der Regisseurin Angela Schanelec studiert, die selbst eine Meisterin der filmischen Ruhe und Konzentration ist.
Eine Plattform für junges Wagniskino
Produziert werden die Filme von Hans und Wittmann von Fünferfilm, einer kleinen Produktionsfirma, die sich auf unkonventionelle Autorenfilme spezialisiert hat. Fünferfilm gibt seit einigen Jahren im Dunstkreis der HFBK dem jungen Wagniskino eine Plattform.
Die internationale Sichtbarkeit der Filme – vor einigen Jahre war auf dem Filmfest in Madrid auch schon die Rede von einer „Hamburger Welle“ – gibt dem Konzept recht, als risikobereite Produktionsfirma die Nähe zu einer Kunsthochschule zu suchen, in der die Autorenfilmtradition gelehrt wird. Auch Hans’ „Was wahrscheinlich passiert wäre, wäre ich nicht zuhause geblieben“, ein Kurzfilm um fünf Menschen im Wohnzimmer beim thematischen Flaschendrehen, wurde von Fünferfilm koproduziert und feierte Premiere beim Filmfest in Venedig.
In „Der Fleck“ zeigt Hans sich als ambitionierter Grenzgänger. Wenn die Jugendlichen am Ende seines Films im Scheinwerferlicht der Autos zum stampfenden Technotrack mit geschlossenen Augen tanzen und Laserpünktchen über die Körper zucken, offenbart sich vollends, wie bewusst der Regisseur mit den Tropen des herkömmlichen Coming-of-Age-Films jongliert und dabei doch einen völlig eigenen Zugang zum Genre findet.
Raum für Assoziationen
Nicht die Geschichte nämlich steht im Fokus von „Der Fleck“; vielmehr erzeugt Hans einen Raum für Assoziationen, in dem sich ein Gefühl der Suche manifestiert, im Fluss, flirrend – passend dazu schreibt Hans im Presse-Regiekommentar: „Wasser, Huhn, Volleyball, Moped, Liebe, Hund, Wald, hohes Gras, Jugend, Steine, Fluss, Zigaretten, Würstchen, Techno, Wind, Geburtstag, Gegenwart, Pommes mit Ketchup – das alles finde ich gut. Darüber wollte ich einen Film machen.“
„Der Fleck“ zelebriert die Entschleunigung, eingefangen durch die Kamera von Paul Spengemann in haptisch wirkenden 16-Millimeter-Bildern: Eine Kippe wird auf einem Stein ausgedrückt, Simon findet ein Sofalager aus Sperrmüll, ein Rad kippt ins Gras. Die Neugier der Drifter Simon und Marie, die sich schließlich von der Gruppe entfernen, einander mögen und necken, gehört dem Film selbst als Eigenschaft; immer wieder auch die Kamera auf Reisen, fokussiert auf den Wald und den Fluss statt auf die Menschen, oder sie erkundet das Habitat des von Höhlen durchzogenen Flusslaufs.
Der Blick bricht dabei selbstbewusst, wie in den Filmen Wittmanns, die klassische narrative Hierarchie zwischen Mensch und Natur auf; er nimmt dabei den Weg durch das Beiläufige. Die Kamera wird selbst zu einer Instanz des Geschehens, das sie filmt, wenn Simon sie zwischendurch aufhebt und wir kurz aus seiner Egoperspektive auf das Geschehen blicken, wo durch die Grenze zwischen Beobachter und Beobachtetem verschwimmen. Unterfüttert werden diese Bilder von den sphärischen Sounds von Rajko Müller, bekannt auch unter dem Pseudonym Isolée, sowie Daniel Hobi und Christoph Blawert, die ihr selbiges zur entrückten Stimmung des Films beitragen.
Mit „Der Fleck“ steckt Willy Hans also ein eigenes Fleckchen im deutschen Kino ab: unverbraucht sinnlich, voller Anspielungen und Metaphern, dennoch nie abgehoben. Der Film ist formal und inhaltlich wie die radikal jugendlichen Existenzen, die sich in ihm produktiv selbst loslassen.