Der ewige Winnetou: Vor zehn Jahren starb Pierre Brice

Als Winnetou für das Kino neugeboren wurde, musste ein Wunder geschehen. Also formte der Große Geist aus einem Franzosen vom Stamme der Bretonen den Häuptling der Apachen. Selbst wenn es dabei politisch nicht ganz korrekt zuging.

Das ist mein Winnetou!

So oder so ähnlich muss es sich zugetragen haben, als sich der deutsche Produzent Horst Wendlandt (1922-2002), seinerzeit ein Manitu des deutschen Films, angeblich auf Anraten seines kleinen Sohnes anschickte, nicht immer nur die Krimis von Edgar Wallace (1875-1932) zu verfilmen, sondern auch mal die Abenteuerromane des sächsischen Schriftstellers Karl May (1842-1912). Dieser Horst Wendlandt hat zufällig einen jungen, schönen Franzosen gesehen und sofort gewusst: Das ist mein Winnetou!

Das geschah vor 63 Jahren: Pierre Brice (1929-2015) wurde Winnetou. Obwohl er 2015 gestorben ist, lebt er bis heute in den Herzen von vielen Millionen Fans fort. Am 6. Juni jährt sich sein Todestag zum zehnten Mal.

Dieser Pierre Brice wurde durch die Karl-May-Filme in den deutschsprachigen Ländern zu einer Legende. Dabei wäre sein Leben auch einen abendfüllenden Film wert.

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Pierre Brice und seine militärische Laufbahn

Eigentlich heißt er nicht Pierre Brice, sondern Pierre Louis Baron le Bris. Er entstammt einer alten Adelsfamilie und wird am 6. Februar 1929 in der bretonischen Hafenstadt Brest geboren. Der Vater ist Marineoffizier und ständig auf See, die Mutter erzieht den Jungen und seine ältere Schwester Yvonne streng religiös und im Sinne eines strammen französischen Patriotismus.

Der kleine Baron Pierre ist elf Jahre alt, als im Sommer 1940 deutsche Truppen Frankreich besetzen. Der Vater kämpft in der Partisanenbewegung Résistance gegen den Feind, der Sohn schließt sich mit 15 auch dem Widerstand an, wird Botenjunge zwischen den einzelnen Résistance-Gruppen. Das erfordert viel Mut, denn wenn die Deutschen den jungen Le Bris erwischt hätten, wäre er erschossen worden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht Pierre le Bris zum Militär, wird Froschmann (frei schwimmender Taucher für militärische und Noteinsätze) und für zwei Jahre nach Algerien versetzt. Danach erfolgt eine Ausbildung zum Fallschirmjäger, er zieht vier Jahre lang in den Indochina-Krieg im heutigen Vietnam. 1951 kehrt er ins Zivilleben nach Frankreich zurück, hochdekoriert mit drei Tapferkeitsmedaillen. Zunächst vermisst er den Zusammenhalt des Soldatenlebens, noch Jahrzehnte später wird er sagen: „Nie wieder hatte ich so gute Freunde wie beim Militär.“

Seine Schauspielkarriere beginnt schleppend

Er möchte nun Schauspieler werden, der alte Baron ist irritiert, sein Sohn solle gefälligst einen „anständigen Beruf“ ergreifen, doch Pierre setzt sich durch. Er nimmt in Paris Schauspielunterricht, nennt sich Pierre Brice, doch weil die erhofften Engagements ausbleiben, verkauft er Schreibmaschinen, arbeitet als Model für Fotoromane, auch mal als akrobatischer Tänzer bei einer Artistengruppe.

1954 bekommt er seinen ersten Filmjob: In „Harte Fäuste – heißes Blut“ darf er dem populären Hauptdarsteller Eddie Constantine (1917-1993) in einer Szene immerhin die Tür aufhalten. Der erste Schritt ist getan, es folgen Theaterauftritte und richtige Filmrollen. Es ist schwer, Fuß zu fassen, denn ein gewisser Alain Delon (1935-2024) hat die Filmszene erobert. Er ist mit Pierre Brice befreundet, außerdem sehen die beiden ähnlich aus, und für zwei Delons ist in Frankreich kein Platz. Also arbeitet Pierre Brice überwiegend in Italien und Spanien.

1962 ist er mit seinem spanischen Film „Los Atracadores“ bei der Berlinale in Berlin. Dort sieht ihn zufällig der Produzent Horst Wendlandt, der seinen ersten Karl-May-Film vorbereitet. Das Drehbuch zu „Der Schatz im Silbersee“ ist fertig, den Darsteller für Old Shatterhand hat er bereits gefunden: den hünenhaften, blonden US-Amerikaner Lex Barker (1919-1973), eine Hollywood-Größe, bekannt aus etlichen Tarzan-Filmen. Wendlandt sucht nun den zweiten Hauptdarsteller, Old Shatterhands Blutsbruder Winnetou.

Über diese Figur heißt es bei Karl May: „Sein Gesicht war edel geschnitten, fast römisch, die Farbe ein mattes Hellbraun mit einem Bronzehauch.“ Da sieht Horst Wendlandt den geschmeidigen Franzosen Pierre Brice – und er weiß: der oder keiner!

Pierre Brice wird zum Häuptling der Apachen

Brice ist von dem Angebot alles andere als begeistert. Einen Indianer soll er spielen? Das sind doch die, die immer verlieren. Eine Rolle nach den Romanen von Karl May? Nie gehört! Es ist ihm zu anspruchslos, außerdem kann er nicht vernünftig reiten. Dann liest er die französische Winnetou-Ausgabe – und ist begeistert. Horst Wendlandt hat seinen Häuptling, 14 Tage später starten die Dreharbeiten.

Die beiden Hauptdarsteller müssen auf Deutsch synchronisiert werden. Pierre Brice ist vom Konzept des Karl-May-Films nicht überzeugt, er zweifelt am Erfolg des „Sauerkraut-Western“, wie die deutschen Verfilmungen abschätzig genannt werden. Doch „Der Schatz im Silbersee“ lockt Millionen Besucher in die Kinos – der Auftakt einer unglaublichen Erfolgsserie. Old Shatterhand und vor allem Winnetou werden Superstars – und Freunde fürs Leben.

„Brice wuchs nicht nur in seine Rolle hinein – er verwuchs mit ihr. Zugleich eroberte er junge wie alte Herzen des bundesdeutschen Publikums“, das Winnetou „mit dem doppelten Migrationshintergrund als französischer Indianer nicht nur integrierte, sondern regelrecht adoptierte“, schreibt der „Spiegel“, der nach dem Ende der Nachkriegszeit einen neuen Bedarf „an einfachen Tugendmotiven wie Toleranz und Ehrlichkeit“ wachsen sieht.

Der kluge, zivilisierte Winnetou, der nur wenig spricht und stets aufrecht handelt, entspricht diesem Bedürfnis. „Die optische Attraktion“ mit „wehender dunkler Mähne, Stirnband und weißem befransten Lederanzug tat das ihrige, um ihn auch zum Popstar mit Kultstatus und Idol einer ganzen Generation zu machen.“

Er wird von Millionen geliebt

Von 1962 bis 1968 verkörpert Pierre Brice in elf Kinofilmen den edlen Winnetou. Die Jugendzeitschrift „Bravo“ nimmt ihn 56 Mal auf den Titel, verleiht ihm zwölf Mal die Auszeichnung Otto. Er erhält das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, fünf Bambis, die Goldene Kamera, die Franzosen schlagen ihn zum Ritter der Ehrenlegion für seine Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft. Der Berliner Filmschaffende Artur „Atze“ Brauner (1918-2019) nennt ihn liebevoll: „roter Baron“.

1965 löst sein Filmtod, der ihn gemäß der Romanvorlage in „Winnetou III“ ereilt, Massenproteste aus, Produzent Wendlandt kann die aufgebrachten Menschen nur mit dem Versprechen beruhigen, den beliebtesten Indianer Deutschlands wieder auferstehen zu lassen. Also macht Pierre Brice weiter, auch in Filmen, die von Karl May eigentlich nicht vorgesehen waren, wie „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ (1966).

Winnetou muss sogar singen. Insgesamt nimmt er mehrere Platten auf, gleich die erste „Ich steh‘ allein“ kommt 1965 in den Bravo-Charts auf Rang drei, hinter den Rolling Stones und den Beatles.

Als mit den Karl-May-Filmen endgültig Schluss ist, reitet Pierre Brice als Winnetou bei den Karl-May-Festspielen im sauerländischen Elspe, danach bis 1991 in Bad Segeberg über die Freilichtbühnen. Und 1997 spielt er mit 68 Jahren im ZDF-Zweiteiler „Winnetous Rückkehr“ einen alten Winnetou, der in den Bergen überlebt hat.

Seine letzte Ruhe findet er nahe München

Pierre Brice lebt mit seiner deutschen Frau Hella Krekel (75), mit der er seit 1976 zusammen ist, 30 Jahre lang im Jagdschloss Domaine des Moinets in Crépy-en-Valois nördlich von Paris. Dann möchte das Paar nach Bayern ziehen, doch dazu kommt es nicht mehr. Am 6. Juni 2015 stirbt er mit 86 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Bei der Trauerfeier in der Münchner Jesuitenkirche St. Michael nehmen mehr als 1.000 Menschen Abschied, einen Tag später wird er in Gräfelfing bei München bestattet.

Der französische Winnetou dürfte nun wieder mit seinem Blutsbruder Old Shatterhand durch die ewigen Jagdgründe reiten, denn Lex Barker ist bereits 1973 mit 54 Jahren einem Herzinfarkt erlegen.