Demokratie in Europa: Weil wir so nicht sein wollen

Trump hebelt die Grundprinzipien der liberalen Demokratien aus. Mit jedem Schritt seines Zerstörungswerks treten einzelne Elemente dieser Ordnung umso sichtbarer ans Licht. Ungewollt zeigt Trump, was die demokratische Lebensform ausmacht – und wirft so die Frage auf, wer wir als Demokratinnen und Demokraten eigentlich sein wollen. Wo wir stehen, zeigt sich ex negativo gleich dreifach. 

Erstens: Trump hat in sein Kabinett ausschließlich Mitglieder aufgenommen, die sich ihm gegenüber in der Vergangenheit loyal verhalten haben. Senatoren, bei denen sich Widerstand gegen einige seiner Kandidaten regte, wurde angekündigt, sie in den nächsten Vorwahlen durch MAGA-Gefolgsleute zu ersetzen. Den Gouverneuren der Bundesstaaten droht Trump, die Bundesmittel zu entziehen, wenn sie seinen Anweisungen nicht bedingungslos folgen. Anstatt der erfahrenen Ministerial- und Bundesverwaltung zu vertrauen, folgt er lieber den Eingebungen von Tech-Milliardären wie Elon Musk, auch wenn der sich jetzt angeblich zurückziehen will. Donald Trump hat um sich herum eine Art vormodernen Hofstaat versammelt, in dem jedermann um die Gunst des absolutistisch agierenden Herrschers buhlt und niemand mehr den Mut aufbringt, zu widersprechen. Potenziale der Korrektur, auf die jedes effektive Regierungshandeln angewiesen ist, liegen brach, und der Staatslenker sonnt sich in einfältiger Selbstgefälligkeit.

Schon in der Zeit des aufgeklärten Absolutismus im 18. Jahrhundert wurde der Hofstaat mehr und mehr durch Kabinette ersetzt, in die Experten einrückten und in denen nicht allein die Loyalität zum Fürsten zählte, sondern fachliche Kompetenz und unabhängiges Urteil geschätzt wurden. Donald Trump und JD Vance aber wollen nicht zuhören. Sie schassen Staatsdiener, stauchen Gouverneure zusammen und verhöhnen den Staatspräsidenten eines anderen Landes in aller Öffentlichkeit. Sie wollen nicht dazulernen, und schon gar nicht wollen sie sich kritisieren lassen. Seit der Aufklärung sind das offene Gespräch unter verständigen Leuten, Kritik und auch die Fähigkeit zur Selbstkritik Grundprinzipien der westlichen Moderne. Auch im modernen Regierungshandeln sind diese Mechanismen präsent, wenn man etwa an die Involvierung von Beraterstäben, Fachausschüssen, Expertenberichten, Gutachten denkt. Es ist ein Vorzug der westlichen Demokratie, dass in ihr Verfahren zur Anhörung von Kritik fest etabliert sind.

Zweitens: Neben der Personalisierung des Regierungshandelns steht der Abbau von checks and balances im Fokus Trumps. Seine Regierung ignoriert Gerichtsentscheidungen, verletzt verfassungsmäßig verbürgte Rechte, übergeht den Kongress. Aber sie greift auch in die Unabhängigkeit der Wissenschaft, der Medien, der Kunst, ja der Finanzbehörden ein. Um eine imperiale Präsidentschaft zu etablieren, ist eine umfassende Entdifferenzierung der staatlichen Gewalten und der gesellschaftlichen Funktionsbereiche im Gange. Doch alles von oben her entscheiden zu wollen, überfordert die Zentrale und führt unausweichlich zu einer Anhäufung von Fehlentscheidungen. Moderne Gesellschaften sind so verästelt und komplex, dass es eine zentral gelenkte Gesamtrationalität nicht geben kann.

Die Grenzen einer unmittelbar im Namen des Volkes ausgeübten staatlichen Macht mussten am Ende des 18. Jahrhunderts bereits die französischen Revolutionäre erkennen, nachdem sich ihr Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in den brutalen Terror der Guillotine verkehrt hatte und der Todesmaschinerie ihre vornehmsten Repräsentanten selbst zum Opfer fielen. In der neuen Verfassung von 1795 stärkten sie die Idee der Gewaltenteilung zum Schutz gegen eine neuerliche Jakobinerherrschaft, entschieden sie sich, die Legislative auf zwei Räte aufzuteilen, Parlamentssitze zu verlosen und die Amtszeit der Parlamentssekretäre zu limitieren. Die in der Gewaltenteilung festgelegte Selbstbegrenzung der Exekutive stellt bis heute das zentrale Grundprinzip der staatlichen Machtausübung dar. Sie schließt die Unterstützung des Staates in anderen gesellschaftlichen Bereichen – Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst, Zivilgesellschaft – nicht aus, schränkt aber seine Spielräume zu Übergriffen ein.