Wenn Guido Boragno vor seinem Haus auf die Straße tritt, steht er irgendwo zwischen Moscova und Porta Garibaldi, mitten in Mailand. Hier sind die Häuser dicht an dicht gebaut, davor ein enger Bürgersteig.
Wenn Guido Boragno hingegen den Blick in seiner Wohnung Richtung Fenster richtet, dann schaut er nicht allein in einen Hinterhof, der so begrünt ist, wie das nur südlich der Alpen typisch sein kann; er sieht aus dem Augenwinkel auch noch ein Bild an der Wand hängen: eine Wiese, Bäume, weit und breit kein Mensch. Niedersächsische Provinz.
Guido Boragno kommt aus Oldenburg, dort ist er als Deutsch-Italiener großgeworden. Nach dem Abitur ist er nach Mailand gezogen und hat am Istituto Marangoni Modedesign studiert. Das war 1989. Diese Wohnung ist sein Zuhause – und die Zentrale seines jungen Unternehmens Boragno Design.
Seit den Neunzigern in der Branche
Dabei ist Boragno nicht gerade neu im Geschäft, den Aufstieg vom Accessoire zum wahren Stück Luxusmode hat er von Beginn an begleitet. Damit ging es in den Neunzigerjahren los.
Das war die Zeit, als die Unternehmen anfingen, auf diese Kategorie zu setzen, um zu wachsen. „Vorher hieß es eher: ,Aha, Taschendesigner, sonst zu nichts gebracht’“, sagt Boragno. „Heute hat sich das komplett gedreht. Ich bin damals intuitiv in die richtige Richtung gerannt, als ich mich nach dem Studium für Taschendesign entschieden habe.“
Im Jahr 2000 ging er zu Prada und blieb fünf Jahre. Eine prägende Zeit, denn damals hatte Jil Sander ihr Unternehmen gerade an die Prada-Gruppe verkauft. Guido Boragno arbeitete zugleich an Prada Sport, Helmut Lang und Jil Sander, pendelte zwischen Mailand und Hamburg.
Wie soll es weitergehen?
Danach arbeitete er bei Céline, als die Marke von Ivana Omazic verantwortet wurde, für Hugo Boss, später noch einmal für Prada und zuletzt für Louis Vuitton, zwei Jahre unter Kim Jones, vier Jahre unter Virgil Abloh, der bis kurz vor seinem Tod an Krebs im Jahr 2021 für das Haus verantwortlich war.
„Wir haben gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber dass er plötzlich gestorben ist, das hat reingehauen wie ein Paukenschlag“, sagt Boragno. „In so einem Moment stellen sich alle die Frage, wie es weitergehen soll.“ Für Guido Boragno lautete die Antwort: „Da muss noch was anderes kommen.“ Dieses Jahr wird er 56.
So begann Boragno, sein eigenes Label aufzubauen. Vier Monate lang hat er gezeichnet, die Prototypen sind vor einem Jahr entstanden. Jetzt kann er die Taschen lancieren. „Für mich ist es wichtig, dass alles eine Funktion hat“, sagt er und nimmt das Modell Gem der Linie Pure vom Esstisch.
Taschen ohne Geschlechterzugehörigkeit
Schlichte Linienführung, sportliche, maskuline Details, die Tasche lässt sich per Reißverschluss schließen oder nur per Druckknopf, je nach Sicherheitsbewusstsein. Das Modell Sharp ist steif und weich zugleich, bequem zu tragen und trotzdem so strukturiert, dass es die Form hält.
Vor allem sind alle Modelle unisex, sie sind weder man bags noch Damenhandtaschen, sondern irgendwo dazwischen zu verorten. An einem Riemen blitzt ein Logo des Concept-Stores 10 Corso Como auf.
„Ich bin einfach mit meiner Kollektion vorbeigegangen und habe sie Tiziana Fausti gezeigt.“ Die Unternehmerin mit großer Boutique in Bergamo hat den Lifestyle-Komplex an der Porta Garibaldi vor vier Jahren von Carla Sozzani übernommen, und Fausti hat jetzt auch Guido Boragnos Taschen geordert.
Und das ohne ein Wort von den Leuten vom Marketing. Bei großen Luxushäusern sei es nämlich so: „Marketing, Sales und Design stehen auf einer Ebene, man muss zusammenarbeiten“, sagt Boragno. „Ich habe immer marketingfreundlich gearbeitet, denn wenn das Marketing sagt, ein Stück werde sich in ihren Augen nicht verkaufen, wird es gestrichen.“
Als Designer hat Boragno daher gelernt, für Entwürfe Verantwortung zu übernehmen und sich zugleich von ihnen zu distanzieren, wenn nicht sein Name draufsteht. „Aber jetzt wollte ich mal etwas ohne das Marketing machen. Das hier bin ich“, sagt Boragno und schaut zu den Boragno-Taschen auf seinem Esstisch. „Und das verteidige ich.“