Wer von einem Aussichtspunkt oberhalb von Meran ins Tal schaut, sieht nur noch grüne Rechtecke: Apfelplantagen, so weit das Auge reicht. Gerade hat in Südtirol die Ernte begonnen. Jährlich reifen hier 950 000 Tonnen Äpfel heran, das sind immerhin 50 Prozent der italienischen Apfelernte, jeder vierte Bio-Apfel im europäischen Obsthandel kommt aus dem Etschtal und dem Vinschgau.
Äpfel sind das Lieblingsobst der Deutschen, der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei etwa 20 Kilogramm pro Jahr. Der Spruch „an apple a day keeps the doctor away“ scheint nach wie vor zu ziehen. Tatsächlich enthalten Äpfel außer 85 Prozent Wasser jede Menge gesunde Inhaltsstoffe – entzündungshemmende Flavonoide, Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe. Die Frage ist nur, ob das ausschließlich für frisches, rohes Obst gilt oder auch für Apfelsaft, -kuchen und -strudel.
Obwohl Äpfel in Südtirol industriell angebaut und verarbeitet werden, ist die Ernte größtenteils Handarbeit. Jede einzelne Frucht wird von Hand „geklaubt“ und anschließend begutachtet. Würmer, Pilzkrankheiten und Hitze können dem Obst zusetzen. In einer Versuchsanlage der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Laimburg oberhalb von Meran wird mit Pilzbekämpfungsmitteln und Anbaumethoden experimentiert, die Sträucher hängen voll mit Kreuzungen wie Red Delicious, Morgenduft und Pinova. Mitten in diesem Apfelforschungsgebiet thront Castel Fragsburg, ein Luxushotel mit Sterne-Restaurant, ebenfalls eine Art Versuchsanstalt, wenn auch eher auf kulinarischem Gebiet.
Zum Küchenteam um Chefkoch Egon Heiss gehören die Patissiers Philipp Pfattner und Stefan Ploner. Für das Abendmenü haben sie sich als extravagantes Dessert zur Apfelsaison eine Art Apfelstrudel 2.0 ausgedacht: Petit Fours aus Mürbteigkeks, eingelegtem Apfelring, Sultaninencreme, Pinienkern-Sponge und Apfelgel. Für den Nachmittagskaffee und das Frühstücksbuffet backt der gelernte Konditor Philipp Pfattner aber auch bodenständige Sachen wie Strudel und Streuselkuchen.
Wobei ein perfekter Apfelstrudel eine Kunst für sich ist. Ob mit oder ohne Rosinen, mit Vanillesauce oder pur – jeder Koch und jede Bäckerin hat da einen eigenen Kniff. Es geht schon bei der Auswahl der Apfelsorte los. Pfattner empfiehlt Golden Delicious für den Strudel: „Diese Sorte hat eine gute Süße, ist nicht zu sauer und nicht zu hart, wird aber auch nicht so schnell matschig.“ Während der klassische Wiener Apfelstrudel in hauchdünn gezogenen Teig gewickelt wird, der nur aus Mehl, Wasser und etwas Öl besteht und so zart sein soll, dass man einen Liebesbrief durch ihn hindurch lesen kann, rührt man in Südtirol traditionell einen Mürbteig (Zutaten siehe unten) für den Strudel an.
Für den Strudel nach Südtiroler Art schält Patissier Pfattner ein gutes Kilo Äpfel, schneidet sie klein und mischt sie in einer großen Schüssel mit etwas Zitronensaft, Sultaninen, Pinienkernen, einer Prise Salz, etwas Vanille, 2 TL Zimt, 4 EL Semmelbrösel und 2 EL Rum. Die Mischung lässt er über Nacht im Kühlschrank ziehen. Butter, Zucker, Mehl, Ei, eine Prise Salz und eine Prise Vanillezucker zu einem Teig kneten und etwa eine Stunde im Kühlschrank ruhen lassen. Teig dünn zu einem Rechteck ausrollen. In der Mitte etwas Eigelb mit dem Pinsel verstreichen und darauf länglich die Apfelfüllung geben. Beide Seiten einschlagen und bei 210 Grad rund 20 Minuten goldbraun backen. Eventuell vor dem Backen mit Eigelb bestreichen. Und immer an die alte Südtiroler Bauernregel denken: „An applestrudel a day keeps the doctor away.“
Das braucht man dazu
Füllung:
– 1200 g Golden Delicious
– 20 ml Zitronensaft
– 20 g Sultaninen
– 20 g Pinienkerne
– Prise Salz
– etwas Vanille
– 2 TL Zimt
– 4 El Semmelbrösel
– 2 El Rum
Mürbteig:
– 120 g weiche Butter
– 120 g Zucker
– 1 Ei
– 230 g Mehl
– 1 Prise Salz
– etwas Vanille