Darts-Weltmeisterschaft: Luke Humphries trifft auf Paul Lim – einen 71-Jährigen – Sport

Am 19. Dezember 2020 öffnete sich für den Dartsprofi Luke Humphries ein vorweihnachtliches Türchen, auch wenn es damals so aussah, als fiele das Tor ins Schloss. An diesem denkwürdigen Freitag vor fünf Jahren, da erlebte der Brite das vielleicht prägendste Dartsspiel seiner Laufbahn: Weltmeisterschaft in London, im berühmten Alexandra Palace war Runde eins im Gange, und der auch schon berühmte Humphries war nach zuvor zwei Viertelfinalteilnahmen der hochhaushohe Favorit. Doch der damals 25-jährige Pfeilwurf-Jüngling fand seinen Meister, oder besser: seinen Altmeister.

Mit 66 Jahren, da fing sein Leben an, kurzzeitig sehr viele Menschen zu interessieren: Paul Lims Leben, das inzwischen mehr als 71 Jahre lang andauert und unter anderem ein bald halbes Jahrhundert als Dartsspieler beinhaltet. Mit einem Höhepunkt im Dezember 2020, als Lim seinen damaligen Erstrundengegner Humphries nach 0:2-Satzrückstand noch mit 3:2 bezwang und dem Briten so eine seiner größten sportlichen Niederlagen beifügte. Eine Niederlage, die ihn verändert habe, sagte Humphries Jahre später über sich. Um nicht zu sagen: verbessert.

Große Rückschläge sind insofern mit Vorsicht zu genießen, weil manche daran zerbrochen sind. Humphries kann von sich behaupten, einen anderen Weg gewählt zu haben. „Es gibt keine Rache im Darts“, hat er neulich über die Niederlage gegen Lim erzählt, nachdem er Runde eins vor einigen Tagen diesmal souverän bewältigt hatte. „Wenn überhaupt, bin ich Paul dankbar, dass er damals dieses Match gewonnen hat, weil es mich als Spieler und als Mensch verändert hat“, sagte Humphries, der einst deutlich mehr Gewicht auf die Bühne zu schleppen hatte. „Drei Monate später habe ich rund 25 Kilo abgenommen, insofern hat es meiner Karriere geholfen.“

Im Londoner Alexandra Palace treffen die beiden sich nun wieder, zwei Tage vor Heiligabend. Humphries ist 30, Lim mehr als doppelt so alt. Der eine wurde vor zwei Jahren zum Weltmeister dekoriert, der andere hat einst den ersten WM-Neundarter geworfen. Humphries wird als Zweiter der globalen Bestenliste geführt, Lim taucht im Ranking gar nicht erst auf. Der Europäer wird nicht ohne Ehrfurcht „Cool Hand Luke“ genannt, weil er vor der Zielscheibe kühl ist wie Eiswind. Der Asiate nennt sich selbst „Opa Lim“, und gerade mögen ihn alle. Weil er auf der Ally-Pally-Bühne unlängst lächelte, als hinge vor ihm nicht eine Zielscheibe, sondern die aufgehende Sonne.

Der eine ist mikroskopisch durchleuchtet, den anderen kennen die wenigsten wirklich.

Lim hat nie viel über sich verraten. Seine Dartskarriere begann neben einer Ausbildung zum Koch

Paul Lim hat nie viel über sich verraten. Dass er als Sohn eines Schmuckhändlers in Singapur aufwuchs und 20 Geschwister habe, es könnten aber auch mehr sein. Und dass er im Alter von 20 Singapur hinter sich ließ und nach England übersiedelte. In den 1970er-Jahren lebte Lim in Chiswick, West-London, begann dort eine Kochausbildung und vor allem: Dartsspielen – Pub samt Scheibe sollen sich unweit seiner Wohnung befunden haben. So begann die lange Reise eines jungen Mannes, der sich als Weltenbummler entpuppen sollte – und 1981 eine Dartskarriere startete.

Nach sechs Jahren im Mutterland des präzisen Pfeilwurfs ging es zurück nach Singapur, es folgten Stationen in Papua-Neuguinea, den USA und Hongkong – Länder, die er jeweils bei Dartsweltmeisterschaften vertrat; zunächst bei der British Darts Organisation (BDO), dann bei der Professional Darts Corporation (PDC), die inzwischen gemeinhin als Dartsweltverband verstanden wird. In London ist er zum 28. Mal bei einer Darts-WM am Start, bei der PDC schaffte er es 2001 mal ins Achtelfinale. Gewonnen hat Lim große Turniere nie, doch in der Historie wird er als jener Mann vermerkt bleiben, dem das größtmögliche Darts-Kabinettstück zum ersten Mal bei einer WM gelang: 1990 warf er neun perfekte Dartspfeile in die Scheibe, der erste Neundarter bei einer Weltmeisterschaft. Zumindest das hat der älteste Teilnehmer des diesjährigen Turniers einem der Besten voraus.

Und natürlich sind es Töne wie diese, die im Ally Pally gerne gehört werden: „Ein super Typ, ein Gentleman und ein super Spieler“, ließ Lim vor einigen Tagen im Ally Pally über Humphries wissen, nachdem er Runde eins überstanden hatte. Sein nächster Duellant sei „sehr gut, aber kann geschlagen werden“. Bereits gegen seinen Auftaktgegner, den 36 Jahre jüngeren Schweden Jeffrey de Graaf, habe er „gespürt, dass ich die Menge auf meiner Seite habe“, so Lim. So oder so ähnlich könnte das auch gegen Humphries eintreten, das Londoner Palastpublikum schätzt außergewöhnliche Charaktere oft mehr als heimische Favoriten.

Der Neundarter-Held von einst jedenfalls wird im Duell mit dem Weltranglistenzweiten als maximal möglicher Außenseiter auf die Bühne treten. Geschichte hat er auch so wieder geschrieben, zum zweiten Mal: Sein 3:1-Erfolg gegen de Graaf macht Paul Lim in der Historie des Pfeilwurfsports zum ältesten Menschen, der ein WM-Spiel gewann.