In Coburg essen die Ampelmännchen seit Kurzem Bratwurst, wenn es grün wird. Coburg liegt in Franken, dort sind Bratwürste identitätsstiftend, wenn nicht sogar eine Art Glaubensbekenntnis. Auf dem Coburger Marktplatz stehen gleich zwei Buden nebeneinander, die beide augenscheinlich die gleiche Bratwurst verkaufen – und doch stellen sich die Leute entweder für die eine oder die andere an.
Welche der beiden besser ist, kann man anhand der Schlangen schwer messen, mal ist die eine länger, mal die andere, beide Bratwürste jedenfalls schmecken herrlich. Dass an beiden Buden vor dem Stadthaus von „Bratwurst“ die Rede ist, macht es auch nicht leichter, sich zu entscheiden. Man kann die Coburger Bratwurst äußerlich daran erkennen, dass sie lang und dünn ist, aber auch das waren sie an beiden Buden auf dem Marktplatz.
Die Frage, was das eigentlich ist, eine Bratwurst, was sie im Innersten zusammenhält und sich „Bratwurst“ nennen darf, ist nicht nur ein Dauerbrenner im sogenannten Kulturkampf um sich wandelnde Begriffe und Traditionen, neue wie alte: Sie beschäftigt aktuell die europäische Politik in einem Gesetzgebungsverfahren, und nicht zum ersten Mal.
Das Verwechslungsrisiko
Einige Tage ist es jetzt her, da verhandelten die Gesandten der EU-Mitgliedstaaten mit dem Parlament über einen Gesetzesvorstoß der Europäischen Volkspartei (EVP): Sie will Formeln wie „vegane Wurst“ oder „veganes Schnitzel“ verbieten. Aus Gründen der „Transparenz“, so hat es die französische EVP-Abgeordnete Céline Imart begründet, die den Antrag im vergangenen Oktober eingereicht hat. Es gehe um „Klarheit für den Verbraucher“, weil ein „echtes Verwechslungsrisiko“ bestehe, und auch darum, Anerkennung „für die Arbeit unserer Landwirte“ zu zeigen.
Intensiv wurde jetzt also in Brüssel beraten, das Ganze dann aber erst mal wieder vertagt. Die EVP treibt die Initiative voran, aber es ist trotzdem nicht so, dass es eine geschlossene konservative Position wäre. Der deutsche Landwirtschaftsminister Alois Rainer zum Beispiel, dessen CSU zur EVP-Fraktion gehört, ist gegen ein Verbot, weil er für Bürokratieabbau ist und eine Umbenennung der Produkte teuer für die Unternehmen wäre. Rainers Parteifreund, der Franke Markus Söder, ist dafür – und der größte Wurst-Influencer, den es im Augenblick gibt. Ständig lässt sich der bayerische Ministerpräsident dabei filmen, wie er in Würste beißt, Würste preist oder sich über vegane Ernährung lustig macht.

Das ist auch schon dem benachbarten Ausland aufgefallen. Auf Instagram wurde ein Clip aus der Arte-Talkshow „28 Minuten“ oft geteilt, in der sich das französische Panel darüber lustig machte, wie viel Wurst Söder öffentlich isst, während er sich dabei filmen lässt: Der Mann, so die Journalistin Marie Bonnisseau, sei ein Anhänger des „Gastro populisme“!
Die Produktcharakteristik Wurst = Fleisch
„Eine Wurst“, hat der deutsche Bundeskanzler vor ein paar Wochen im Fernsehen gesagt, „ist eine Wurst.“ Merz unterstützt den EVP-Vorstoß, denn, noch einmal der Kanzler: „Wurst ist nicht vegan.“ Darum geht es letztlich. Um Begriffe und Traditionen und wie sie sich wandeln. Und weil vegane Ernährung bei einigen zunehmend beliebter wird und das auf Unbehagen, Widerstand und Beharrungsvermögen stößt, war die apodiktische Ansage des Bundeskanzlers vieles gleichzeitig: einmal das Bekenntnis zu einer bestimmten Produktcharakteristik (Wurst = Fleisch). Dann zu den Produktionsverhältnissen (traditionelle Landwirtschaft).
Aber es war eben auch eine Positionierung in dieser Debatte. Merz ist nicht Söder, der Kanzler hat in seiner typischen Das-liegt-doch-auf-der-Hand-Haftigkeit eine klare Aussage zu treffen versucht und damit zugleich signalisiert, dass es doch bei solchen Selbstverständlichkeiten eigentlich gar keine Zweifel geben könne.
Die Uneindeutigkeiten eines Leberkäses
Aber bei der Bezeichnung von Nahrungsmitteln ist nichts selbstverständlich. Und in der Sprache oft auch nicht. Denn es ist möglich, sich klar und deutlich auch in Uneindeutigkeiten zu verständigen. Gerade wenn es um Nahrungsmittel geht, gerade wenn sie aus Fleisch sind. Der „Leberkäse“ enthält längst nicht mehr das, was sein Name immer noch ankündigt, also weder Leber noch Käse (es sei denn, man bestellt extra diese Variante). Und der Wurstsalat hat keine grünen Blätter.
Die EVP hat aber ein „echtes Verwechslungsrisiko“ bei der Bezeichnung einer „veganen Wurst“ erkannt und so also ihren Wunsch nach Verbot begründet. Man könnte das eigentlich für eine gute Nachricht für den Tierschutz halten: wenn man ein veganes nicht mehr von einem Schweineschnitzel unterscheiden kann. Den Unterschied merkt man meist immer noch, wenn man dann hineinbeißt, auch wenn die Entwicklung hier ständig Fortschritte in Geschmack und Mundgefühl des Imitats macht.

Weswegen es vielleicht erfolgversprechender wäre, eine Änderung der äußeren Form zu verlangen und nicht des Begriffs. Denn was würde es ändern, wenn das Ding immer noch wie ein Schnitzel aussähe, aber anders hieße? Aber die EVP zielt auf etwas anderes: Sie fordert, dass nur Schnitzel heißen darf, was ein Schnitzel mit Tierhintergrund ist. Und das muss man eindeutig etikettieren.
Die Wortwörtlichkeit
Ein Wurstsalat besteht, je nach Region, aus einer fein gescheibelten Regensburger. Diese Regensburger Wurst wiederum unterscheidet sich von einem Wiener Würstchen stark. Schon dieser Variantenreichtum der Wurst könnte gegen eine Forderung nach Wortwörtlichkeit sprechen. Und selbst wenn man dann festsetzte, dass kennzeichnend für eine „Wurst“ deren Fleischanteil sein soll, gibt es Sorten wie den Bremer „Knipp“, bei der man am stärksten die Hafergrütze herausschmeckt, aus der sie gemacht ist.
Die Betonung des Fleischanteils veränderte auch die Charakteristik der Wurst, und wenn es, wie beim EVP-Antrag zu vermuten ist, am Ende um die Verteidigung von Traditionen geht, sollte das vielleicht auch eine Rolle in den Überlegungen spielen. Denn nicht beim allem, was wir „Wurst“ nennen, kommt es auf das Fleisch an, damit es zu dem wird, das wir kennen. Und essen.
Der EVP-Antrag führt die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher nach Transparenz an. Transparenz ist absolut wünschenswert in der Ernährung. Aber auch in dieser Frage gibt es sehr unterschiedliche Interessen, die regierende Koalition hat die Einführung eines staatlichen (statt wie bislang freiwilligen) Tierhaltungslogos für Fleisch im Supermarkt gerade eben auf den Juli 2027 verschoben – der Beschluss fiel im Oktober, ziemlich genau zu der Zeit, als die EVP ihren Verbotsantrag einbrachte, um Transparenz in der Ernährung zu fördern.
Wenn es tatsächlich darum geht, Eindeutigkeit in der Bezeichnung zu definieren, dann sollte man auch darüber diskutieren, welche Folgen das nicht nur für die Landwirtschaft hat, sondern auch für die Kommunikation. Passt ein Gesetz wie das, was der EVP vorschwebt, zu den Eigenheiten und Fähigkeiten von Sprache und Kommunikation? Vielleicht hilft dieser Perspektivwechsel zur Entspannung der Debatte, wenn man sich also kurz klarmacht, dass Menschen in der Lage sind, und jeder Tag zeigt das, sich über Uneindeutiges, Missverständliches und Widersprüchliches zu verständigen.
Die Bedeutung von „Wurst“ in unserem Kopf
Dirk Wulff ist Kognitionswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. „Wir sind in der Lage“, sagt er, „über die Zeit unsere Wortformen, aber auch deren Bedeutung und auch deren Beziehungen zueinander zu ändern, weil sich nun einmal auch die Welt weiterentwickelt.“ Der Mensch interpretiere Wörter auch nie isoliert. „Wir haben viele Begriffe, die wir überhaupt erst auflösen können, wenn wir den richtigen Kontext dazu haben. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Und wenn dann eben vor dem Begriff ‚Wurst‘ der Begriff ‚vegan‘ steht, dann ist es unsere natürliche Fähigkeit, die Bedeutung von ‚Wurst‘ in unserem Kopf abzuändern.“
Wulff berichtet aus einer laufenden Studie zum Thema Essen, in der sich der generationelle Aspekt dieser Frage zeigt: „Insbesondere die Beziehung zwischen Essensoptionen und Klima“, sagt er, „ist bei jüngeren Menschen viel stärker erkennbar als bei älteren.“ Die ‚vegane Wurst‘ sei eine relativ neue kulturelle Erfindung, „bei der es durchaus noch Potential gibt, dass Leute das missverstehen“, räumt er ein.
Der Charakter unserer Sprache
„Als Wissenschaftler würde ich dann aber Demonstrationen sehen wollen, dass tatsächlich Leute im Supermarkt die falsche Entscheidung treffen. Meine Einschätzung wäre, dass das sehr selten passiert, es die vegane Wurst auch schon lang genug gibt und die meisten Leute verstanden haben, dass es zwei Arten von Wurst gibt. Es gab ja eigentlich immer schon viele Arten von Wurst. Wir sind geübt darin und sollten dann auch kein Problem damit haben, ein weiteres Element zu der Menge der Würste hinzuzufügen. Und in diesem Fall können wir stark davon ausgehen, dass sich das Problem entweder jetzt schon oder mit mehr Erfahrung von alleine lösen wird. Denn das ist der Charakter unserer Sprache.“
Wulff ist mehr als skeptisch, ein solches Gesetz im Sinne der Sprachregulierung zu begründen, auch wenn andere Fälle (wie das Reinheitsgebot des Bieres) zeigten, dass es regulatorische industrielle Prozesse einfacher mache und auch die allgemeine Gesundheit fördern könne, vorzuschreiben, dass gewisse Dinge nicht ins Bier gehören. „Wenn es nur darum ginge, sicherzustellen, dass wir eine eindeutigere Sprache hätten, dann wäre das nicht sinnvoll, weil wir die sowieso nicht haben und nicht haben werden.“
Am Ende, und das ist fast ironisch, ist dieser Gesetzesvorstoß selbst nicht transparent kommuniziert, weil es um Traditionswahrung geht. Die ist, wenn es um eine gute Bratwurst aus artgerechter Tierhaltung geht, auch eine gute Sache. Dann muss man das bloß auch so etikettieren.
