„Da wird es einem etwas bange“

Nina Hoss gehört zu den großen Schauspielerinnen ihrer Generation. Sie ist auf der Bühne ebenso passioniert und präsent wie im Kino, präzise in der Sprache und politisch hellwach. Es geht ihr immer um mehr als nur Rollen: um Haltung in Zeiten von Trump, um das fragile Lebensgefühl in den USA, wo sie mehrere Wochen Theater gespielt hat, um Zeitenwenden – und darum, wie man als Künstlerin Brücken baut zwischen Welten, Disziplinen und Wahrheiten. Eine Begegnung mit einer überzeugten Grenzgängerin.
Frau Hoss, Sie standen in New York für Tschechows „Kirschgarten“ auf der Bühne, wie schon vergangenes Jahr in London. Jede Show war ausverkauft, oft zweimal am Tag – was war das für ein Gefühl?

Ja, es war großartig, dass die New Yorker das Stück unbedingt sehen wollten. Es machte Freude, viele empfahlen es weiter oder sahen es zweimal. Wenn ich durch die Straßen lief, hörte ich immer wieder: Oh, ich habe Sie gestern in meinem Theater gesehen – wo man denkt, wow, ich komme wirklich in Austausch mit den Menschen dieser Stadt. Ich war immer neugierig, was es bedeutet und was passiert, wenn man dort auf der Bühne steht.

Tschechow schrieb vor über 100 Jahren diese Studie über Veränderung, Anpassung, Zeitenwenden. Ist das Stück in der Ära von Trump II ganz neu politisch aufgeladen?

Ja. Schon in London war uns klar, wie dieses Stück unsere Zeit und unser Lebensgefühl anspricht. Aber die Welt hat sich doch noch mal sehr verändert, und dieses Stück ist immer immanenter geworden. Jetzt in New York sprachen wir Schauspieler manche Textstellen auch viel aufgeladener als noch vor einem Jahr. Wir staunen, wie Tschechow das alles wissen konnte – oder ob die Menschheit sich immer wieder wie in einer Schleife an einen gewissen Punkt manövriert? Da spürt man die Kraft der großartigen Weltliteratur. Wir alle, Ensemble und Publikum, erleben, wie ermutigend dieses Stück heute ist, weil wir uns gespiegelt sehen.

Tschechow, der liberale Arzt, war überzeugt, dass Veränderung sich immer positiv auf den Menschen auswirkt . . .

Sein Stück tut gut, weil er seine Figuren nie verurteilt. Er beschreibt Menschen in ihren Widersprüchen, Missverständnissen und Sehnsüchten, sodass man Empathie empfindet. Am Schluss vermag einer zum anderen zu sagen: „Trotz allem, was uns trennt, liebe ich dich. Du hast eine feine Seele, wie ein Künstler.“ Das wünscht man sich in diesen Zeiten: dass man anderer Meinung sein und sich trotzdem in die Augen gucken kann. Dass sich die Welt und der menschliche Zusammenhang verändern, ohne dass die Menschlichkeit abhandenkommt.

War die Stimmung anders als bei Ihrem einjährigen „Homeland“-Dreh 2016, als Trump auch gerade gewonnen hatte?

Ja, jetzt kam man mit Freunden oder Unbekannten in jedem Gespräch sofort auf die politische Situation zu sprechen. Damals dachte man noch: Das kann alles nicht wahr sein, aber den Schalter kriegen wir schnell wieder umgelegt. Jetzt ist eher eine Fassungslosigkeit spürbar, gepaart mit einer diffusen Unruhe. Das veränderte sich sogar im Laufe der wenigen Wochen vor Ort. Die Gespräche zu Beginn waren noch viel leichter. Dann fragten sich Menschen tatsächlich: Wohin wandere ich aus, falls das schlimmer wird?

Wie war es in New York bei diesem Aufenthalt?

Die Stadt ist so viel mehr als die Trump-Welt, sie ist außergewöhnlich, lebendig und resilient. Hier hat man sich so viel erkämpft. Wenn man sich hier einen Platz erarbeitet hat, ist man ein New Yorker, egal ob man da geboren ist oder nicht. Es ist eine Community, ein Miteinander, weil das Leben sowieso hart ist. Das hat sich nicht geändert. Aber unter alldem spürt man ein Gefühl der Nervosität. Keiner weiß, wo es hingeht. Daher empfinden sie ihre Situation Trump gegenüber als eine Art Machtlosigkeit.

Nach der ersten Trump-Wahl traf man sich in Washington zum Women’s March. Jetzt scheint es vergleichsweise ruhiger?

In den ersten 100 Tagen wurde von der Regierung so viel durchgesetzt, dass man nun wie ein Kaninchen vor der Schlange sitzt. Was durchaus Absicht ist! Ich glaube, deswegen dauert es länger, sich für Proteste zu formieren. Nach der ersten Trump-Wahl war es ein Impuls, dass alle an diesem ersten Tag nach Trumps Amtseinführung nach Washington strömten, optimistisch, lebendig und voller Energie.

Und jetzt fehlt diese Kraft?

Es finden durchaus Proteste im ganzen Land statt. Zehntausende waren in New York, L.A. oder auch in Zentralamerika auf der Straße, die Versammlungen von Bernie Sanders und dem AOC laufen über. Ich folge vielen Newsportalen, im Internet wie auch Zeitungen aus unterschiedlichen Feldern – nur: Darüber wird kaum berichtet. Aber das Gros der Bevölkerung weiß im Moment überhaupt nicht, was zu tun ist.

Weil das Gros mit dem heftigen wirtschaftlichen Druck beschäftigt ist?

Ja, ihr Alltag ist sehr anstrengend, oft haben sie drei Jobs, um über die Runden zu kommen, fahren dann eine Stunde in ihren Vorort raus. Einmal wollte ich bei einer Einladung Blumen mitbringen, Pfingstrosen. Bei uns kann das Bund auch mal 15, 20 Euro kosten. Aber hier wurden für sechs Stiele 80 Dollar verlangt! Ich glaube, die Menschen haben sich Trump zugewandt, weil sie hofften, dass das System sich ändert.

Hatte die neue Politik Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Wir erhielten plötzlich vom Theater die Nachricht, dass wir Schauspieler zu jeder Zeit das Dokument bei uns tragen müssten, dass wir uns über ein Arbeitsvisum im Land aufhalten. Wenn man solch ein Schreiben liest, wird einem schon bewusst, dass etwas deutlich anders ist. Da wird es einem etwas bange. Und alle, die einreisen, die eine Green Card haben, die mit Amerikanern verheiratet sind, sind nervös, ob ihnen an der Grenze etwas passiert. Ich glaube, genau dieses Gefühl will die Trump-Administration auch auslösen. Es fühlt sich an, als wolle sich ein Staat in einen Polizeistaat verwandeln. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das erleben werde, in einem eigentlich westlichen Land.





Eine Geschichte aus dem Frankfurter Allgemeine Quarterly, dem Zukunftsmagazin der F.A.Z.

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Was sind Ihre Lehren aus diesen Eindrücken für das Leben bei uns?

Dass wir aufpassen müssen, dass es bei uns nicht so derartig auseinanderbricht. Es ist erschreckend, wie schnell die Haltung in einer Gesellschaft umkippen kann. Wie schlimm die Achtlosigkeit gegenüber Menschen werden kann, die anscheinend nicht mehr zählen, nur weil sie Migranten aus Mexiko sind. So profan es ist: Ich fürchte, es geht in den USA nur darum, dass man noch reicher wird. Dass man Macht eigentlich nur haben will, damit man selbst entscheiden kann, wie man noch mehr Geld machen kann. Ich hoffe aber, dass es weniger verschlagen ist.

Auch in Deutschland sind viele nervös, was die Zukunft angeht. Was gibt Ihnen Halt, wenn die Unruhe Sie packt?

Meine Arbeit. Weil sie sich immer mit der menschlichen Kondition beschäftigt und ich nicht überrascht bin, was alles möglich ist. Wir arbeiten ununterbrochen an uns und unseren Zusammenhängen, weil die Konstellationen und Bedingungen immer wieder anders sind. Aber letztendlich lohnen sich diese Veränderungen, gerade aus emanzipatorischer Sicht. Wenn in den USA die Freiheiten der Frauen begrenzt werden – bei uns noch nicht –, ist mir bewusst, dass die Zeit der Muße jetzt vorbei ist. Wir müssen zusammen eingreifen. Dieses Miteinander kann auch wieder Kraft machen. Wir sollten uns nicht allein in eine Höhle zurückziehen und Angst haben. Dass ich von Menschen umgeben bin und in einem regen Austausch mit ihnen stehe, dass ich Teil einer spürbaren Gemeinschaft bin, gibt mir Halt. Und Haltung. Da erfährt man, dass es viele gibt, die gleicher Meinung sind, und das tut erst mal gut.

Auch in Ihrem neuen Film „Zikaden“ geht es um Veränderungen und neue Standorte: Das Leben Ihrer Protagonistin verändert sich radikal, als die Eltern hilfebedürftig werden. Was reizte Sie daran?

Es sind Themen, mit denen sich unsere Generation jetzt auseinandersetzen muss, ob wir wollen oder nicht: wie man den Moment der Veränderung und des Loslassens gut durchsteht.

Es geht ums Altern, Pflege, Tod und fragile Beziehungen: Hoss (links) in ihrem neuen Film „Zikaden“
Es geht ums Altern, Pflege, Tod und fragile Beziehungen: Hoss (links) in ihrem neuen Film „Zikaden“Judith Kaufmann / Lupa Film

Sind Sie jemand, der sich bereitwillig verändert und gut anpasst?

Ich weiß nicht, ob man selbst merkt, dass man sich verändert. Ich hätte Angst, mich überhaupt nicht zu verändern. Das zeigt ja, dass man sich dem Leben ausgesetzt hat, wenn manches einen nicht mehr überrascht oder man anderen helfen kann, weil man es selbst schon erlebt hat.

Altern, Pflege, Tod. Viele stellen für die Pflege der Angehörigen das eigene Leben auf Warteschleife. Setzen solche Filme auch für Ihr eigenes Leben Impulse?

Durch meinen Beruf kann ich durch sämtliche Emotionen durchgehen und vielleicht sogar manchmal Ängste loslassen, obwohl sie gar nicht meine sind. Das ist ein merkwürdiger Vorgang. Aber tatsächlich ist mein Beruf mein Glück. Es hat auch etwas sehr Befreiendes, etwas stellvertretend zu erleben. Vielleicht bin ich später dann auch schon besser vorbereitet auf manches.

Belastet es Sie nicht auf Dauer, sich so intensiv mit existenziellen Themen auseinanderzusetzen?

Ich komme immer wieder darauf zurück: dass das Leben einfach unfassbar großartig ist. Wie lange Menschen am Leben festhalten, auch unter den widrigsten Umständen – vielleicht, weil man nicht weiß, was danach kommt. Weil das Leben doch was hat, das man nicht verpassen will, was man unbedingt sehen oder erleben will. Und weil man nicht die verlassen möchte, die man liebt.

Sollen, müssen dann Wahlverwandtschaften die Familienstrukturen ersetzen?

Ja. Denn Situationen, die man sich nicht aussucht, bringen manchmal Begegnungen mit sich, die sonst nie zustande gekommen wären. Plötzlich versteht man sich auf einer Ebene, die nur möglich ist, weil beide in einer ähnlichen Situation sind und sich auf unverhoffte Weise guttun. Darum geht es auch in „Zikaden“.

Nina Hoss als Isabell und Saskia Rosendahl als Anja in „Zikaden“: überraschende neue Bindungen in schwierigen Lebensphasen
Nina Hoss als Isabell und Saskia Rosendahl als Anja in „Zikaden“: überraschende neue Bindungen in schwierigen LebensphasenJudith Kaufmann / Lupa Film

Ihr Vater war Gewerkschafter, Gründungsmitglied bei den Grünen und saß sieben Jahre im Bundestag, Ihre Mutter war Schauspielerin und Intendantin. Sind Theater und Politik bis heute die unterschiedlichen Pole Ihres Lebens?

Ja, schon. Meine Motivation für das Schauspiel speise ich aus dem, was mich politisch umgibt. Ich füttere meine Figuren damit an, was uns heute anspricht, überlege, was sich verändert. Das Theater hat mich geprägt, und sein Prozedere habe ich auf die Filmarbeit übertragen. Ja, das sind die zwei Pole, zwischen denen ich mich aufhalte. Informiert zu sein, ist für mich etwas Selbstverständliches, es käme mir seltsam vor, wenn ich es nicht wäre. Ich stoße doch auch immer wieder auf Texte, die einem Mut machen.

Am 7. Juli feiern Sie Ihren 50. Geburtstag. Hat die Zahl eine besondere Wirkung auf Sie, oder hegen Sie eine Erwartung?

Ich denke vor allem: Ist es nicht großartig, dass ich es bis hierhin geschafft habe, was ich alles ge- und erlebt habe? Ich bin voller Dankbarkeit, dass ich so ein erfülltes Leben leben darf und genau das machen kann, was mich begeistert, reizt, fordert und glücklich macht. Dass ich auch den Menschen gefunden habe, mit dem ich ein sehr, sehr langes privates Glück erlebe. Dass ich Freunde habe, die mir so nah sind. Mit der Zahl kann ich nichts anfangen, weil ich oft denke, ich bin doch noch so ein Kindskopf. Mit dem Alter verbinde ich ganz andere Menschen, gesetzte Leute. Auch wenn ich vielleicht das eine oder andere doch schon weiß.

Haben Sie sich Ihr Leben anders vorgestellt? Was hat Sie überrascht?

Dass ich so viel unterwegs sein kann. Dass ich auf Englisch Theater spielen kann. Ich wollte immer in die Welt hinaus, bin schon als Kind viel mit meinen Eltern gereist. Bis heute erlebe ich andere Kulturen, Menschen, Sprachen und Lebensmodelle als den größtmöglichen Gewinn. Reisen weitet den Kopf. Überrascht hat mich auch – und ich mag es kaum aussprechen –, dass sich so vieles Gute und Glückbringende einfach aus dem anderen ergeben hat. Das lässt sich nicht steuern, das hat sich zu meinen Gunsten entfaltet. Dafür bin ich wirklich unendlich dankbar. Und hoffe, dass es nicht, nur weil ich es jetzt ausspreche, aufhört. Ich blicke jetzt dem nächsten Jahrzehnt mit großer Spannung entgegen.