Cum-Ex: Kronzeuge muss nicht ins Gefängnis – Wirtschaft

Das Urteil erging um kurz nach zwölf Uhr: Kai-Uwe Steck, jahrelang Kronzeuge der Staatsanwaltschaft Köln und einer der wichtigsten Köpfe der Cum-Ex-Industrie, muss nicht ins Gefängnis. Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Bonns verurteilte den 53-jährigen Steueranwalt zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten zur Bewährung (Aktenzeichen 62 KLS 1/24). Das heißt, Steck muss nicht ins Gefängnis. Weil das Verfahren schon lange dauert, gelten sechs Monate bereits als vollstreckt. Dazu soll der ehemalige Kanzleipartner von Hanno Berger mehr als 23 Millionen Euro an die Staatskasse zurückzahlen. Er darf in den kommenden drei Jahren nicht straffällig werden und muss jedes Jahr mindestens 25 000 Euro an den Fiskus zurückzahlen. Auch muss er jeden Wohnortwechsel an das Gericht melden. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Sowohl Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Köln können in Revision gehen.

Kai-Uwe Steck stand seit November 2024 vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf ihm besonders schwere Steuerhinterziehung in acht Fällen vor. Dadurch war ein Schaden von 428 Millionen Euro entstanden. Drei Fälle sollen im Versuchsstadium geblieben sein und wurden im Laufe des Verfahrens abgetrennt. Sie könnten zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Landgericht verhandelt werden. Der Jurist hatte ein umfängliches Geständnis abgelegt.

Das Urteil bleibt weit hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück. Die hatte für den studierten Juristen eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und dazu eine Einziehung von Taterträgen in Höhe von 25 Millionen Euro gefordert. Die Verteidigung von Kai-Uwe Steck dürfte mit dem Urteilsspruch hingegen zufrieden sein. Sie hatte in ihrem Abschlussplädoyer darauf gedrängt, das Verfahren einzustellen. Begründet hatte Steck-Verteidiger Gerhard Strate dies damit, dass sein Mandant viel für die Aufklärung des Steuerskandals getan und er kein faires Verfahren gehabt habe. Nun muss sein Mandant tatsächlich nicht ins Gefängnis. Kai-Uwe Steck nahm das Urteil im Saal in Siegburg ruhig auf.

Cum-Ex-Geschäfte haben einen Milliardenschaden verursacht

Mit der Verurteilung von Kai-Uwe Steck endet vorerst einer der wichtigsten Prozesse in Deutschlands größtem Steuerskandal Cum-Ex. Bei den gleichnamigen Aktiengeschäften hatten sich Aktienhändler, Banken und Anwälte zusammengetan, um den Fiskus mit komplizierten Aktiendeals systematisch auszunehmen. Die Politik unterband die Deals erst 2012. Der Bundesgerichtshof erklärte die Geschäfte im Jahr 2021 für illegal.

Der Schaden für den deutschen Staat belief sich auf mehr als zehn Milliarden Euro, die Ermittler versuchen zurzeit so viel wie möglich davon zurückzuholen. Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland führen in diversen Cum-Ex-Verfahren mehr als 1000 Beschuldigte. Mehrere Banker und Anwälte wurden seit 2019 angeklagt, darunter bekannte Köpfe wie der ehemalige Kanzlei-Partner von Steck, Hanno Berger, sowie der Warburg-Miteigentümer Christian Olearius. Berger wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Das Verfahren gegen Banker Christian Olearius wurde aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.

Kai-Uwe Steck ist auch Kronzeuge der Staatsanwaltschaft

Dass das Urteil für den gleichberechtigten Kanzleigründer Kai-Uwe Steck so viel milder als für Berger ausgefallen ist, hängt mit seiner besonderen Doppelrolle zusammen. Das betonten die Richter am Dienstag vor Gericht. Zwar war er gemeinsam mit Hanno Berger einer der zentralen Figuren der Cum-Ex-Industrie, sorgte für die „Professionalisierung der Deals“ und war früh Beschuldigter, aber eben auch der erste Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Er stellte sich auf Anraten seiner damaligen Anwälte Alfred Dierlamm und Tido Park im Jahr 2016 der Justiz und packte in 21 Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft Köln und dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen zu den Deals aus.

Zusätzlich sagte er in diversen Cum-Ex-Prozessen als Zeuge aus und überredete auch andere Beschuldigte, mit der Staatsanwaltschaft Köln zu kooperieren. Mit seinen Aussagen leistet er einen erheblichen Beitrag zur Aufklärung, wie ihm die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker als Zeugin im Laufe seines eigenen Prozesses bestätigte. Auch Staatsanwalt Jan Schletz hob die Bedeutung von Stecks Aufklärungshilfe hervor und nannte sie in seinem Plädoyer in der vergangenen Woche den maßgeblichen Grund für eine Strafmilderung. Das Gericht sah das offenbar noch deutlich stärker als die Staatsanwaltschaft.

Negativ hervorgehoben hatte Schletz, dass die von Steck versprochene Wiedergutmachung und Rückzahlung der gestohlenen Steuermillionen bis heute nicht vollständig erfolgt sei. Steck hatte nach eigenen Angaben rund 50 Millionen Euro an Cum-Ex-Geschäften verdient, die er zurückzahlen wollte. 13,6 Millionen sollten bereits nach dem Urteil gegen Hanno Berger fließen, wovon allerdings nur elf Millionen bei der Staatskasse landeten. Gegen einen Einziehungsbescheid des Landgerichts Wiesbaden ist Steck sogar vor den BGH gezogen, ein Urteil wird im Juli erwartet.

Auch Stecks frühere Aussage, er habe ein Treuhandkonto mit 50 Millionen Euro eingerichtet, um seine Tatbeute zurückzuzahlen, stellte sich im Laufe des Prozesses als irreführend heraus. Statt Cash – wie vom Gericht und der Staatsanwalt angenommen – lagen auf dem Konto nach Recherchen von SZ und WDR lediglich hochspekulative Aktien von Firmen, die schon Ende 2023 pleite waren. Steck wusste das, räumte aber erst im Februar 2025 auf Nachfrage vor Gericht ein, dass das Geld größtenteils weg sei und sagte: „Ich bin an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit.“