CSU: Sie ist alt geworden

Heute wird in Bayern gefeiert: Die CSU hat Geburtstag! Es war Mitte Oktober 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als Politiker, deren Herzen christlich und sozial schlugen, in München und Würzburg zwei Ortsverbände gründeten. Anfang 1946 war die Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. dann auch ganz offiziell geboren, nachdem die Alliierten ihr eine Lizenz für die politische Arbeit im gesamten Bundesland erteilt hatten.  

Wie bei jedem runden Geburtstag soll hier also mit einer ausführlichen Würdigung der Jubilarin begonnen werden: Bayern ohne die CSU, das ist ja wirklich kaum mehr vorstellbar. Seit 1957 stellt die Partei durchgehend den Ministerpräsidenten. Kein anderes deutsches Bundesland hat solch eine Kontinuität vorzuweisen. Bis 2008 konnte die CSU sogar allein regieren, seitdem muss hier und da ein bürgerlicher Partner (früher FDP, heute Freie Wähler) einspringen. Auch auf dem Land dominiert die CSU: 56 von 71 bayerischen Landräten (PDF) tragen Parteibuch, der Rest sind Freie Wähler. Also aus CSU-Sicht quasi so etwas wie Familienmitglieder, die noch in ihrer rebellischen Phase stecken.  

Bayerns weiß-blaue Schönheit, der Wohlstand, der Anspruch, „Laptop und Lederhose“ (Edmund Stoiber), also zugleich modern und heimatverbunden zu sein, all das gehört zum Lebenswerk der CSU. 

Erstaunlich viele Vorhaben haben vor Gericht keinen Bestand

Und sie wirkt über Bayern hinaus: Der Bundesregierung im grauen und verarmten Moloch Berlin schaut die CSU mit traditionellem Selbstbewusstsein auf die Finger. Am desaströsen Bild der zerstrittenen Ampelregierung konnte sich die Partei erfolgreich profilieren. Seit Mai redet sie in der schwarz-roten Koalition am Kabinettstisch wieder ein Wörtchen mit. Die CSU nennt es „Bayerische Interessen in Berlin vertreten“. Gegner sprechen von knallharter Klientelpolitik. 

Ob einst die „Herdprämie“, die „Obergrenze für Flüchtlinge“ oder heute „Mütterrente“ und „Agrardiesel“: Sitzt die CSU in Berlin erst mal mit am Hebel, dann setzt sie im Verhältnis zu ihrer Größe erstaunlich viele Vorhaben durch. Mit populistischer Prise und Wiedererkennungswert. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass viele der Prestigeprojekte vor Gericht keinen Bestand hatten. Man erinnere sich an das Millionendesaster der „Ausländer-Maut“ oder das vom Verfassungsgericht gekippte Betreuungsgeld für Frauen, die ihre Kinder daheim erziehen. Aber es sind ja oft die Macken, die das Geburtstagskind so unverkennbar machen.

Dass die CSU mehr ist als eine erfolgreiche Regionalpartei, zeigt sich auch daran, dass in ihren 80 Lebensjahren zweimal ein CSU-Politiker fast Kanzler geworden wäre: Franz Josef Strauß scheiterte recht klar, Edmund Stoiber nur äußerst knapp. Markus Söder, der heutige Parteichef, hätte es gern ein drittes Mal versucht, aber er ist 2021 wegen des erbitterten Widerstands in der Schwesterpartei CDU schon in der Vorrunde ausgeschieden.  

Rechts von der CSU hat sich eine Partei festgesetzt

Womit wir beim Hier und Heute wären. Trotz aller Meriten: Ihren runden Geburtstag begeht die CSU in einer schwierigen Lebensphase. Sie hat einiges erreicht, aber zunehmend Sorge vor dem, was noch kommt. Denn die Erfolgsrezepte von damals funktionieren heute nicht mehr.  

Eine Partei kann theoretisch ewig leben. Da hat sie uns Menschen etwas voraus. Aber auch die CSU wirkt inzwischen nicht immer so erfrischend wie ein bayerischer Bergsee. 

Schon seit einigen Jahren liegt sie in Umfragen wie festgetackert bei 37 Prozent. Natürlich, sie ist noch unumstritten eine Volkspartei – anders als CDU und SPD. Aber die Zeiten, in denen die CSU locker 47 bis 60 (!) Prozent aller Wählerinnen und Wähler an sich binden konnte, sind lange vorbei. 

Zwar ist es der CSU gelungen, die Konkurrenzpartei Freie Wähler zu entzaubern und zu schrumpfen. Gleichzeitig ist geschehen, was aus Sicht des Übervaters Franz Josef Strauß niemals hätte passieren dürfen: Rechts von der CSU hat sich die AfD etabliert – und legt immer weiter zu. 

Ausgerechnet also die Partei, die in Bayern als „extremistische Organisation“ geführt wird und deren Fraktionschefin im Landtag durch unflätige Schimpftiraden auffällt, hat sich in  Umfragen mit 20 Prozent auf Platz 2 geschoben. Wären morgen Wahlen in Bayern, müsste die CSU fürchten, dass sie nur noch mit drei Parteien eine Mehrheit gegen die AfD bilden kann. Dass nur noch ein lagerübergreifendes Bündnis, womöglich mit den verhassten Grünen, die eigene Macht sichern kann: Es wäre eine Zäsur für die CSU.

Nicht umsonst bezeichnet Söder die AfD inzwischen als „Systemfeind“ und „größte Herausforderung für die Demokratie“. Auch wenn der Chef sich glaubhaft abgrenzt, findet seine Partei kein Mittel, um den Aufstieg der Rechten zu stoppen. 

Hat sich das Prinzip Söder überlebt?

Pünktlich zum 80. Geburtstag der Partei steckt auch der Vorsitzende persönlich in einer Sinnkrise. Sein Traum von der Kanzlerschaft hat sich nicht erfüllt. Und als politisches Chamäleon wirkt Söder langsam anachronistisch. Erst sprach er von „Asyltourismus“, blinkte also nach rechts. Dann umarmte er Bäume – und damit indirekt auch die Grünen. Und jetzt arbeitet der passionierte Fleischesser sich schon seit einiger Zeit wieder an Robert Habeck und allen anderen Vegetariern in diesem Land ab. Überraschen tun die vielen Wandlungen niemanden mehr.

Hat sich das Prinzip Söder also überlebt? Die Ersten in der CSU, darunter zwei Ex-Vorsitzende, rücken öffentlich von ihm ab. Dass Horst Seehofer und Erwin Huber damit mutmaßlich auch alte Rechnungen begleichen: geschenkt. Denn die Kritik zielt mitten rein in eine Phase der Unsicherheit. Nach fast sieben Jahren Parteivorsitz wird dem aktuellen Chef strategische Leere vorgeworfen. 

Drei Minister stellt die CSU aktuell in der schwarz-roten Bundesregierung, von zweien hört man wenig. Dabei sollte Agrarminister Alois Reiner doch eigentlich die wichtige Wählerklientel der Bauern mit der CSU versöhnen, Doro Bär das Zukunftsthema Raumfahrt bespielen und Geld zu den Start-ups nach Bayern leiten.  

Innenminister Alexander Dobrindt hingegen inszeniert sich derweil so erfolgreich als Grenzschützer, dass manche Unionskollegen glauben, er sei längst mächtiger als sein Vorsitzender dahoam in München. Dobrindts Wandlung vom Sprücheklopfer aus Peißenberg zum sanften Verhandler in Berlin steht zunehmend im Gegensatz zu Söders knalliger Inszenierung in den sozialen Netzwerken.   

Der Passauer Politikwissenschaftler Michael Weigl verweist noch auf eine weitere Herausforderung für die alternde Partei: Vielen Wählerinnen und Wählern, so Weigl im Gespräch mit der ZEIT, sei heute ein starker Föderalismus nicht mehr so wichtig: „Sie möchten lieber eine Bundesregierung, die in schwierigen Zeiten effizient und weitestgehend geräuschlos regiert – ohne Querschüsse oder regionale Extrawünsche.“ 

Wenn das stimmt, was bleibt dann von der CSU? Was kann sie von heute für die Zukunft bewahren und wo muss sie sich vielleicht auch neu erfinden? Es sind Fragen, auf die die Partei an ihrem Jubeltag noch keine Antworten gefunden hat.