Coronapandemie: Merkel weist Vorwürfe der Vertuschung von Corona-Ursache zurück

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Vorwürfe zurückgewiesen, nach denen unter ihrer Regierung 2020 Erkenntnisse zum Ursprung des Coronavirus vertuscht wurden. Wie ein Sprecher der Altkanzlerin auf eine Tagesspiegel-Anfrage mitteilte, weise sie den Vorwurf „ganz grundsätzlich zurück“. Sie sehe sich zudem nicht in der Lage, persönlich Stellung zu der Sache zu beziehen.

Merkel war von der Zeitung mit Informationen konfrontiert worden, nach denen es als wahrscheinlich gilt, dass ein Laborunfall im chinesischen Wuhan die weltweite Coronapandemie ausgelöst haben könnte. Der Bundesnachrichtendienst (BND) sei bereits 2020 zu dieser Annahme gekommen, Merkels Kanzleramt soll laut Recherche der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung damals jedoch entschieden haben, der Öffentlichkeit dies vorerst vorzuenthalten.

Der Sprecher verwies laut Tagesspiegel darauf, sich in der Frage an das Bundeskanzleramt zu wenden, „da amtliche Unterlagen aus der Amtszeit der Bundeskanzlerin a. D. im Bundeskanzleramt veraktet sind, nicht im Büro der Bundeskanzlerin a. D.“.

Armin Laschet fordert Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen

Der frühe Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet, forderte derweil eine Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen während der Coronapandemie. „Die Frage, wie weit Einschränkungen von Grundrechten in der Pandemie wirklich notwendig waren, bedarf nach wie vor einer Aufarbeitung“, schrieb der CDU-Politiker in einem Gastbeitrag für ein katholisches Internetportal. Der Fokus habe damals zu sehr auf der medizinischen Seite des Virus gelegen, während die psychologischen Folgen für die Gesellschaft vernachlässigt worden seien.

Er habe daher eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag vorgeschlagen, schrieb Laschet. Einen Untersuchungsausschuss lehnte er in einem weiteren Interview hingegen ab: Ein solcher Ausschuss sei vor allem ein „Oppositionsinstrumentarium“ und in diesem Fall „unangemessen, denn in der Zeit haben ja alle regiert“. Es gehe ihm vor allem darum, aus der Aufarbeitung zu lernen und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.

Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn sagte am Donnerstag, er habe nichts von den betreffenden Geheimdienstberichten gewusst. Er könne lediglich sagen, dass es die Debatte um die sogenannte Laborthese bereits vor fünf Jahren gegeben habe. Zugleich wies der CDU-Politiker darauf hin, dass auch ein früherer Befund über den Virusursprung keinen Einfluss auf die Corona-Maßnahmen in Deutschland gehabt hätte. „Das Virus war, wie es war, und hatte die gesundheitlichen Schäden verursacht, die es verursacht hat.“

Ursprung liege zu „80 bis 95 Prozent“ in chinesischem Labor

Der Recherche der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung zufolge soll der deutsche Auslandsgeheimdienst bereits 2020 Untersuchungen zum Ursprungsort des Coronavirus angestrengt haben. Bisher war vor allem ein Tiermarkt in Wuhan als Auslöser für die weltweite Pandemie vermutet worden.

Die Untersuchungen des BND führten jedoch zu einem anderen Ergebnis. Demnach soll das Virus mit einer Wahrscheinlichkeit von „80 bis 95 Prozent“ aus einem chinesischen Labor stammen. Dort soll neben einer Reihe von Tierversuchen auch zur Wirkung von Coronaviren auf das menschliche Gehirn geforscht worden sein, es hätte damals bereits „ungewöhnlich viel Wissen über das angeblich doch so neuartige Virus“ vorgelegen, heißt es in den Recherchen. Das Ergebnis der Untersuchung, das bisher nicht final bewiesen wurde, werfe daher auch Fragen zur Verantwortung der Regierung Chinas in der Coronapandemie auf.

Skepsis im Kanzleramt

Bei ihren Nachforschungen hätten die BND-Agenten mehrere Sicherheitsrisiken und unvorsichtiges Vorgehen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Wuhan festgestellt. So seien etwa Proben von mit Viren infizierten Tieren „nachlässig entnommen und unvorsichtig hin und her transportiert“ worden. So sei das Risiko, dass der Erreger tatsächlich das Labor verlässt, erhöht worden. An eine absichtliche Verbreitung des Virus durch China glaubt der BND allerdings nicht – man gehe von einem Unfall aus.

Mit seinen Ergebnissen habe sich der Geheimdienst an das Kanzleramt gewandt. Dort seien die Informationen jedoch auch skeptisch aufgenommen worden. Es sei möglich, dass der BND sich irre, wie etwa mit seiner Fehleinschätzung zur Machtübernahme der Taliban in Afghanistan.

Eingekeilt zwischen den Großmächten China und USA

Die Diskussion um den Ursprung des Coronavirus sei zum damaligen Zeitpunkt 2020 zudem bereits zu einer politischen Glaubensfrage geworden. Der damalige US-Präsident Donald Trump schürte die Theorie, dass China für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich sei, während die Regierung in Peking eine unabhängige Untersuchung durch die Weltgesundheitsorganisation blockierte und ebenfalls Verschwörungstheorien zum Virus verbreitete.

Die Bundesregierung habe sich in der Situation zwischen den beiden Großmächten eingekeilt gesehen, das Risiko der BND-Ergebnisse für einen „weltpolitischen Knall“ sei zu groß gewesen. Daher habe man sich im Kanzleramt dazu entschieden, die Untersuchung geheim zu halten, der Bundesnachrichtendienst wurde zur Verschwiegenheit verpflichtet. Auch Nachfragen im Bundestag zur Herkunft des Virus wurden zu der Zeit konsequent abgeblockt.

Die Coronapandemie sorgte in den Jahren 2020 bis 2023 zu weitreichenden Eindämmungsmaßnahmen in Deutschland. In der Zeit wurden unter anderem Schulen und Kitas geschlossen, in mehreren Lockdowns wurde der erlaubte menschliche Kontakt deutlich eingeschränkt. Allein in Deutschland starben laut Angaben des Robert Koch-Instituts rund 160.000 Menschen an Sars-CoV-2. Im April 2023 erklärte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Coronapandemie in Deutschland offiziell für beendet.

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