Comic-Kolumne: Jan Bows Comicheftserie „Rad ab“

Über innerstädtische Radfahrer gibt es geteilte Meinungen: Die einen sehen in ihnen die Heilung vom Verkehrsinfarkt (sie selbst), die anderen eine selbstgerechte Rabaukentruppe (Autofahrer und Fußgänger). Die Wahrheit liegt nicht etwa in der Mitte, sondern an den Extremen: Beides stimmt. Ersteres trifft auf alle Radfahrer zu, Letzteres auf einen (leider viel zu großen) Teil von ihnen – und dabei vor allem auf jene, die ihre Fortbewegung moralisch motivieren.

Die Comic-Kolumne von Andreas Platthaus
Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Ich wage eine Vermutung: Jan Grambow gehört zu Letzteren, ohne dass ich wüsste, ob er dann auch so Rad fährt. Der Berliner Illustrator, der unter dem Künstlernamen Jan Bow auftritt, ist aber auf jeden Fall ein Überzeugungstäter als Comiczeichner. Seine beiden Leidenschaften kombiniert er in einem eigenen Magazin namens „Rad ab“, das seit 2023 erscheint und bereits die fünfte Ausgabe erreicht hat. Die ist im Gegensatz zu den ersten vier farbig gedruckt und 32 Seiten stark (gegenüber bislang 28). Der Grund: Jan Bow hat diesmal Kollegen eingeladen, in seinem Heft eigene Radfahrer-Geschichten zu erzählen.

Der Mann hinter „Rad ab“: Jan Grambow alias Jan Bow, hier im Selbstporträt aus Heft Nr. 4
Der Mann hinter „Rad ab“: Jan Grambow alias Jan Bow, hier im Selbstporträt aus Heft Nr. 4Jan Bow

Und damit hat er in Heft 5 von „Rad ab“ einiges an Prominenz versammelt, allen voran seinen Berliner Kollegen Mawil (Markus Witzel), dessen Radfahrbegeisterung spätestens seit dem Album „Lucky Luke sattelt um“ bekannt sein dürfte. Allerdings beschränkt sich Mawils Gastauftritt bei Jan Bow auf eine Einzelillustration, während etwa der in Köln aktive Leo Leowald gleich eine Doppelseite mit seinem schnäbligen Helden Zwarwald gezeichnet hat, die zum Komischsten gehört, was ich in jüngerer Zeit gelesen habe. Als würde Lewis Trondheim in Deutschland Rad fahren und zeichnen. Aber der Franzose war schon immer Leowalds großes Vorbild.

Racheradler gegen Raser

Auch Sascha Dörp aus Mainz darf schon zu den Bekannten gezählt werden – seit Jahren trifft man den stilistisch vielseitig Begabten auf Comicbörsen und -salons. Sein Einseiter für „Rad ab“ nimmt von Farbe weitgehend Abstand und erzählt eine entsprechend rabenschwarze Geschichte um „Chainiac, den Geisterradler“, der jene Autofahrer zur Hölle schickt, die sich rüpelhaft benehmen. Und das mit der Hölle darf man angesichts des unterm Fahrradhelm leuchtenden Skelettkopfs mit glutroten Augen wörtlich nehmen.

Böse Überraschung für den Radfahrer in David Löfflers Kurzgeschichte „Bike and Ride“ aus „Rad ab“ Nr. 5
Böse Überraschung für den Radfahrer in David Löfflers Kurzgeschichte „Bike and Ride“ aus „Rad ab“ Nr. 5David Löffler

Dörp nimmt damit den Tenor der Geschichten von Jan Bow auf, die sich in den ersten vier Heften finden. Das Debüt („Hase und Igel“ betitelt) bot die Rivalität zwischen einem auf einer Ostseeinsel strampelnden Radwandererpaar und zwei adipösen Urlaubern im Wohnmobil samt mittransportierten E-Bikes. Wer da hässlich, wer sympathisch gezeichnet ist, kann man sich leicht ausmalen, aber das Ende sah anders aus, als man erwarten durfte – auch schon ein kleines bisschen Horrorschau.

Lieferwagenkiller gegen friedliche Bürger

Und so hält es auch David Löffler in „Bike and Ride“, einer dreiseitigen stummen Geschichte, die nicht wie Dörp einen Radlerrächer, sondern in bester Steven-Spielberg-Manier einen Lieferwagenkiller auftreten lässt: eine Opfergeschichte ohne explizite Moral. Die dafür Max J. Otto im Übermaß bietet, wenn er die Evolutionsgeschichte umschreibt und die Menschen wie bissige Köter den elegant Rad fahrenden Hunden hinterherhecheln lässt.

Das zauberhaft unheimliche Cover zu Heft 4 von „Rad ab“
Das zauberhaft unheimliche Cover zu Heft 4 von „Rad ab“Jan Bow

Zeichnerinnen sind natürlich auch dabei. Romana Ruban und Anja Muchow liefern die ästhetisch ungewöhnlichsten Arbeiten, grandioses Formenchaos à la Holger Fickelscherer die Erste, eine kulturgeschichtliche Collagearbeit die Zweite. Und Jan Bow selbst ist natürlich auch vertreten: mit einem schönen Einzelcartoon, der ein Lebewesen zeigt, das aus einer „Fisch-sucht-Fahrrad-Party-Bekanntschaft“ hervorgegangen sein muss, und mit gleich drei senkrecht angelegten Comic-Strips, die sich über jeweils zwei Drittel einer Seite erstrecken, aber erkennbar Nebenwerk sind.

Würzige Revanche

Denn in den vier früheren Ausgaben von „Rad ab“ hatte Jan Bow jeweils den ganzen Heftumfang mit langen Geschichten bestritten. Sehr empfehlenswert, wenn auch noch ungelenk, ist dabei „Ein Rad sieht Rot“ in Heft 2, das vom hindernisüberwindenden Wunschtraum eines Radlers erzählt (und auch bitter endet). Und schon ziemlich ausgereift (vor allem beim einleitenden ganzseitigen Selbstporträt) kommt die wunderbar erdachte Erzählung daher über einen indischstämmigen Food-Fahrradkurier in Berlin, der von seinem Arbeitgeber betrogen wird und sich eine würzige Revanche ausdenkt. Das Cover zu Heft 4, in dem sich „Das schwächste Glied der Lieferkette“ findet, ist auch ganz zauberhaft.

Anspruchsvoller Pedaleur: Jan Bows Titelbild zu „Rad ab“ Nr. 5
Anspruchsvoller Pedaleur: Jan Bows Titelbild zu „Rad ab“ Nr. 5Jan Bow

Wo bekommt man nun solche Hefte, die sämtlich im Eigenverlag publiziert worden sind? In Berlin etwa beim Medienkaufhaus Dussmann, dessen Comicabteilung ohnehin mit Spezialgeschäften mithalten kann. Und auch in engagierten Läden letzterer Ausrichtung dürfte man fündig werden. Es lohnt sich manchmal, Buchgeschäftssortimente mit solchen Spezialitäten auf die Probe zu stellen. Den gängigen Verlagsprogrammen hinterherbestellen, das kann jeder, aber Perlen der Independent-Produktion herauszusuchen, darin zeigt sich auf Handelsseite Enthusiasmus. Wie auch mit dem Engagement von Eigenverlegern wie Jan Bow.

Schön, dass dann andere Autoren etwas beisteuern. Aber ich freue mich auch, wenn der Heftherr sich die nächste Ausgabe wieder allein gönnt. Sein Firmenname lautet übrigens Makulatur-Manufaktur. Von wegen: Makulatur ist hier gar nichts.