
Sirenen heulen auf, Blaulicht flackert durch das Waldstadion. Kommen die Cops? Dieses Szenario kennt Chris Brown wohl nur zu gut. Der amerikanische Sänger wurde jüngst bei seiner Ankunft in Großbritannien von der britischen Polizei verhaftet und setzte damit seine Tour „Breezy Bowl XX World Tour“ aufs Spiel. Ihm wird vorgeworfen, im Februar 2023 in einem Londoner Nachtclub mit einer Flasche auf den Produzenten Abe Diaw losgegangen zu sein. Ein Londoner Gericht wollte Brown bis Mitte Juni festhalten, er ist aber gegen eine Kaution von umgerechnet 5,9 Millionen Euro freigekommen. Ein Glück für seine Frankfurter Fans. Das ausverkaufte Gastspiel hätte sonst abgesagt werden müssen.
Im Konzert gibt sich Chris Brown geläutert. Dort blickt der 36 Jahre alte Sänger auf die Höhen und Tiefen seiner seit zwei Jahrzehnten andauernden Karriere. Brown erzählt in einem Einspieler von Schuld, öffentlicher Ächtung. Es geht um einen öffentlichen Fall: Der Übergriff auf seine damalige Freundin Rihanna. Auf einer Party im Jahr 2009 verprügelte er sie. Nachdem Bilder ihrer Verletzungen viral gingen, wurde Brown zu fünf Jahren Haft auf Bewährung und knapp 200 Tagen Sozialarbeit verurteilt. Immer wieder macht er wegen Gewalt von sich reden. Grund für viele, seine Musik nicht zu hören.
„Wie kann ich ein besserer Mann werden?“
Brown spricht vom Bruch mit der Öffentlichkeit, einer medialen Hinrichtung und Selbstreflexion. „Ich saß in meinem Haus und habe mich gefragt: Wie kann ich ein besserer Mann werden?“ Passend dazu performt er seinen Song „Don’t Judge Me“. Brown, so kommt es an, macht weiter. Für seine Fans. „Born as a Champion“, hallt es aus den Boxen. Über die Leinwände flackern zu Konzertbeginn seine Erfolge: 188 Billboard-Top-100-Einträge und 25 Grammy-Nominierungen.
Mit einem Knall und unter Feuerwerk steht Brown auf der Bühne. Rote Latzhose, Footballjacke – der Blick schweift über das jubelnde Publikum, als wolle er dieses Bild in sich aufsaugen. „Let me talk to you“, singt er, dann ertönt der Beat von „Run It!“, dem Song, mit dem im Jahr 2005 alles begann. Seit damals hat er Hit auf Hit gelandet.
Tänzerinnen in Cheerleader-Outfits springen auf die Bühne. Brown performt, tanzt, sprintet, dreht sich – Playback ist bei diesem Pensum kein Geheimnis, sondern eine Notwendigkeit. Die Songs sind oft nur angerissen, wie ein musikalischer Lebenslauf im Schnelldurchlauf.
Der Popstar erhebt sich – wortwörtlich. Während „Wall to Wall“ schwebt er auf einer Seilbahn über die Menge hinweg zur B-Stage. Dort steht eine rote Chaiselongue. „Möchte eine Dame auf die Bühne kommen?“, fragt er. Ein Fan wird ausgewählt, Chris Brown singt für sie „Take You Down“, beginnt einen Lapdance. Die Menge schreit und feiert das – denn Brown bedient die Phantasien vieler, und das weiß er, inszeniert diesen Teil der Show als sexy Verführung mit lasziven Bewegungen. Bis mit „Feel Something“ Sänger und Tänzerinnen in einem einzigen, pulsierenden Körper verschwimmen.
„Legacy“, das letzte Kapitel des Konzerts, beginnt wieder mit einem Einspieler. Brown spricht über seine drei Kinder, seine Verantwortung als Vater. Er gibt sich geläutert. „Don’t Wake Me Up“ klingt versöhnlich, fast verletzlich. Dann „No Air“ – Jordin Sparks ist nicht da, das Publikum übernimmt ihren Part, emotional und mit Gänsehautmomenten. So wirkt das ganze Konzert wie eine Art Verhandlung über das eigene Ich. Und Brown bleibt, was er zwei Jahrzehnte lang war: Ein Widerspruch, blendend und verstörend.