
Der Zusammenbruch des Batterieherstellers Northvolt ist nur ein Symptom für die Schwierigkeiten, in denen die Anstrengungen um den Aufbau einer europäischen Batteriezellenindustrie stecken. Zu den Konsequenzen, die daraus gezogen werden sollten, gibt es aber keinen Konsens. Im Gegenteil: Die Reaktionen und strategischen Empfehlungen von Fachleuten aus der Autobranche, Unternehmensberatern oder Ökonomen enthalten zahlreiche Gegensätze.
„Batterien sind in so vielen Anwendungen, und sie kommen in immer mehr Marktsegmente. Wenn wir dort nicht wettbewerbsfähig werden, dann verlieren wir noch viele weitere Märkte in der Medizintechnik, bei Flugzeugen, Schiffen oder stationären Speichern“, sagt Achim Kampker, Lehrstuhlinhaber für Ingenieurwissenschaften für die Produktion von Komponenten für die E-Mobilität an der RTWH Aachen. „Batterietechnologie und die rasche Ansiedlung von Wertschöpfungsketten sind für die Wettbewerbsfähigkeit des Automobilstandorts Deutschlands und Europas eine wichtige Säule“, sagt eine Sprecherin des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA). Das Ziel sei, Deutschland und Europa als wichtige Innovations- und Technologiestandorte sowie als Zentren für die Entwicklung und Produktion von Traktionsbatterien für automobile Anwendungen zu etablieren.
Das Herzstück des Elektroautos
Doch die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie schwer dieses Ziel zu erreichen ist: Wie eine Recherche der F.A.Z. ergibt, sind von den 27 angekündigten europäischen Projekten für Batteriezellenproduktion derzeit nur zwei in Betrieb. Zusätzlich soll mit einer Volkswagen-Fabrik in Salzgitter in einer dritten Fabrik noch in diesem Jahr die Fertigung starten. Neben diesen drei Fabriken mit einer Jahresproduktion an Batteriezellen von einer Gesamtkapazität von 110 Gigawattstunden (GWh) wird an sechs Standorten noch gebaut. Sie haben eine Gesamtkapazität von 204 Gigawattstunden. Nicht weniger als 18 europäische Projekte für die Batteriezellenproduktion und damit zwei Drittel der einst angekündigten Fabriken müssen mittlerweile als gescheitert gelten. Die Gründe: Insolvenz, Baustopp oder auf unbestimmte Zeit verschobene Pläne. Gemessen an der einst für die europäische Projekte angekündigten Batteriezellenproduktion von insgesamt 1031 Gigawattstunden an Jahreskapazität sind 69 Prozent gescheitert oder auf Eis gelegt; nicht einmal 11 Prozent sind am Laufen (einschließlich dem VW-Projekt in Salzgitter).
Die Batteriezellen sind das Herzstück des Elektroautos, denn sie speichern die benötigte Energie. Die Zellen werden schließlich in Montagewerken in große Batteriehalterungen eingebaut, verkabelt sowie mit Steuergeräten, Kühlung und Vorkehrungen zum Brandschutz versehen. Wenn für kleine Elektroautos Batterien von jeweils 30 bis 50 Kilowattstunden benötigt werden, für große dann entsprechende Energiespeicher von 80 bis 110 Kilowattstunden, lassen sich mit der Produktion von einer Gigawattstunde Speicherkapazität dann grob gerechnet 30.000 Kleinwagen oder 10.000 große E-Autos mit Batterien bestücken. Bei der derzeit begrenzten europäischen Nachfrage nach E-Autos wird der aktuelle Bedarf an Batteriezellen vor allem von koreanischen und chinesischen Herstellern abgedeckt, mit 207 GWh Produktionskapazität. Dazu kommen noch chinesische Bauprojekte mit Standorten in Ungarn und Spanien mit zusätzlichen 178 GWh.
„Neben den Northvolt-Ambitionen gab es weitere Ideen europäischer Hersteller, bisher ist fast keine davon erfolgreich“, sagt Fabian Piontek, Partner der Unternehmensberatung Berylls, Teil des Finanzhauses Alixpartners. Die asiatischen Hersteller wie etwa CATL zeigten wiederum, dass die Herstellung von Batteriezellen und Batterien Erfolg haben könne. Die Perspektive für neue Fabrikationsstandorte hält Piontek dagegen für fragwürdig: „Neue Investments für Zellfertigung sind schwer zu rechtfertigen, da wir aktuell davon ausgehen, dass das Angebot an Batteriezellen die Nachfrage im Jahr 2030 um mehr als das Dreifache übersteigt. Derzeit ist die installierte, globale Fertigungskapazität vier Mal so hoch wie der globale Bedarf.“ Dahinter bleibt einerseits die Unsicherheit über die früher optimistischen, jetzt sehr gedämpften Annahmen zum Hochlauf der Elektromobilität. Zugleich sieht Berylls-Partner Piontek aber gerade chinesische Anbieter für die Zukunft im Vorteil. China orientiere sich in Richtung neuer Technologie. Es habe sich dafür in aller Welt Rohstoffe gesichert. Zudem würden in China Investitionen staatlich unterstützt, politisch vorangetrieben und durch Bereitstellung von Ressourcen wie Energie erleichtert.
Während Northvolt in seiner ersten schwedischen Anlage mit den Bemühungen scheiterte, dauerhaft Qualität zu garantieren und die hohe Ausschussquote zu senken, könnten gerade chinesische Batteriezellenhersteller auf große Kompetenzvorteile bauen, sagt Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. „Etwas vereinfacht ausgedrückt: Wenn im CATL-Werk in Erfurt ein Problem auftritt, können die einfach in der Zentrale anrufen, und die dortigen Experten kennen bereits die Lösung.“ Hinzu komme, dass CATL ein innovativer Hersteller sei: Das Unternehmen beschäftige mehr Batterieforscher, als es in ganz Deutschland gäbe.
China kann nicht nur wegen Lohn- und Energiekosten, sondern auch wegen der Skaleneffekte der großen heimischen Produktion einen immer schwerer aufholbaren Kostenvorteil erringen. Berechnungen für 2024 besagten, dass eine in China produzierte Autobatterie um 24 Prozent günstiger gewesen sei als das gleiche Produkt aus den USA und um 33 Prozent günstiger als eine europäische Batterie, berichtet Unternehmensberater Piontek von Berylls. Aus der Sicht von Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft werden Investitionen in Batterien derzeit durch ungünstige Konjunktur und Rentabilität von Elektroautos behindert. „Batteriezellen sind wohl das zentrale Zulieferteil der Zukunft. Eine eigene Zellproduktion ist zwar wegen der Wertschöpfungstiefe wünschenswert, aber unrealistisch.“
„Kompetenzaufbau und dann weitersehen“
Dennoch sei es gefährlich, wenn die europäische Autobranche nun die Ambitionen für Entwicklung und Fertigung von Batteriezellen aufgebe, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center Automotive Management in Bergisch Gladbach. „Wir brauchen Forschung und Kompetenzträger, um überhaupt mit den Herstellern über Batterien reden zu können.“ Mit Blick auf die stockende Entwicklung der europäischen Batteriezellenproduktion meint der Aachener Professor Kampker: „Bisher hat jeder versucht, den Skalierungsschritt vor dem Lernen zu machen – siehe Northvolt.“ Dagegen habe BMW den richtigen strategischen Weg eingeschlagen: „Kompetenzaufbau und dann weitersehen.“ Wer in die Batterietechnologie einsteige, brauche viele Jahre und müsse bereit sein, Verluste zu tragen. „Es führt aber kein Weg daran vorbei. Schade nur, dass auf diesem Gebiet derzeit jeder Zulieferer alleine herumprobiert.“
So unterschiedlich die Notwendigkeiten und Chancen für eine europäische Batteriezellproduktion eingeschätzt werden, so gegensätzlich ist nun auch die Antwort zur Frage, ob nicht ein europäisches Unternehmen die Reste des insolventen Batteriezellenhersteller Northvolt übernehmen sollte: „Nein“, urteilt Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft. Eine Ausnahme seien die Bestände an Rohstoffen.
Aus der Sicht von Berylls-Partner Piontek könnten die Maschinen und Technologien von Northvolt bereits überholt sein und neue Investitionen notwendig machen. „Weitermachen ist vermutlich nicht so einfach möglich.“ Der Aachener Professor für Elektroautofertigung Kampker sieht das ganz anders, seine Antwort ist „Ja, auf jeden Fall“. Er blickt dabei nicht auf eine sofortige Fortführung der Batteriezellproduktion, sondern sieht im Northvolt-Projekt jedenfalls einen Anlauf in die neue Produktwelt: „Hier ist einiges vorhanden, was bei neuen Projekten aus dem Stand wieder viel Zeit und Geld beanspruchen würde.“