Camí dels bons homes: Von Gósol nach Bagà

Dichter Nebel liegt über den Bergen früh am Morgen in Gósol. Es ist ein warmer Herbsttag, der sich fast noch wie Hochsommer anfühlt, eigentlich perfektes Wanderwetter. In einer kleinen Bäckerei am zentralen Dorfplatz trinke ich noch einen Café. Hier bin ich mit Violant verabredet, die heute meine Bergführerin ist, denn wir wollen ein Stück auf dem GR 107 wandern, dem Fernwanderweg, der das südliche Frankreich und das nördliche Katalonien über die Berge hinweg miteinander verbindet.

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Der Fernwanderweg GR 107 ist etwas über 200 km lang und führt in mehreren Etappen durch das Hochgebirge. Heute laufe ich nur einen kleinen Abschnitt in der Nähe des Pedraforca, des Bergs mit dem gespalteten Gipfel, und hoffe, dass das Wetter später noch aufklart. Für die Bilder wäre das besser. Fertig gefrühstückt, mit aufgefüllter Wasserflasche machen wir uns auf den Weg. Violant ist nicht nur Bergguide, sondern auch Restauratorin von Wandmalereien und architektonischen Kulturgütern, sodass sie mir während wir losmarschieren, die Geschichte der Katherer erzählt, nach denen dieser Weg benannt wurde.

Lange bevor Landstraßen oder bequeme Schnellstraßen gebaut wurden, bewegten sich die Menschen auf jahrhundertealten Vieh- und Handelswegen durch die Berge. Im Mittelalter verliefen auch die Ländergrenzen nicht so, wie heute. Okzitanien und Katalonien waren eng verbunden, nicht nur geografisch, auch sprachlich und kulturell. Die Menschen trieben regen Handel zu beiden Seiten der Pyrenäen. Troubadoure zogen damals von Hof zu Hof, um ihre Lieder, Gedichte und neuste Geschichten zu verbreiten. Die heute so malerisch daher kommenden Wanderwege waren in früheren Zeiten viel benutzte Hauptverkehrsstraßen.

wandern cami dels bones homes GR107

Unser Weg führt aus Gósol heraus, bald schon haben wir das Dorf hinter uns gelassen. Der Pfad steigt langsam aber beständig an. Wir durchqueren Waldgebiete und laufen über offene, noch feuchte Wiesen. Immer wieder treffen wir auf Pilzsammler mit ihren Körben, die mit gebeugtem Kopf am Boden aufmerksam nach Camagrogs, Rovellons, Fredolics oder Ceps Ausschau halten. Nach einer Weile scheint der Nebel sich zu verziehen. Es ist noch überraschend warm für die Jahreszeit. Zum Glück führt unser Weg immer wieder durch schattige Waldabschnitte. An der Font Terrers ist ein netter Rastplatz mit Picknicktischen eingerichtet. Doch wir halten uns rechts und wandern noch ein Stück weiter bergauf.




wandern cami dels bones homes GR107

Im 13. Jahrhundert begannen die französischen Könige das damals winzige Reich, das sich rund um Paris erstreckte, immer weiter auszudehnen. Phillipp II. hatte bereits das Haus der Plantagenets, die Familie Richards Löwenherz, besiegt und dadurch sowohl den Westen des heutigen Frankreichs als auch den englischen Thron übernommen. Sein Sohn Louis VIII unterstützte in den folgenden Jahren Papst Innozenz III tatkräftig bei dem von der katholischen Kirche ausgerufenen Albigenserkreuzzug. Sein Einsatz war nicht uneingennützig, denn die von der Häresie “befreiten” Landstriche, konnte er zu Frankreich einverleiben.

Die katholische Kirche war im Mittelalter ein mächtiger Akteur auf der politischen Ebene Europas, und sah in der kleinen christlichen Glaubensgemeinschaft, die vor allem in der Gegend Okzitaniens viele Anhänger fand und sich immer weiter verbreitete, eine Bedrohnung ihrer Macht. 1209 rief der Papst schließlich einen Kreuzzug aus, bei dem viele Dörfer und Städte belagert und gebrandschatzt wurden, viele Menschen grausam gefoltert, hingerichtet und umgebracht wurden. Das erklärte Ziel war die Ausrottung der Katharer. Einige wenige, sagt man, konnten fliehen und versuchten ihnen freundlich gesonnene Siedlungen südlich der Pyrenäen zu erreichen. Sie gingen nach Bagà, Lleida oder die Wälder von Els Ports, denn auch in Katalonien gab es viele Anhänger dieses Glaubens, die hier nicht der grausamen Verfolgung ausgesetzt waren, wie nördlich der Pyrenäen.

Doch wer waren diese Katharer eigentlich?

Die Katharer (oder Albigenser, nach der Stadt Albi benannt) waren eine christliche Glaubensgemeinschaft. Ihre Religion stützte sich vor allem auf das neue Testament und das Evangelium des Johannes. Die Bezeichnung “Katharer” kommt aus dem Griechischen und bedeutet so etwas wie die “Reinen”, eine eigentlich spöttisch gemeinte Bezeichnung der Katholiken, denn die “bons homes” (bones dones/ dames/ femnes) wie sie sich selbst nannten, lebten asketisch und predigten gern unter freiem Himmel. Sie waren so etwas wie ein christlicher Gegenpol zur damals mächtigen katholischen Kirche, die im Mittelalter mehr ein korruptes Machtinstrument, als an der Seelsorge für die Armen interessiert war.

Neben der einfachen Lebensweise trug sicher auch die Tatsache, dass die Katharer auf Okzitanisch statt auf Latein predigten, dazu bei, dass immer mehr Menschen an diesem Glauben Gefallen fanden. Besonders unter der einfachen Landbevölkerung fand diese Religion bald viele Anhänger. Vermutlich um Schwierigkeiten mit der katholischen Kirche zu vermeiden, ließen sich viele Gläubige erst auf dem Sterbebett das Sakrament, Consolamentum, erteilen.

musmuseum katharer troubadour

Der Glaube der Katharer beruhte auf einem Dualismus, der Trennung zwischen einer rein geistlichen Welt und der materiellen Welt des Bösen. Frauen hatten in vielen Belangen dieselben Rechte wie Männer, denn der “Geist” eines Menschen hat kein Geschlecht. Für das Mittelalter waren die Frauen der Katharer daher überraschend gleichberechtigt. Die asketische Lebensweise bedeutete, dass sie sich vorwiegend vegetarisch ernährten. Verboten war das Fleisch von Tieren, die sich durch Kopulation vermehrten, Fisch hingegen war erlaubt, denn die sexuelle Vereinigung, selbst bei Tieren, betrachteten sie als einen Teil der materiellen Welt, die es zu überwinden galt.

Die meisten Markgrafen Okzitaniens ließen die Katharer gewähren und boten ihnen Schutz. Ihre Ländereien waren wohlhabend und der Handel florierte. Südlich der Pyrenäen hatte sich aus der östlichen (von Karl dem Großen gegründeten) Marca Hispanica die Grafschaft Barcelona zu einem Vorläufer des heutigen Kataloniens entwickelt. Unter der Herrschaft der Grafen von Barcelona prosperierte das Fürstentum, das bis hinter Barcelona reichte.

Seit Jahrhunderten bestand eine enge Bindung der Grafschaften diesseits und jenseits der Pyrenäen. Galceran de Pinós, ein Adeliger, dessen Familie zunächst über Gósol, später dann auch über Bagà herrschte, war den Katharern zugetan und half ihnen wo er konnte. Um es sich nicht mit dem Papst zu verscherzen, durfte ein Adeliger allerdings offiziell keine Katharer verstecken oder beherbergen. Also erließ der Baron ein Gesetz, dass die Katharer als Ketzer verurteilte und ins Gefängnis werfen ließ. Damit war dem Verlangen der katholischen Kirche Genüge getan. Dass die Verurteilten meist schon nach ein paar Tagen wieder frei durch die Straßen spazieren konnten, stand auf einem anderen Blatt.

Museum

Papst Innozenz waren diese religiösen Rebellen ein Dorn im Auge. Mit tatkräftiger Unterstüzung Louis III, dem König des damals kleinen französischen Reichs, rief er also zum Kreuzzug gegen die „Ketzer“ auf. Unter der Führung Simon de Montforts rückten die Heere des Papstes und des Königs immer rücksichtsloser vor. Nacheinander erobern sie die Burgen, Landhäuser und Dörfer des Languedoc. Es war ein wahrhaftes Gemetzel, das die Kreuzritter veranstalteten. Viele Orte wurden bis auf die Grundmauern zerstört, zehntausende Menschen grausam ermordet. Wer fliehen konnte, machte sich auf den Weg nach Süden, denn die katharische Kirche hatte viele Anhänger, auf beiden Seiten der Pyrenäen.

wandern cami dels bones homes GR107

Das alles erzählt mir Violant, während wir durch Wälder und über Wiesen bergan steigen. Wir erreichen la Portella, eine wunderschöne Ebene mit einer tollen Aussicht. Theoretisch jedenfalls, denn der dichte Nebel liegt über der Landschaft und will sich heute einfach nicht verziehen. Der Ausblick auf das Tal und die Gipfel um uns herum bleibt mir vorerst verwehrt. Wir drehen schließlich um und kehren auf einem Rundweg zurück nach Gósol.

wandern gosol

wandern gosol

Gerade als das Dorf mit den Ruinen der Burg in Sicht kommt, reißt der Himmel doch noch etwas etwas auf. Einzelne Sonnenstrahlen brechen sich ihren Weg durch die Wolken und tauchen die jahrhundertealten Mauern in ein wundervolles Licht. Die Reste der Stadtmauer, der Kirchturm und ein paar Häuserwände sind noch deutlich zu erkennen. Im Mittelalter war Gósol einer der Orte, der viele Katharer beherbergte. Das weiß man aus alten Schriften. Im 17. Jahrhundert verließen die Bewohner den Hügel und bauten ihrer Häuser in der Ebene, näher an den Straßen, Feldern und Viehweiden. Eine Zeit lang nutzten sie die Steine der alten Häuser zum Bau neuer Gebäude, dann blieb der Hügel sich selbst überlassen und verschwand unter wildem Grün.

Castell de Gósol
Castell de Gósol Pedraforca

Castell de Gósol
Castell de Gósol

Bagà

Nachdem Galceran de Pinós im 13. Jahrhundert den Stammsitz der Familie vom abgelegenen Gósol an eine Stelle verlegt hatte, an der wichtige Handels- und Pilgerwege zusammentrafen, ließen sich immer mehr Menschen zu Füßen des neuen Palastes nieder und errichteten hier ihre Häuser: Auch wenn Bagà 1234 erstmals schriftlich erwähnt wird, geht man davon aus, dass es hier schon im 9.ten Jahrhundert eine kleine Siedlung gab.

Bagà

Im Mittelalter sah Bagà allerdings noch anders aus als heute. Eine mächtige Stadtmauer mit neun Wachtürmen und Portalen umgab den Ort, einer dieser Türme befand sich sogar auf der Absis der Kirche. Bagà war einst ein bedeutender Marktort. Viele Händler aus dem nahegelegenen Frankreich verkauften hier ihre Tuche und Lederwaren. Zwar führte der einfachste Weg über die Pyrenäen bei La Jonquera, wo das Gelände flacher und sicherer war. Doch viele Kaufleute scheuten den weiten Umweg und wählten lieber den steileren, aber deutlich kürzeren Pfad über Bagà. Der Markt fand bei jedem Wetter statt, denn unter den Arkaden des mittelalterlichen Hauptplatzes konnten die Händler ihre Stände geschützt vor Sonne, Regen und Schnee zwischen den steinernen Säulenbögen aufbauen.

Bagà

Erst im 16. Jahrhundert verlor Bagà an Bedeutung und blieb quasi eingefroren in der Zeit. Die Struktur der Altstadt blieb dadurch bis ins 20. Jahrhundert fast unverändert erhalten. Erst als die Zeit der Industrialisierung Zeit anbrach, in den Minen Kohle und Eisenerz abgebaut wurde und längs der Flussläufe Textilkolonien entstanden, wurden die mittelalterlichen Portale abgerissen. Nur ein einziger Turm überlebte, weil er damals in ein Wohnhaus eingebaut war, in dem eine Familie lebte. Doch der Rest der Stadtmauer verschwand.

Stadtturm Bagà

Am Kopfende des großen Platzes, der bis heute seinen Namen trägt, erhebt sich eine beeindruckende Statue von Galceran de Pinós. Erhobenen Hauptes, die Hand auf das Schwert gestützt, blickt er in den Himmel. Am anderen Ende der Plaça steht die Casa Foix, ein prächtiges Wohnhaus der Familie des Grafen von Foix. Schon die Lage zeugt von der Bedeutung der Familie, denn eine breite Steintreppe gegenüber des Wohnhauses führt direkt zum Palau de Pinós hinauf.

Galceran de Pinos Bagà

Palau de Pinós

Oben im Castell de Bagà, dem Palau de Pinós, kann man in den oberen Stockwerken wunderbare Wandmalereien aus dem 18. Jahrhundert bewundern. Gerade die Unvollkommenheit der charmanten Säle bezaubert, jeder ist auf seine Art einzigartig. Der Palast der Barone wurde lange landwirtschaftlich als Lager genutzt, bevor er schließlich an die Gemeinde verkauft und liebevoll restauriert wurde. Eine besonders hübsche Entdeckung ist das Mapa Mundi, eine Art Weltkarte die in Form von Gemälden an der Wand zu finden ist. Jede dieser Wandmalereien stellt einen der damals vier bekannten Kontinente dar: Europa, Asien, Afrika und Amerika. Auch wenn nur Fragmente erhalten sind, kann man deutlich erkennen, welche Kontinente gemeint sind, denn damals wurden die Erdteile als Frauengestalten mit bestimmten Symbolen und Attributen dargestellt. Zu Asien gehört meist ein Kamel und ein Weihrauchschwenker, Afrika erkennt man an einer Palme und einem Löwen oder einer Schlange und Europa wurde hier durch Symbole der Kunst und Wissenschaft repräsentiert. Amerika ist als Wandgemälde leider vollständig verschwunden. Wenn man es noch erkennen könnte, würde vermutlich eine Dame mit Pfeil und Bogen und einem Kaiman auf dem Bild zu sehen sein.

Im unteren Stockwerk befindet sich ein charmantes, kleines Katharermuseum. Dort werden neben der Geschichte der 100 Jungfrauen auch von wichtige Persönlichkeiten des Mittelalters vorgestellt, wie den Vicomte Arnau de Castellbò und seine Tochter Ermessenda, die den Katharern sehr nahe standen und deren Verbindung zu den Bons Homes auf der anderen Seite der Pyrenäen sehr eng war. Wie die meisten Gläubigen erhielt auch Arnau de Castellbò erst auf dem Sterbebett das Consolamentum, die Geisttaufe der Katharer.

ermessenda de castellbo katharer museum

Molí del Casó

Nachdem ich nun in Gósol und Bagà in die Welt der Katharer eingetaucht bin, freue ich mich auf meine Unterkunft. Conxita hat mir ihrem Mann eine ganz besondere kleine Welt geschaffen: Eine halbe Stunde Fußweg südlich von Bagà liegt die Molí del Casó.

Molí del Casó Unterkunft auf dem Wanderweg Cami dels Bons Homes

Kräutertee

Das kleine Landhotel befindet sich in einer ehemaligen Mühle. Conxita und ihr Mann haben alles liebevoll restauriert und ein grünes Paradies geschaffen. Küchenkräuter, Heilpflanzen, Gemüse und essbare Blumen gedeihen üppig in den liebevoll angelegten Beeten. Die Natur darf sich hier entfalten und zeigen, welche Schätze sie hervorbringt. Während das Wasser im nahegelegenen Flüsschen Bastareny dahin plätschert, serviert Conxita einen Kräutertee, den sie aus ein paar frisch gepflückten Onagra-Blättern (dt. gemeine Nachtkerze) zaubert.

conxita

Molí del Casó Unterkunft auf dem Wanderweg Cami dels Bons Homes

Conxita besitzt enormes Wissen über Kräuter. Sie kennt ihre Wirkung und ihren Geschmack, sammelt die Samen und zaubert nicht nur Tee, sondern unglaublich leckerer Gerichte, aus dem, was im Garten wächst. Für alles findet sie eine kreative Verwendung, so dass das Essen im Molí del Casó etwas ganz Besonderes ist. Zum Abendessen gibt es eine Karotten-Mandel-Suppe, einen Salat, aus frischen aromatischen Tomaten, und Fisch mit Safran, Fenchel und Spargel. Conxita zaubert nicht nur sehr leckere und gesunde Gerichte, sie lässt sich auch von alten Rezepten der Katharer inspirieren, die sie neu interpretiert.

essen cami dels bons homes

Die alte Mühle ist mehr als eine tolle Übernachtungsmöglichkeit. Dieser Ort der Ruhe inmitten der Natur, Conxitas Begeisterung, ihr Wissen, ihre Energie und die Liebe zum Detail, machen die Stunden, die ich hier verbringe, zum Aufenthalt in einem Garten Eden. Ein Ort, der Kraft gibt und sowohl dem Körper als auch der Seele gut tut.

Informationen zum Camí dels bons homes

Die eigentliche Etappe des Camí dels Bons Homes (GR107), die von Gósol über  El Collell, Coll de Torn, Coll de Baume und Coll de la Bena nach Bagà führt, ist insgesamt 25,5 km lang (Laufzeit ca. 6 Std. 30 Min. Höhenmeter +700/-1350). Bei Gósol verläuft der Katharerweg teilweise parallel zu einem anderen Fernwanderweg, dem GR 150, der durch den Naturpark Cadí-Moixeró führt. Der Weg, den ich letztendlich gelaufen bin, war nur ein Teil des Camí dels Bons homes und dann eines anderen Weges, der wieder nach Gósol zurückführt.

Die Strecken sind allesamt sehr gut markiert, die Bodenbeschaffenheit ist meist sehr steinig, deswegen sollte man auf jeden Fall trittsicher sein und unbedingt festes Schuhwerk tragen.

Website des Katharer-Fernwanderwegs

wandern gosol

Meine Bergführerin Violant findest du hier:  vioguide

Masia Rural Molí del Casó
Terradellas 10
08695 Terradellas/Barcelona
molidelcaso.cat