

Überall zufriedene Gesichter, da wollte Manuel Neuer nicht die Ausnahme sein. Im Gegenteil, der ehemalige Nationaltorwart gab sich besonders gut gelaunt. „Wir haben nicht nur einen Punkt gewonnen, sondern auch den Abstand vergrößert“, sagte Neuer nach dem 2:2 des FC Bayern beim 1. FC Union Berlin. Tatsächlich fühlte sich dieser Punktgewinn des Deutschen Meisters beim Berliner Außenseiter aus Münchner Sicht wie ein Sieg an. Einmal, weil Harry Kane der Ausgleich erst in der Nachspielzeit glückte und damit die erste Niederlage dieser Saison vermieden werden konnte und dann weil die Konkurrenten aus Leipzig (1:3 in Hoffenheim) und Dortmund (1:1 beim HSV) patzten. Der Vorsprung des FC Bayern wuchs damit auf sechs Punkte gegenüber den zweitplatzierten Leipzigern an.
Ohne Sieg gewonnen, da ließ es sich umso leichter Komplimente verteilen. „Union hat sich den Punkt mit ihrem Auftreten verdient“, sagte Bayerns Sportdirektor Christoph Freund. Womit er Recht hatte.
Es war durchaus überraschend, wie Union dem ungeschlagenen Tabellenführer begegnete. Furchtlos, selbstbewusst und zu allem bereit. Die Hälfte des FC Bayern belagerten die Berliner wie protestfreudige Studenten einen Seminarsaal. Unnachgiebig und keineswegs gewillt, das besetzte Territorium zu verlassen. Beflügelt wurde diese Haltung durch ein frühes Erfolgserlebnis, das sich aufgrund der bei Bundesligaspielen eingesetzten Technologie ins Negative verkehrte. Ilyas Ansah brachte Union im Anschluss an einen Eckball vermeintlich früh per Kopf in Führung, doch der Videoassistent annullierte den Treffer aufgrund einer Abseitsstellung. Beim Berliner Publikum fand der Eingriff erwartungsgemäß wenig Anklang, bei der Mannschaft weckte er aber eine Jetzt-erst-Recht-Haltung. Union machte einfach weiter und ließ dabei Qualitäten erkennen, für die diese Mannschaft nicht unbedingt steht. Auf eine fußballerische Lösung folgte die nächste, im Ballbesitz zeigte sich Union erstaunlich sicher und stellte die Bayern vor mehr Probleme, als die wohl erwartet hätten.
Bayern lange ideenlos
Gut möglich, dass den Bayern den Strapazen vom Kräftezehrenden Spiel in Paris in den Knochen saßen. Genauso gut möglich, dass es das nahezu fehlerfreie Spiel des 1. FC Union war, dass die Gäste fast die gesamte erste Hälfte nicht aufs gegnerische Tor schossen. Gefahr erzeugten nur die Berliner, vor allem nach ruhenden Bällen. Nach solch einem ging Union auch in Führung. Abermals flog ein Eckball gefährlich in den Münchner Strafraum, wo Danilho Doekhi den Abpraller direkt aufs Tor schoss. Nicht hart und nicht platziert, aber doch kraftvoll genug, um Manuel Neuer unter dem Oberkörper durchzurutschen. Der Torwart des FC Bayern machte dabei keine glückliche Figur. Einer von wenigen Fehler des ehemaligen Nationalspielers in dieser Saison. „Vor dem Tor war viel Verkehr, ich wollte den Ball festhalten. Das war dann die falsche Entscheidung“, sagte Neuer.
Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als sollte der Fehlgriff eine Entscheidung zu Ungunsten des FC Bayern herbeiführen. Es stellte sich ernsthaft die Frage, wie die ideenlosen Münchner ein Tor erzielen wollten. „In der ersten halben Stunde war das viel zu wenig von uns“, sagte Trainer Vincent Kompany.
Ein Meisterwerk von Diaz
Die Antwort lieferten seine Spieler nicht im Verbund, sondern in Person eines Einzelnen. Der Ausgleich durch Luis Diaz war ein Meisterwerk auf drei Ebenen. Zuerst rettete der Kolumbianer den Ball mit einer artistischen Grätsche auf der Grundlinie, dann wand er sich, quasi im Aufstehen, um den in dieser Szene indisponierten Janik Haberer, nur um ihn letztlich aus unmöglichem Winkel in die obere Ecke zu knallen. „Sensationell. Voll oben unters Dach“, sagte Neuer.
Die Aktion sorgte überall für offene Münder und bestätigte gleichwohl, warum der FC Bayern bisher so problemlos durch diese Saison pflügt. Die individuelle Klasse vor allem der Offensivabteilung ist so groß, dass oft nur eine einzige Aktion genügt, um zum Erfolg zu kommen. Kurz vor der Pause hätte Diaz seine Mannschaft sogar in Führung bringen müssen, aber bei der einfacheren Aufgabe frei vor dem Tor versagte er plötzlich. Harry Kane hatte ihn gefühlvoll freigespielt.
Das überraschendste an dieser Szene war nicht etwa Diaz‘ Scheitern, sondern dass sie die letzte gefährliche auf Münchner Seite für sehr lange Zeit sein sollte. In der zweiten Halbzeit schienen beide sich früh auf eine Punkteteilung zu einigen. Für den FC Bayern war das nach anstrengenden Wochen und einem formidabel heraus gespielten Vorsprung in der Bundesliga scheinbar genug, für den 1. FC Union sowieso. Bis kurz vor dem Ende wieder Doekhi traf. Wieder nach einem Standard, wieder aus dem Gewühl. Nun musste Bayern doch noch mal die Schlagzahl erhöhen um die Serie zu retten. Tatsächlich traf Kane noch zum 2:2 in der Nachspielzeit, so wie ein Stürmer eben trifft. Per Kopf, aus kurzer Distanz.
