Bundeswehr bedient sich bei Tolkien: Heer der Kapuzen

Sie könnten mich früh um drei wecken, ich könnte Ihnen trotzdem nach einer Sekunde sagen, dass dieses Kettenrasseln, diese Trommeln und der Chorgesang aus „Herr der Ringe“ stammen. Nun hat offenbar auch das Heer, eine Teilstreitkraft der Bundeswehr, die Filmmusik für sich entdeckt. Im neuen Video der Panzerbrigade 45 sind Sol­da­t:in­nen zu sehen, die an der Nato-Ostflanke in Litauen stationiert sind. Untermalt vom bombastischen Filmsoundtrack sieht man schreiende Soldat:innen, es folgen brennende Tonnen mit dem Truppenlogo, Maschinengewehre und Panzer.

Das ist kein Einzelfall: Sehr mächtige Menschen und Rechtsextreme haben sich am Werk des Schriftstellers J. R. R. Tolkien und der Filmumsetzung des Regisseurs Peter Jackson bedient. Dabei stand Tolkien dem Streben nach Macht, Krieg und Technikgläubigkeit kritisch gegenüber. Und er verachtete Nazis.

Vielleicht bringt die Nerd-Perspektive Klarheit: Die Filmmusik soll bei den Zu­schaue­r:in­nen offenbar Pathos, Heimeligkeit und das Gefühl auslösen, in guten Händen zu sein. Es ist auch ein geiler Track. Der Komponist Howard Shore hat sich bei seinem Soundtrack auf Richard Wagners Leitmotiv-Idee bezogen. Für seine Arbeit an der Trilogie hat er drei Academy Awards erhalten.

Offenbar hatte sich bei der Armee aber niemand die Frage gestellt, wie und wo genau die Musik im Film verwendet wird. Es ist nämlich das Nazgûl-Thema. Nazgûl sind Ringgeister und Handlanger des Oberbösewichts Sauron, der unbedingt den namensgebenden Ring zurück haben will. Im Film verwunden die Kapuzenträger den Ringträger Frodo auf der Wetterspitze schwer.

In Bezug auf die Nato-Ostflanke hätte man auch von der Bundeswehr ein wenig mehr Fingerspitzengefühl erwarten können. Trotz der Kriegsverbrechen russischer Soldaten in ukrainischen Städten wie Butscha handelt es sich dabei ziemlich sicher nicht um Orks oder Ringgeister. Oder ist das deutsche Heer Handlanger eines Bösewichts oder besteht nur aus haarigen Kleinwüchsigen?

Tolkiens Welt ist attraktiv für Böse

Vielleicht ist es aber auch einfach der Versuch, jüngere Menschen für das Militär zu begeistern. Bereits seit Jahren hat die Bundeswehr einen eigenen Stand auf der Spielemesse Gamescom in Köln. Angesichts des riesigen Bedarfs an Nach­wuchs­sol­da­t:in­nen und der Diskussionen über eine Wehrpflicht ist das logisch. Unter dem Insta-Video häufen sich indes die negativen Kommentare.

Die deutsche Armee reiht sich ein in die Liste anderer Organisationen, die „Der Herr der Ringe“ für ihre Zwecke vereinnahmen. Peter Thiel, libertärer Tech-Milliardär und einer der frühesten Unterstützer Trumps, bezeichnet sich als großen Fan der Vorlage. Die umstrittene Überwachungssoftware seiner US-Firma Palantir bezieht sich auf die sehenden Steine aus Tolkiens Welt, mit denen man über große Entfernungen kommunizieren und Dinge sehen kann.

Das Rüstungsunternehmen Andúril bezieht sich auf das Schwert von Aragorn aus der Romanvorlage. Zusammen mit Meta arbeitet die Firma an einem Helm für die US-Streitkräfte, der Augmented Reality nutzt. Rivendell Capital, Númenor Systems, Elessar Labs: Es gibt viele weitere Start-ups mit „Herr der Ringe“-Bezügen.

Ein DeutschlandfunkPodcast über Peter Thiel zeigt, wie oft sich der Milliardär in seiner Ideologie auf Tolkiens Welt bezieht. So sei die Weimarer Republik wie die Zwerge in Moria gewesen, die zu tief geschürft hätten und den schrecklichen Balrog-Dämon aufweckten, der dann alle umbrachte. Damit meint Thiel, dass Demokratie, Liberalismus und der klassische Staat am Ende seien. Er sieht sich selbst als Erlöserfigur, als visionären Außenseiter.

Rechtsextreme Kreise deuten Tolkiens Werk um: Sauron steht für Ordnung und Stärke, Frodo und seine Gefährten für den „dekadente Westen“. Tolkien, der im Ersten Weltkrieg kämpfte, hat Nazis und Militarismus jedoch verachtet.

Das Beispiel Palantir soll für Thiel offenbar Macht, Weitsicht und Kontrolle symbolisieren. Entweder zwängt Thiel Tolkiens Werk in seine eigene Ideologie oder er hat das Werk falsch verstanden. Denn Tolkien sah die Palantir als Warnung vor Manipulation, die Be­nut­ze­r:in­nen zu Marionetten machen und irgendwann durchdrehen. Könnte man das bitte mal den deutschen Behörden erklären?