
Bundestagswahl und Börse
Die „schmutzige Industrie“ könnte profitieren
01.02.2025, 09:47 Uhr
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Vor der US-Wahl im vergangenen Jahr wurde viel über die sogenannten „Trump Trades“ oder zeitweise auch „Harris Trades“ gesprochen – Wetten der Anleger je nach erwartetem Wahlausgang auf verschiedene Branchen oder Anlageklassen, die Börsen immer wieder durcheinandergewirbelt haben. Nun steht in Deutschland eine Wahlentscheidung an, bei der wirtschaftspoltische Themen im Fokus stehen. Kapitalmarktstratege Robert Halver erklärt, wie sich die Bundestagswahl auf die Börse auswirken könnte. Und warum die deutsche Politik auf den Markt insgesamt kaum Einfluss hat.
ntv.de: Ist vor der Bundestagswahl Vergleichbares wie die „Trump Trades“ oder „Harris Trades“ am deutschen Aktienmarkt zu beobachten? Da steht ja immerhin eine Richtungsentscheidung auch für die Wirtschaft an.

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse und Managing Director der Baader Bank in Frankfurt am Main.
Robert Halver: Eine Bundestagswahl in Deutschland beeinflusst die Finanzmärkte nicht annähernd so sehr wie eine Präsidentschaftswahl in den USA. Amerika ist der Taktgeber für die Kapitalmärkte. Deutschland spielt da nur mit. Das würde sich nur dann ändern, wenn wir in Deutschland eine neue Regierung bekämen, die wirklich knallharte Wirtschaftsreformen durchzieht. Damit ist aber nicht zu rechnen, auch wenn manche Parteien das im Wahlkampf versprechen. Auch die nächste Regierung wird – im Gegensatz zu den USA – eine Koalitionsregierung sein, die sich auf Kompromisse verständigen muss. Man wird also bei der Wirtschaftspolitik ein bisschen an den Symptomen herumdoktern. Aber an einen echten Richtungswechsel glaube ich nicht. Eine Sonderkonjunktur für Deutschlands Wirtschaft oder Finanzmarkt abseits der von Amerika bestimmten Trends bekämen wir nur, wenn wir Ludwig Erhard wieder ausgraben und Karl Marx endgültig beerdigen würden. Das sehe ich aber unter anderem auch deshalb nicht, weil viele dieser Dinge auch auf EU-Ebene entschieden werden.
Gibt es aber nicht doch Branchen oder Anlageklassen, auf die sich Änderungen in der deutschen Politik doch auswirken würden?
Gäbe es jetzt eine Koalition nach der Wahl aus CDU, CSU und SPD, könnte man eventuell für alternative Energien eine schlechtere Perspektive sehen. Dann könnte man wieder mehr auf die klassischen zyklischen Branchen setzen, die wir in Deutschland haben. Böse formuliert: die schmutzige Industrie. Die Autobranche könnte vielleicht mehr Unterstützung erwarten. Und auch andere Branchen könnten profitieren, wenn etwa Klima-Auflagen etwas abgemildert würden. Ob das allgemein eine positive Entwicklung wäre, ist natürlich eine ganz andere Frage. Ich schildere hier nur die Sicht des Marktes.
Ein Thema, über das im Wahlkampf gestritten wird, ist der Wohnungsbau. Könnte es zum Beispiel bei Immobilien und den entsprechenden Aktien Bewegung geben?
Nur wenn die Bauauflagen wirklich drastisch abgebaut werden und es wirklich hieße, es hat nicht mehr – überspitzt formuliert – der Schutz des letzten Grottenolms Vorrang vor dem dringend benötigten Neubau. Dann hätte das einen Einfluss auf den Wohnungsbau und die Immobilienaktien.
Neben den klassischen liberalen Positionen zur Wirtschaftspolitik auf der einen und den sozialdemokratischen oder linken auf der anderen Seite gibt es ja noch radikale Forderungen wie die der AfD, aus der EU auszutreten. Beschäftigt so etwas die Börse?
Aus der EU auszutreten, ist geplanter Selbstmord für die deutsche Wirtschaft. Das ist schlicht dumm und natürlich völlig unrealistisch. Aber Europa ist trotzdem ein wichtiges Thema. Es geht ja nicht nur darum, dass Deutschland sich wirtschaftsfreundlicher aufstellen müsste, Europa muss diese Aufgabe gemeinsam leisten. Wenn in der EU die Bürokratie immer weiter wächst, während Trump – ob man ihn mag oder nicht – den Standort Amerika für die Unternehmen attraktiver macht, indem er Bürokratie radikal abbaut und europäische Unternehmen auch noch mit Zollfreiheit lockt, dann muss Europa reagieren. Die EU, die ja auch in wirtschaftlichen und finanzpolitischen Dingen das Sagen gegenüber den Mitgliedstaaten hat, muss einen fundamentalen Richtungswechsel hinlegen: mehr Wirtschaft wagen.
Für Deutschlands Wirtschaft insgesamt wäre eine massenhafte Abwanderung oder Produktionsverlagerung der Industrie verheerend. Aktionäre deutscher Unternehmen kann es dagegen weitgehend egal sein, wo DAX-Konzerne wie VW, BMW und Mercedes produzieren und ihr Geld verdienen.
Man kann es noch zynischer formulieren: Für die Aktienkurse wäre es sogar besser, wenn die Unternehmen gehen. Unabhängig davon, wer demnächst in Deutschland regiert, beobachten wir eine krasse Abkopplung des deutschen Aktienmarkts von den Niederungen der Politik in Deutschland und Europa. Die deutschen Werte sind nicht mehr vom deutschen Standort abhängig. Manche DAX-Konzerne machen mehr Umsätze außerhalb als innerhalb Europas. Diese Verlagerung der Interessen dürfte sich weiter fortsetzen. Nehmen wir an, eine neue Koalition würde die Unternehmenssteuern in Deutschland von 30 auf 25 Prozent senken – das wäre natürlich positiv. Aber was bewirkt das, wenn in Amerika der Steuersatz vielleicht nur 15 Prozent beträgt? Dazu haben wir Standortnachteile durch den unflexiblen Arbeitsmarkt, die Bürokratie, die Energieunsicherheit.
Das eine sind diese standort- und industriepolitischen Themen. Welche Rolle spielen Fragen zur Geldanlage, Finanzmarkt oder Altersvorsorge im Wahlkampf?
Das sind ganz wichtige Themen. Wenn bei der Altersvorsorge stark auf Aktien gesetzt würde, nach dem Beispiel von Schweden oder Norwegen etwa, das wäre ein Game-Changer für deutsche Aktien, eine Unterstützung für den DAX. Die FDP würde sich am ehesten in diese Richtung bewegen. Vor allem für SPD und Grüne ist es dagegen kein großes Thema. Zugleich ist der politische Gegendruck bei der Aktienrente in Deutschland nach wie vor hoch. Immer wenn es Kursverluste gibt, bricht Panik aus, obwohl die Kursrückgänge nach allen Krisen in der Vergangenheit nach relativ kurzer Zeit immer mehr als ausgeglichen wurden. Dennoch glaube ich auch für diesen Bereich nicht, dass da nach der Wahl viel Epochales passiert.
Sie klingen bei all diesen Themen, was jetzt die deutsche Politik angeht, nicht sehr optimistisch. Muss man da nicht das Fazit ziehen: Gut, dass die Entwicklung in Deutschland für den hiesigen Aktienmarkt keine so große Rolle mehr spielt?
Der Aktienmarkt läuft so oder so unabhängig von dem, was in Berlin passiert. Das würde sich nur dann ändern, wenn wider Erwarten die alten deutschen Wirtschaftstugenden mit grundlegenden Reformen wiederbelebt würden. Dazu müssten die Deutschen stärker an diesem Produktivitätswachstum über Aktien partizipieren. Ansonsten bleibt es dabei, dass der große Wind die Richtung bestimmt und der kommt aus Amerika.
Mit Robert Halver sprach Max Borowski