Union und FDP verlangen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine angekündigte Vertrauensfrage an das Parlament sofort stellt. Am liebsten gleich nächste Woche. Deutschland könne sich keine Phase der Unsicherheit und Instabilität leisten, heißt es staatstragend. Aber vielleicht sollte man das nicht allzu ernst nehmen. CSU-Chef Markus Söder beispielsweise verknüpfte auf X, vormals Twitter, seine Forderung nach sofortigen Neuwahlen einmal mit Umfrageergebnissen, welche die CDU/CSU als stärkste Kraft in aktuellen Umfragen zeigen. Und einmal mit Kernforderungen seiner Partei. Also mit opportunistischen, nicht mit staatstragenden Argumenten.
Und auch von der SPD-Argumentation darf man sich innerlich gerne befreien. Sicherlich wäre es unangenehm, über Weihnachten schon Wahlkampf zu führen, aber auch nicht unmöglich. Auch wenn Scholz sich nun diskussionsbereit über den genauen Zeitpunkt zeigte: Seine Leute und er dürften nach wie vor darauf hoffen, durch einen späteren Wahltermin mehr Zeit für eine Aufholjagd bei Wählerinnen und Wählern zu gewinnen.
Machen wir uns also unsere eigenen Gedanken. Was wollen wir, das Wahlvolk? Meine Antwort ist: Ich möchte noch sehen, wie dieser Bundestag ohne Regierungsmehrheit arbeitet, bevor ihn der Neuwahlbeschluss zu einem Parlament auf Abruf macht.
Vielleicht würde meine Antwort anders ausfallen, wäre ich Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich in einer wirtschaftlichen Schieflage befindet und möglichst rasch wissen muss, mit welchen politischen Weichenstellungen zu rechnen ist. Das respektiere ich.
Aber als Wähler, der sich sehr für Politik interessiert, für die Mechanik der Macht, für das Wesen von Führung, für das Verteilen und Auf-Sich-Nehmen von Verantwortung, für das Herausarbeiten von Argumenten in schwierigen Zeiten und für die Instinkte derer, die meine Stimme wollen, sieht die Gleichung anders aus. Ich erhoffe mir unter diesen besonderen Umständen von den vier Sitzungswochen des Bundestages bis Mitte Januar deutlich mehr Erkenntnis als von Pappplakaten an Straßenlaternen.
Was für eine Ausgangslage, um unter Realbedingungen herauszufinden, welche Partei, welche Politikerinnen und Politiker, welche Bewerber um die Macht mich beeindrucken – und wer sich als Luftpumpe entlarvt!
Ich brauche keine TV-Trielle, wenn ich in diesen Wochen auf Phoenix Bundestag gucken kann. Dort kann ich die Ankündigungen des Bundeskanzlers genau prüfen: Will er diese Wochen wirklich nutzen, um, wie er behauptet, im Interesse des Landes noch ein paar wichtige Gesetzesvorhaben durchzubringen – oder ist das in Wahrheit nur nach vorn verlängerter Wahlkampf mit Blick auf die Wähler, die er mit Geschenken wach küssen will?
Und angenommen, es schimmerte tatsächlich etwas von Erstem hindurch: Wie staatstragend, wie sehr am Allgemeinwohl ausgerichtet ist eigentlich Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union? Betreibt er in so einer Stunde seinerseits nur Parteitaktik und blockiert aus Prinzip – oder haben wir hier jemanden vor uns, der unterscheiden kann zwischen dem Kleinen und dem Großen, zwischen den Seinen und uns allen?
Trump, die Ukraine, die soziale Frage in Deutschland: All das käme in diesen letzten Sitzungswochen im Reichstagsgebäude ausgiebig zur Sprache. Die Akzente zwischen den demokratischen Parteien würden erkennbar, greifbar, hörbar. Wer kann mit wem und mit wem keinesfalls? Wer findet die richtigen Worte, schlägt Kompromisse vor, überzeugt? Es könnte ein Festival der Demokratie werden, der beste Wahlkampf aller Zeiten. (Zumal der „normale“ Wahlkampf, in dem sich Kandidatinnen und Kandidaten in meinem Wahlkreis vorstellen und Programme vorgestellt werden, ja nicht ausfiele!)
Jaja, ich bin naiv und ein Idealist. Vermutlich käme die Realität drei Nummern kleiner, grauer und uninspirierender daher, als ich es mir jetzt ausmale.
Aber andererseits: Die Demokratie steht unter Druck, weltweit, auch bei uns. Und ich glaube, wir retten sie eher mit guter Rede und Gegenrede im Bundestag als mit Bratwurst und Luftballons in der Fußgängerzone.
Union und FDP verlangen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine angekündigte Vertrauensfrage an das Parlament sofort stellt. Am liebsten gleich nächste Woche. Deutschland könne sich keine Phase der Unsicherheit und Instabilität leisten, heißt es staatstragend. Aber vielleicht sollte man das nicht allzu ernst nehmen. CSU-Chef Markus Söder beispielsweise verknüpfte auf X, vormals Twitter, seine Forderung nach sofortigen Neuwahlen einmal mit Umfrageergebnissen, welche die CDU/CSU als stärkste Kraft in aktuellen Umfragen zeigen. Und einmal mit Kernforderungen seiner Partei. Also mit opportunistischen, nicht mit staatstragenden Argumenten.