Vieles wirkte wie bei einer Reise in die Vergangenheit, und den Retro-Eindruck verstärkte Manuel Baums Präsenz an der Seitenlinie. Zwischen Dezember 2016 und April 2019 hatte er als Cheftrainer des FC Augsburg in der Bundesliga gewirkt. Seit der vergangenen Woche leitet der 46-Jährige die Mannschaft als Interimscoach nach Sandro Wagners Entlassung an. Im ersten Spiel nach der Trennung erinnerte prompt auch der Stil an den alten FCA. Ein paar Unterschiede erkannte der ehemalige Realschullehrer Baum zwar, zumindest in eigener Sache. Er sei auch jetzt „immer hin- und hergetigert“, sagte er, „aber ich glaube bei Weitem nicht so viel wie früher.“ Denn eigentlich habe er Ruhe in sich und Vertrauen in die Spieler gespürt. Baum lächelte zufrieden.
Das lag auch daran, dass es eine erfolgreiche Rückkehr zu sich selbst geworden war. Gegen die zuletzt formstarke Mannschaft von Bayer Leverkusen gelang den Augsburgern am Samstag der beachtliche 2:0 (2:0)-Sieg insbesondere deshalb, weil sie sich auf ihre früheren Stärken besonnen hatten. Fast so, als hätten sie ihren alten Werkzeugkasten aus dem Keller geholt, um wieder nur jene Instrumente zu verwenden, mit denen sie umgehen können. Auch das hat Tradition beim FCA. Schon mehrfach in der Vergangenheit hatten sie erst einmal einen Schritt zurück gemacht nach gescheiterten Versuchen, forscher und offensiver aufzutreten.
Herauskam nun ein Fußwerkerspiel nach Augsburger Art, wie man es jahrelang gewohnt war und das sich mit einem ebenso handfesten Vokabular aus dem Satzbaukasten des Fußballs beschreiben ließ. Kompakt hatten sich die Augsburger ohne Ball im 5-4-1 angeordnet. Mit einer ekligen Zweikampfführung, was sie beim FCA ausdrücklich als Kompliment empfinden, bremsten sie die fußballerisch feineren Gäste aus, um nach Ballgewinnen sogenannte Nadelstiche zu setzen.
Noch eine solche Disziplin, auf die sie sich in Augsburg traditionell verstehen. Ebenso wie auf lange Bälle, mit denen sie Leverkusen mehrfach übertölpelten. Wie beim 1:0, als Innenverteidiger Keven Schlotterbeck einen weiten Pass in die Schnittstelle schlug und Linksverteidiger Dimitrios Giannoulis vollendete (6.). Nach diesem Muster traf Alexis Claude-Maurice zudem per Heber die Latte. Kurz danach fiel das 2:0 nach einem weiteren pragmatischen Angriff, als der als alleinige Spitze aufgebotene Anton Kade per Kopfball eine Flanke von Giannoulis verwertete (28.).
Dem neuen Cheftrainer soll die Weiterentwicklung der Spielweise besser gelingen als Sandro Wagner
Was aussah wie Angriffszüge aus der Augsburger Zeitmaschine, stand im Kontrast zu den vergangenen Monaten, in denen sich die Mannschaft unter Wagner um eine komplexere Spielweise bemüht, aber oft im Gedankengeflecht der vielen Ideen verloren hatte. In den ersten zwölf Ligaspielen hatten die Augsburger 27 Gegentore kassiert. Nun standen sie meist stabil, wenngleich sie etwas Glück hatten bei den drei Pfostentreffern von Patrik Schick, Eliesse Ben Seghir und Nathan Tella. Dennoch sei der Augsburger Erfolg verdient, befand Leverkusens Kapitän Robert Andrich. „Sie haben immer wieder einen Fuß in der Box drin gehabt“, sagte er, „wir haben es ein Stück weit versucht, zu sehr über das Spielerische zu lösen, anstatt zuerst über die Härte zu kommen. In der Reihenfolge funktioniert es meistens nie.“ Zumindest nicht, wenn Augsburg wieder Augsburg ist.
Einen „Flow“ hatte Baum bei seinen Spielern sogar erkannt. Man habe gespürt, „dass sie sich miteinander verbunden haben“, sie seien „total in ihrer Stärke“ gewesen. Seine Vorgaben hatte er bewusst aufs Wesentliche reduziert. Wichtig sei in der aktuellen Situation, aber auch generell im Fußball, „dass man das Ganze simpel hält“, befand Baum. Aus ihm sprach ganz der Pädagoge, als er sagte: „Die Rolle vom Trainer ist, die Spieler zu befähigen, dass sie eine tolle Leistung bringen.“ Es klang an, dass sich Teile der Mannschaft von Wagners Ideen überfordert gefühlt hatten. „Für den ein oder anderen war es ein bisschen viel“, sagte Schlotterbeck, Baums neuer Kapitän.
Abwenden vom Anspruch und Bemühen, die jahrelang praktizierte und nun wieder reaktivierte Spielweise fortzuentwickeln und zudem mehr Talente einzubauen, wollen sie beim FCA aber nicht. Daran ändert auch die Kritik von Teilen der Fans nichts, die erneut die Vereinsführung mit Geschäftsführer Michael Ströll und Präsident Markus Krapf attackierten. „Wir gratulieren zu einem Imagewechsel zur Lachnummer der Liga“, stand auf einem der Transparente. Dem noch gesuchten neuen Cheftrainer soll die Weiterentwicklung der Spielweise besser gelingen als Wagner. Sportdirektor Benjamin Weber benannte ein weiteres, elementares Kriterium für den neuen Coach. Er sagte: „Es ist ganz, ganz wichtig, dass er zu uns passt.“
