Gegen Frauen gerichtete Straftaten haben in Deutschland im vergangenen Jahr zugenommen. Das ist das Ergebnis des Bundeslagebilds Geschlechtsspezifische Gewalt – einer Statistik, die das Bundeskriminalamt für das Jahr 2023 erstmals erstellt hat. Diese führt Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammen, um darzustellen, wie oft Frauen und Mädchen von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind.
Eine geschlechtsspezifische Komponente sieht das Bundeskriminalamt bei Hasskriminalität gegeben, wenn Straftaten gegen Frauen „aufgrund einer von Vorurteilen gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht geleiteten Tatmotivation heraus begangen werden“. Auch erfasst das Lagebild bestimmte Arten von Delikten, die „die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden oder in ihrer Ausprägung primär Frauen betreffen“. Darunter fallen unter anderem Digitale Gewalt, Häusliche Gewalt, und Femizide.
Deutlich angestiegen ist die digitale Gewalt. 17.193 Mädchen und Frauen waren im vergangenen Jahr davon betroffen, das entspricht einem Anstieg um 25 Prozent gegenüber 2022. Erfasst werden unter anderem Cyberstalking und die Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen. Die Statistik bezieht sich auf Straftaten, bei denen sich die tatverdächtige Person zum Tatzeitpunkt in Deutschland befand.
Der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Michael Kretschmer, bezeichnete den digitalen Raum als „Treiber“ für Hass und Gewalt gegen Frauen. Er stellte das Lagebild am Dienstag in Berlin vor, gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen).
Zunahme von Häuslicher Gewalt
Die Zahl der weiblichen Opfer von Häuslicher Gewalt lag laut der Statistik im Jahr 2023 bei 180.715. Das entspricht einem Anstieg von 5,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Unter Häuslicher Gewalt versteht das Lagebild die Gewalt zwischen Personen, die sich in einer familiären oder partnerschaftlichen Beziehung befinden.
Im Jahr 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten „Femiziden“, also ein Prozent mehr als 2022 (929). 360 vollendete „Femizide“ hat das BKA im vergangenen Jahr gezählt. Laut der Statistik stirbt in Deutschland fast jeden Tag eine Frau oder ein Mädchen durch eine solche Tat. Gezählt werden auch hier Taten, die sich in Partnerschaften und in Familien ereignen.
Statistik kann Femizide nicht genau bestimmen
Im Lagebild werden diese Tötungen zwar als „Femizide“ ausgewiesen, das ist jedoch unzutreffend: Dem BKA liegen keine ausreichenden Informationen vor, um Femizide zu bestimmen. Die Behörde erfasst bei Tötungsdelikten lediglich die Opfer-Täter-Beziehung, nicht aber die Tatmotivation. Diese ist jedoch entscheidend, um die Tötung einer Frau als Femizid bezeichnen zu können. Nur jene Taten, die auf Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichheit des Täters fußen, sind Femizide.
Darauf weist das Lagebild auch hin. Demnach muss eine „ablehnende Einstellung der tatbegehenden Person zur Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter“ erkennbar sein, um von einem Femizid zu sprechen. Die Verfasser machen deutlich, dass das BKA derzeit keine klare Abgrenzung zwischen Femiziden und Tötungsdelikten an Frauen leisten kann, weil das entscheidende Merkmal – die Tatmotivation – nicht bekannt ist. „Damit ist unklar, ob es sich bei den erfassten Fällen um geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten handelte“, heißt es im Bericht.
Trotz dieser Einschränkung sagte Faeser am Dienstag bei der Vorstellung des Lagebilds: „Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet. Das ist fast jeden Tag ein Femizid.“ Diese Aussage wird der Datenlage nicht gerecht. Richtig wäre es zu sagen, dass fast jeden Tag in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet wird – und es sich bei einem großen Teil dieser Taten mutmaßlich um Femizide handelt.
Was die Aussagekraft des Lagebilds angeht, ist außerdem zu sagen: Die Statistik bildet das Hellfeld ab, also Taten, die bei der Polizei angezeigt worden sind. Unklar ist, ob ein Anstieg im Hellfeld darauf zurückzuführen ist, dass es tatsächlich mehr Gewalttaten gab – oder ob sich die Anzeigebereitschaft verändert hat.