
Die
neue Bundesregierung will das Bürgergeld abschaffen, Leistungen kürzen und
Sanktionen verschärfen. Das ist ein großer Fehler. Solche Maßnahmen steigern die Armut, mindern die Teilhabe, verschlechtern die Arbeitsmarktchancen und
rauben vielen Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern ihre Würde. Diese Reformen
bringen nur Verlierer hervor. Der Schaden für die Betroffenen, unsere
Demokratie und den Sozialstaat wäre beträchtlich. Die Bundesregierung sollte
einen anderen Kurs einschlagen und das Bürgergeld gezielter gestalten. Zudem sollte sie auf verschärfte Sanktionen verzichten, da diese sich langfristig
– laut einer IAB Studie der Bundesagentur für Arbeit – eher als
kontraproduktuiv erwiesen haben.
Eine
neue Studie im Auftrag des Vereins Sanktionsfrei,
die ich aus wissenschaftlicher Perspektive mit vorgestellt habe, bestätigt, was
viele andere Untersuchungen bereits zeigen: Die Leistungen des Bürgergelds –
aktuell 563 Euro für Alleinstehende – sind zu niedrig und führen zu erheblichem
materiellem Verzicht. Es geht längst nicht mehr nur um Einkommensarmut – fast alle Bürgergeldempfänger leben mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Es geht vielmehr um die Folgen. Denn: Über
die Hälfte der befragten Eltern gibt an, auf Essen zu verzichten, damit die
eigenen Kinder genug zu essen haben. Nur jede zweite Familie kann sich mit dem
Bürgergeld ausreichend ernähren.
Mehr statt weniger staatliche Unterstützung
Diese
Lebensrealität nimmt vielen Menschen ihr Selbstwertgefühl und ihre Würde. Drei
von vier Bürgergeldempfängern empfinden, dass sie kein würdevolles Dasein
führen können. Nur einer von zehn sieht sich noch als Teil der Gesellschaft. Fast
die Hälfte empfindet Scham, auf Bürgergeld angewiesen zu sein. Die Folge ist
der Rückzug aus sozialer, gesellschaftlicher und politischer Teilhabe. Wer
ausgegrenzt wird, findet schwer zurück – in die Gesellschaft und in den
Arbeitsmarkt.
Stigmatisierung,
fehlende Unterstützung und mangelnde Teilhabe machen es vielen Menschen nahezu
unmöglich, wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen. Über die Hälfte der Bürgergeldempfängerinnen
und -empfänger glaubt nicht mehr daran, aus eigener Kraft den Weg in Arbeit und
in ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Das zeigt: Es braucht mehr, nicht
weniger staatliche Unterstützung – nicht nur finanziell, sondern auch im System
selbst.
Was
also tun? Die Politik muss zunächst zuhören, die Perspektiven und Sorgen der
Betroffenen ernst nehmen, statt sie pauschal als faul zu stigmatisieren. Mit
der Anhebung des Mindestlohns ist auch eine Erhöhung des Bürgergelds notwendig
und gerechtfertigt. Zudem braucht es eine ernsthafte Investition in die
Arbeitsmarktintegration. Ein zentrales Ergebnis der genannten Studie: Die große
Mehrheit der Empfänger fühlt sich auch durch die Jobcenter nicht ausreichend
unterstützt. Gleichzeitig zeigt eine Studie des DIW Berlin,
dass Mitarbeitende in den Jobcentern über fehlende Mitwirkung einzelner
Bürgergeldbeziehender berichten. Die Schlussfolgerung: Der Staat muss mehr in
Jobcenter investieren – in Qualifizierung, Weiterbildung und
Eingliederungshilfen – und gezielt dort stärken, wo es an Mitwirkung fehlt oder
Missbrauch vorliegt.
Nur geringer Anteil an Totalverweigerern
5,4
Millionen Menschen leben in Deutschland vom Bürgergeld. Ein Drittel davon sind
Kinder. Die Mehrheit
der erwerbsfähigen Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger hat keinen oder
keinen passenden Berufsabschluss, viele keinen Schulabschluss. Einige leiden
unter gesundheitlichen Problemen. Rund 800.000 aber – überwiegend alleinerziehende Mütter – sind erwerbstätig. Sie verdienen jedoch zu wenig und müssen daher aufstockend Bürgergeld beziehen. Ein häufiger Grund ist, dass sie wegen fehlender oder unzureichender Kinderbetreuung nur in Teilzeit arbeiten.
Die überwältigende Mehrheit der Bürgergeldbezieher will arbeiten und ein
Leben in Würde führen. Dem gegenüber stehen im Jahr 2023 rund 16.000 Totalverweigerer,
deren Verweigerungshaltung geahndet werden muss. Doch diese Minderheit darf nicht als
Rechtfertigung für eine Politik herhalten, die Millionen Menschen pauschal
unter Verdacht stellt.
Kontrovers werden zudem Sanktionen diskutiert. Manche Politikerinnen und Bürger wünschen sich härtere Sanktionen gegen Mißbrauch und fehlende Kooperation für Bürgergeldempfänger. Die wenigen Studien, die es gibt, zeigen jedoch, dass Sanktionen langfristig kein effektives son-dern eher ein kontraproduktives Instrument sein können. So zeigt eine Studie von Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, dass Sanktionen kurzfristig die Beschäftigungswahrscheinlichkeit zwar erhöhen, sie aber langfristig sogar leicht reduzieren: Nach vier Jahren ist die Beschäftigungswahrscheinlichkeit um rund 4 Prozent geringer. Auch das Erwerbseinkommen steigt zunächst, sinkt aber später: Männer verdienen nach vier Jahren 7,5 Prozent, Frauen 7, Prozent weniger.
Der kurzfristige Beschäftigungseffekt beruht vor allem auf schlechter bezahlten Jobs. Die Chance, eine besser bezahlte oder qualifikationsgerechte Arbeit zu finden, ist für Sanktionierte dauerhaft geringer. Frauen nehmen häufiger Minijobs an. Zudem steigt das Risiko, erneut arbeitslos zu werden: Im ersten Jahr beträgt es bei Männern um 16 Prozent bei Männern, 28 Prozent bei Frauen; der Einkommensverlust liegt bei 1.521 Euro (Männer) bzw. 845 Euro (Frauen). Deshalb sollten Sanktionen nur bei schwerwiegenden Verstößen verhängt werden. Wie die oben genannte Studie des DIW Berlin unterstreicht, müssen andere Wege gefunden werden, um die Mitwirkung und Zusammenarbeit von Bürgergeldempfängern, und den Jobcentern, auf der anderen Seite, zu verbessern. Das Ziel sollte sein, mehr Menschen aus dem Bürgergeld dauerhaft in Arbeit zu bringen.
Es ist höchste Zeit, den populistischen Angriff auf das Bürgergeld zu
beenden. Dieser Populismus grenzt aus, stigmatisiert und verschlechtert die
Chancen auf Wiedereingliederung. Die langfristigen Konsequenzen sind
katastrophal – besonders für Kinder, die von klein auf ausgegrenzt und geprägt
werden und später als Erwachsene häufig selbst im Leistungsbezug bleiben. Auch
unsere Demokratie leidet, wenn große Teile der Bevölkerung keine Teilhabe mehr
erleben. Die Lösungen liegen auf dem Tisch: ein Ende des Populismus – und
stattdessen Investitionen in Teilhabe, Würde und Arbeitsmarktintegration.