Brustkrebs – wie man lernt, mit dieser Diagnose umzugehen

Mit der Diagnose Brustkrebs kommt die Angst vor dem Tod, der Chemo, dem Verlust der Brust. Wie Patienten gut mit ihrer Krankheit umgehen können.

Pia Wülfing ist Gynäkologin und hat in der Corona-Pandemie die Plattform „PINK!“ ins Leben gerufen. Dort finden erkrankte Frauen medizinische, psychologische und organisatorische Informationen für Brustkrebspatientinnen. Eine große Hilfe für die Betroffenen, die sich häufig allein gelassen fühlen. Unter anderem bekommen Patientinnen durch eine App Unterstützung auf dem Weg in ein achtsameres Leben und beim Umgang mit ihren Ängsten.

Mit welchen Ängsten und Sorgen kommen Brustkrebspatientinnen auf Sie zu?
Prof. Pia Wülfing: Die Hauptsorge ist die Angst vor dem Tod – vor dem Sterben. Krebs ist eine potenziell tödliche Erkrankung, auch wenn bei Brustkrebs 80 Prozent der Patientinnen geheilt werden. Bei etwa 20 Prozent kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einer Streuung, an der sie versterben. Patientinnen wissen und ahnen, dass es keine Garantie gibt, geheilt zu sein. Dieses Damoklesschwert, dass der Krebs metastasieren könnte, schwebt über den Patientinnen. Die Unsicherheit ist eine große Belastung.

Der Haarverlust durch eine Chemotherapie ist für viele Frauen ein großes Thema. Haare sind eng an Weiblichkeit und Identität gekoppelt, deswegen ist es für Erkrankte mehr als eine Veränderung des Aussehens. Auch die Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Übelkeit oder Schwäche machen Angst. Einige Brustkrebspatientinnen fürchten sich vor Schmerzen, aber weder die Erkrankung noch die Behandlung ist schmerzhaft – in der heilbaren Situation. Auch der Gedanke, eine oder beide Brüste zu verlieren, ist für die meisten Patientinnen sehr schmerzlich.

Was macht es mit Frauen, wenn sie ihre Brüste an den Krebs verlieren?
Heutzutage ist es selten geworden, dass man nicht brusterhaltend operieren kann. Außerdem sind die Möglichkeiten, eine Brust wieder aufzubauen, viel besser geworden. Dauerhaft muss eigentlich keine Patientin ohne Brust leben. Doch eine rekonstruierte Brust ist kein echter Ersatz und vor allem nicht mit kosmetischen Operationen zu vergleichen – es bleiben Narben zurück und in der Brust haben die Patientinnen oft kein Gefühl mehr. Die Angst vor dem Verlust der Brust ist wohl deshalb so groß, weil dadurch Weiblichkeit, Sexualität und die Unversehrtheit des Körpers berührt werden. Wobei die Wahrnehmung bei den erkrankten Frauen ganz unterschiedlich ist. Manchen Frauen ist die Brust für ihre Selbstwahrnehmung und die Ästhetik sehr wichtig und anderen Frauen ist ihre Brust nicht so wichtig, sie wollen einfach nur gesund werden und ganz sicher sein, dass der Krebs nicht zurückkommt.

Warum entscheiden sich manche Frauen dafür und manche dagegen, die Brüste wieder aufbauen zu lassen?
Ein Grund dagegen ist die Sorge vor dem Aufwand und den Operationen, die auf einen zukommen. Häufig bleibt es nicht bei einer Operation, sondern es sind noch korrigierende Eingriffe notwendig. Und die Brustwarzenrekonstruktion wird immer in einem weiteren Schritt gemacht, weil dazu die rekonstruierte Brust fertig und ausgeheilt sein muss. Wer sich die Brust rekonstruieren lässt, muss wieder im Krankenhaus behandelt werden, die Heilung kostet Zeit und es besteht – wie bei jedem Eingriff – das Risiko für Komplikationen.

Anderen Frauen ist der Wiederaufbau einfach nicht so wichtig. Aus meiner Sicht spielt die Selbstsicht bei der Entscheidung für oder gegen einen Wiederaufbau eine Rolle. Aber auch die Stabilität der Partnerschaft und der Partner können die Entscheidung beeinflussen.

Fakten über Brustkrebs

Jedes Jahr erkranken laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 71.400 Frauen neu an Brustkrebs. Für Frauen ist es die häufigste Krebsart. Zunehmend sind auch Jüngere betroffen. Die Deutsche Krebsgesellschaft spricht von über 18.000 Frauen, die jährlich an Brustkrebs sterben. Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, bei ihnen sind es jährlich etwa 760 Neuerkrankungen. Der Brustkrebsmonat Oktober macht auf die Situation von Erkrankten aufmerksam.

Wie sieht ein gesunder Umgang mit der eigenen Krebserkrankung aus?
Ich glaube, das ist auch sehr individuell. Es gibt Patientinnen, die sehr offen mit ihrer Erkrankung umgehen und Angehörige, Freund:innen und auch den Arbeitgeber einweihen. Manche Frauen möchten hingegen gar nicht, dass es ihr Umfeld erfährt, und machen alles mit sich selbst aus. Am Ende ist das Wichtigste, dass die Patientin so wenig Leidensdruck wie möglich hat. Es ist wichtig, Ängste gut mit sich selbst ausmachen zu können oder mit jemandem darüber zu sprechen. Ich halte es bei eigentlich jeder Patientin für sinnvoll, dass sie sich professionell betreuen lässt: durch eine psychoonkologische Begleitbehandlung, die jeder Brustkrebspatientin zusteht. Es gibt immer Themen, die man nicht in den Freundeskreis oder in die Familie reintragen kann oder will.

Wie wirkt sich die Psyche auf den Heilungsprozess einer Krebserkrankung aus?
Das ist gar nicht so gut erforscht. Was wir wissen, ist, dass (dauerhafter) Stress, das Immunsystem schwächt. Ängste verursachen auch Stress für den Körper. Die mentale Gesundheit spielt in der onkologischen Forschung zunehmend eine wichtige Rolle. Meditation, Achtsamkeit, Yoga und verhaltenstherapeutische Ansätze können die psychische Belastung von Patientinnen reduzieren, die Nebenwirkungen von Therapien senken und die Lebensqualität der Brustkrebserkrankten erhöhen. Wir erwarten auch, dass sich eine gute psychische Gesundheit positiv auf die Krankheit auswirkt.

Was kann ich von einer psychoonkologischen Behandlung erwarten? Was kommt da auf mich zu?
Psychoonkologie ist ein „Gemischtwarenhandel“. Die kognitive Verhaltenstherapie ist die Grundlage. Es gehören Bausteine dazu wie Akzeptanz der eigenen Diagnose oder zu erkennen, wie die eigenen Sorgen und Nöte gerade sind. Patientinnen bekommen in der Therapie Hilfen an die Hand, wie sie mit den Ängsten umgehen können. Inhalt einer solchen Behandlung sind auch Meditation, Traumreisen und Entspannungsübungen. Jeder und jede Psychoonkologin, die ich kenne, rät auch zu viel Bewegung an der frischen Luft. Es ist also ein Leitfaden, wie man mit der Diagnose Brustkrebs umgehen kann und gestärkt weiterlebt.

Sie haben eine App für Brustkrebspatientinnen entwickelt. Wo setzt sie an?
Unsere App „PINK! Coach“ verfolgt die Idee, die Patientinnen zu stärken und anzuleiten. Viele Patientinnen haben mir zurückgemeldet, dass sie sich allein gelassen fühlen, wenn sie den geschützten Raum des Krankenhauses oder des Brustkrebszentrums nach der akuten Phase verlassen. Bei vielen Frauen kommen die Ängste zurück. Brustkrebspatientinnen sind oft sehr engagiert und wollen daran arbeiten, gesund zu werden und zu bleiben.

Viele Frauen sind aber im Alltag damit überfordert, Bewegung, gesunde Ernährung oder Achtsamkeit in ihr Leben einzubauen. Unsere App „PINK! Coach“ schlägt aus diesen drei Bereichen Tagesziele vor, damit sich die Patientinnen einen gesunden Lebensstil aneignen können. Sie bekommen Wochenpläne und wissen jeden Tag genau, wie sie gesund leben können. Die App ist eine „Digitale Gesundheitsanwendung“ oder auch App auf Rezept. Heißt: Sie kann Brustkrebspatientinnen von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Rezept verschrieben werden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 30. Oktober 2022 und wurde aktualisiert.