
Nicht ausgeschlossen, dass die Schokolade darunter leidet, für billige Befriedigung missbraucht und anschließend für allerlei Probleme verantwortlich gemacht zu werden. Eine toxische Beziehung, mit der auch diese Frau um die 30 vertraut ist, da dieses Dilemma wesentlicher Bestandteil der Unterhaltungsliteratur ist: Es wird dabei viel geweint, und oft geht das Elend bereits zum Frühstück los, entgegen den Warnungen vor morgendlichen Glukose-Spikes und entsprechend frühzeitigem Tod. Somit eignet sich das Schokoladen-Motiv auch ganz hervorragend für einen Mord. Der Autor Jean-Luc Bannalec bedient sich daran für den neuen Teil der Erfolgsserie um den Kommissar Georges Dupin: In Bretonische Versuchungen wird die „visionäre Unternehmerin“, „passionierte Opernbesucherin“ und „meisterliche Pétanque-Spielerin“ Adeline Mazago in den Produktionshallen des von ihr geführten Familienunternehmens niedergeschlagen und in einem Bottich flüssiger Schokolade ertränkt. Mutmaßlich anlasslos, denn wer könnte schon ein Problem mit der berühmtesten Schokolade der Bretagne haben? Oder überhaupt irgendetwas gegen eine der „Versuchungen“ einwenden, von denen dieses Buch so herzhaft schwärmt: Gâteau Breton, Kouign-amann, Paris-Brest, Madeleines, Pains au Chocolat, Crêpes! Aber nun ist die Chocolatière eben tot, und um das Warum abschließend klären zu können, wird zunächst ein umfangreiches Personentableau gereicht – sowohl aus Verdächtigen als auch aus Beamten. Es wird schließlich nicht nur in der Bretagne, sondern auch im Baskenland ermittelt. Die behördlichen Zuständigkeiten werden sich darüber hinaus wegen einer möglichen Beteiligung eines global agierenden Drogenkartells noch erweitern. Es muss sich untereinander also viel „à jour“ gehalten und telefoniert werden, weswegen Georges Dupin oft beim Denken gestört wird und meist unhöflich früh wieder auflegt. Damit sich eine seiner genialen Eingebungen melden kann, für die der „Monsieur le Commissaire“ mit dem bedenklichen Kaffeekonsum und entsprechend verwundetem Magen geliebt, geachtet und bewundert wird. Mit gewohnter Routine und seinem kleinen roten Notizbuch boykottiert er derweil die ermittlungstechnische Moderne seiner Kollegen, die ihre Erkenntnisse für alle zugänglich in der Cloud speichern und sich das Tatmotiv von künstlicher Intelligenz vorhersagen lassen. Aber erwartungsgemäß wird Dupin, der für einen Kommissar über ein erstaunlich geordnetes Privatleben verfügt, auch diesen Fall so gut wie allein lösen. Es ist sein mittlerweile vierzehnter; seit 2012 wird in der Bretagne verlässlich jedes Jahr erneut gewaltsam gestorben. Zwölf der Bände sind mittlerweile verfilmt, während die Merchandise-Maschine mit einem Bildband (Kommissar Dupins Landschaften), einem Kochbuch (Kommissar Dupins Lieblingsgerichte) oder einem Reiseführer (Dupins Bretagne) weiter am Laufen gehalten wird. In der Auflösung im Fall um die „Versuchungen“ ist, natürlich!, wieder die Schokolade schuld. Sie macht das sicher nicht mehr lange mit; bitter ist sie bisweilen schon.